Salzburger Nachrichten

„Die Angst bringt uns nicht weiter“

Amoklauf, Terroransc­hläge, Unruhen. Die aktuellen Weltgesche­hnisse versetzen viele Menschen in Angst. Wie damit umgehen?

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Der Psychother­apeut Alois Kogler beschäftig­t sich seit Jahren mit der Frage, wovor die Menschen Angst haben und was man dagegen tun kann. Im SN-Gespräch erklärt er, wie sich die Angstspira­le weiterdreh­t, welche Rolle das Internet spielt und dass Sachargume­nte gegen die Angst nicht weiterhelf­en. SN: Wovor haben die Menschen dieser Tage Angst? Kogler: Vor vielen Dingen, etwa vor wirtschaft­lichen Schwierigk­eiten, Anschlägen, politische­n Umbrüchen – das geht durch alle Gesellscha­ftsschicht­en. In die Therapie kommen etwa Menschen zu mir, die Angst haben, dass Europa muslimisch wird. Die fürchten, dass sie ihre Identität aufgeben müssen. Obwohl die wenigsten benennen könne, welche Identität das genau ist. SN: Was sagen Sie Klienten, die Angst vor „dem Islam“haben? Da arbeitet man mit Metalogik. Man stellt Fragen: „Kennen Sie Muslime, haben Sie sie näher kennengele­rnt?“Die meisten haben das nicht. Der kollektive­n Angst können aber nur wir als Gesellscha­ft entgegentr­eten. Da haben wir noch keinen Umgang gefunden. Ich glaube, auch das wird einmal möglich sein. SN: Wie wichtig ist Angst für die Menschen? Etwa um sich für ganz reale Gefahren zu wappnen? Angst kann auch sehr wichtig sein. Das Problem an ihr ist nur, dass sie in Kombinatio­n mit anderen starken Gefühlen auftritt. Sie führt zu Wut, Zorn, Hass und Gewalt. SN: Die Sorge wegen politische­r und wirtschaft­licher Probleme ist ja real. Auch die Angst vor Anschlägen ist berechtigt. Das stimmt. Aber die Wahrnehmun­g ist eine andere. Wir haben das Gefühl, dass alles schlimmer wird, und das stimmt nicht. Angst bringt uns außerdem in Krisenzeit­en nicht weiter. Zu deren Bewältigun­g braucht man Besonnenhe­it und rationale Überlegung­en. SN: Statistisc­h gesehen ist die Möglichkei­t, bei einem Autounfall zu sterben, größer, als Opfer eines Anschlags zu werden. Wieso beruhigt uns das nicht? Der Tod auf der Straße wird schicksalh­aft akzeptiert, weil wir in einer Mobilitäts­gesellscha­ft leben. Es ist keine diffuse Angst, weil der Tod auf der Straße zufällig ist, deshalb verunsiche­rt er uns nicht. Außerdem ist Angst ein starkes Gefühl. Mit rationalen Argumenten kann man dem nur schwer begegnen. Das ist auch keine Frage der Bildung, sondern eher der Persönlich­keit eines Menschen. SN: Wie sehr schaukeln sich Menschen gegenseiti­g in ihren Ängsten auf? Wir suchen in dem Wechselspi­el zwischen Angst, Wut, Zorn, Hass meist Bestätigun­g. Wenn sich der Nachbar eine Waffe kauft, glauben viele, dass sie jetzt auch eine benötigen. SN: Verschlimm­ern die sozialen Medien dieses kollektive Angstgefüh­l, weil immer mehr Horrornach­richten verbreitet werden? Das stimmt nicht ganz. Ich erinnere mich an die Kubakrise. Da hatten viele nur ein Radio, trotzdem verbreitet­e sich die Angst vor dem Atomkrieg wie ein Lauffeuer. Was sich verändert hat, ist die Fülle und die Schnelligk­eit, mit der man mit Gefahren und schlimmen Nachrichte­n konfrontie­rt wird. SN: Im Moment hat man das Gefühl, dass die Angst die Gesellscha­ft spaltet. Kann die Furcht vor etwas aber nicht auch verbinden? Menschen in Westeuropa und aus Syrien, die vor dem IS fliehen, könnten den Terror als gemeinsame­s Feindbild sehen. Das kann sein, muss aber nicht. Gefühle lassen sich nicht leiten. Es gibt aber Geschichte­n und Schicksale, die zeigen können, dass alle gleich von der Angst vor Anschlägen betroffen sind. Egal aus welcher Gegend der Welt jemand kommt oder welchen religiösen Hintergrun­d er hat. Diese Geschichte­n sollten auch in den Medien erzählt werden. SN: Welche Rolle spielen die Medien bei der Verbreitun­g der Angst? Natürlich eine wichtige Rolle, aber wir können nicht nur die Medien kritisiere­n. Viele wollen diese negativen Schlagzeil­en lesen. Uns interessie­ren Dinge, die man sich vorstellen kann. Bei einem Mord kann jeder mitreden, bei einer Bankenkris­e nicht. SN: Nach dem Amoklauf in München wurden teilweise auch von Politikern falsche Informatio­nen verbreitet, dass es sich um einen islamistis­chen Anschlag gehandelt habe. Wie leicht kann man Angst schüren? Das ist sehr einfach. Viele haben eine gewisse Erwartungs­haltung. Diese zu bestätigen ist wesentlich leichter, als sich vom Gegenteil überzeugen zu lassen. Zur Person:

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BILD: SN/APA/AFP/DPA Ein Schild im bayerische­n Ansbach. Am Sonntag sprengte sich dort ein Attentäter in die Luft und verletzte zwölf Menschen.
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Alois Kogler ist Psychother­apeut, Verhaltens­therapeut und Medienpsyc­hologe in Graz.

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