Die dunkle Seite des Internets
Der Münchner Amokläufer soll sich seine Pistole im Darknet besorgt haben. Doch im „dunklen Netz“gibt es noch viel mehr als Waffen. Und nicht alles ist schlecht.
Es ist eine der wenigen Fakten, die die Polizei schon kurz nach dem Amoklauf in München bestätigte. Jener 18-Jährige, der vergangenen Freitag neun Menschen erschossen hatte, soll seine Pistole im Internet erstanden haben. Auch auf SN-Anfrage bestätigte die bayerische Polizei, man könne davon ausgehen, dass der Täter die Waffe aus dem Web habe, genauer aus dem Darknet.
Doch was ist dieses Darknet eigentlich? Und kann es sein, dass sich dort ein gerade Volljähriger eine halbautomatische Pistole und mehr als 300 Schuss Munition beschafft? Es kann sein. Denn die Möglichkeiten im Darknet sind nahezu unbegrenzt. Das Darknet gehört zum sogenannten Deep Web. Unter Deep Web wird jene gigantische Welt verstanden, die nicht von Suchmaschinen wie Google erfasst wird. Und dieser Part ist weitaus größer als jener Teil, den wir tagtäglich wahrnehmen: Studien gehen davon aus, dass Google lediglich 0,2 Prozent des Webs abbildet.
„Suchmaschinen greifen nur die Oberfläche des Internets ab“, bestätigt der Wiener Netzaktivist Wolfie Christl. Mehr sei zum einen technisch aufwendig, zum anderen aus Google-Sicht nicht sinnvoll. Seiten, die dem User wenig nutzen, wolle man schlicht nicht listen.
Das Darknet ist wiederum nur ein kleiner Teil des Deep Webs. Und für das Darknet gelten eigene Zutrittsregeln. Das Darknet kann nur anonym besucht werden, also etwa über den Tor-Browser, eine Alternative zu Google Chrome oder dem Internet Explorer, der auf spezielle Verschlüsselungstechniken setzt – und so die Anonymität der Nutzer schützt. „Jede Anfrage, die man im Tor-Browser stellt, wird über verschiedene Zwischenstellen gespielt. Es ist somit nicht mehr rückverfolgbar, von wo die Anfrage ausging“, erläutert Dominik Engel, IT-Sicherheitsexperte an der FH Salzburg. Doch wie findet man Inhalte, die nicht von jedem gefunden werden sollen? Zum einen gibt es Einstiegsplattformen wie die Linksammlung „The Hidden Wiki“, über die man sich von Seite zu Seite vorarbeiten kann. „Man kann das mit einem Telefonbuch vergleichen. Dort werden Dienste anonym angeboten“, sagt Engel. Zum anderen gebe es mittlerweile sogar im Darknet Suchmaschinen. „Selbst die Anbieter im Darknet wollen, dass sie ihre Zielgruppe findet.“
Und in der Tat: Im „dunklen Netz“Kinderpornografie, Drogen oder eben Waffen ausfindig zu machen ist nicht schwer. Das belegte bereits ein SN-Versuch vor einigen Monaten. Manche Plattformen bieten auf Kokain sogar Mengenrabatt an. Auch Zugangsdaten zu Bankkonten oder Pässe können mit wenigen Klicks bestellt werden. Doch die Dienste zu finden ist die eine Sache. Diese dann wirklich zu bekommen eine andere. Ein Team der ARD hat es etwa geschafft, über das Darknet eine Waffe zu ordern. Geliefert wurde diese aber nie.
Es ist jedoch nicht alles schlecht, was sich im Darknet abspielt. Die Möglichkeit, anonym zu kommunizieren, wird ebenso von Journalisten und Aktivisten genutzt: „Tor und das Darknet im Allgemeinen sind unverzichtbare Hilfsmittel, um freie Rede zu gewährleisten“, sagt Netzaktivist Christl. Die NSA-Enthüllungen hätte es ohne diese Möglichkeiten nicht gegeben. Auch Oppositionelle in Diktaturen nutzten Tor. Dennoch wird nach dem Münchner Amoklauf erneut gefordert, einschlägigen Netzwerken einen Riegel vorzuschieben. Wolfie Christl hält nichts davon. „Eine Forderung nach einem Verbot ist für mich demokratiepolitisch völlig jenseitig.“Und auch Cybersicherheitsexperte Engel glaubt nicht, dass solche Maßnahmen zielführend sind: „Wenn man Tor verbietet, gibt es morgen einen anderen vergleichbaren Dienst.“
Wie können die illegalen Aktivitäten aber sonst bekämpft werden? „Zur Gänze gar nicht“, sagt Engel. Dafür seien die Möglichkeiten zu weitreichend. Doch die wenigen Spuren, die die Kriminellen selbst im Darknet hinterlassen, sollten die Ermittler nutzen, um zumindest Zeichen zu setzen. Und das geschieht auch: 2014 wurde der DarknetSchwarzmarkt „Silk Road“stillgelegt, 2015 gelang es dem FBI, ein Netzwerk von 200.000 Pädophilen auszuheben. „Es ist vergleichbar mit der organisierten Kriminalität in der realen Welt“, ergänzt Engel. „Ganz wird sie wohl nie ausgemerzt. Aber man kann es zumindest eindämmen.“
„Ganz wird man das Illegale im Darknet nie ausmerzen können.“