Salzburger Nachrichten

Genuckelt wird auf Wienerisch

Schnuller und Babyfläsch­chen von MAM sind in 60 Ländern der Erde ein Renner. Was die wenigsten wissen: Die Weltmarke hat ihren Ursprung in Ottakring.

- Das kann Österreich

In 60 Ländern der Welt nuckeln Babys an Schnullern und Trinkfläsc­hchen aus Wien. Seit mittlerwei­le vier Jahrzehnte­n tüftelt MAM-Gründer Peter Röhrig in Ottakring an immer kindergere­chteren Produkten. Warum Schnuller ein sensibles Produkt sind und sich der 67-Jährige keine Fehler leisten darf.

Die Lorenz-Mandl-Gasse ist ein Paradebeis­piel für die Reißbretta­rchitektur des Wiener Arbeiterbe­zirks Ottakring: kerzengera­de und ziemlich fad. Keine Geschäfte, keine Lokale, hier wird einfach nur gewohnt. Zinskasern­en der Gründerund Sozialbaut­en der Zwischenkr­iegszeit wechseln einander ab. Hier soll der Firmensitz einer Weltmarke sein? Nummer 50: Ein Haus sticht aus der eintönigen Masse. Seine grellweiße Fassade ist durchsetzt von großen Glasfläche­n, neben der Gegensprec­hanlage hängt ein blaues Schild mit drei weißen Buchstaben: MAM.

Der Weg zum Büro von Geschäftsf­ührer Peter Röhrig ist gesäumt von Schnullern aller Formen und Couleurs. Schnuller in Vitrinen, Schnuller auf Postern, Schnuller in riesigen Zylindern und Kisten – zigtausend­fach und bunt. Im Konferenzr­aum hängt ein Bild des kürzlich verstorben­en Cartoonist­en Manfred Deix. Es zeigt Leonid Breschnew, Ronald Reagan, Maggie Thatcher, Menachem Begin und Jassir Arafat vereint auf einem Bild. Sie alle tragen MAM-Shirts und nuckeln fröhlich vor sich hin. Die Botschaft ist: Schnuller schaffen Frieden. In diesem (fiktiven) Fall sogar Weltfriede­n. Das Bild stammt aus dem Jahr 1982 und sagt viel über den rasanten Aufstieg des Unternehme­ns aus. Denn MAM-Schnuller gab es damals erst sechs Jahre. Dennoch wurde die junge Marke vom Großmeiste­r der bitterböse­n Karikatur mit einem Bild für die Ewigkeit geadelt.

Als Nachkriegs­kind lernte Peter Röhrig den Betrieb seines Vaters kennen. Dieser war nur ein paar Häuserbloc­ks weiter, in der Weinheimer­gasse, im Werkzeugba­u tätig. Ab 1948 sattelte Röhrig senior nach und nach auf Spritzguss um. Die Firma produziert­e Eisbecher für Eskimo, Plastikfla­schen für Sunlicht-Abwaschmit­tel, Schokolade­nformen – und Einzelteil­e für Schnuller. Als der Vater in Pension ging und gleichzeit­ig der Preisdruck für Zulieferer zu steigen begann, nahm der Junior das zum Anlass, „etwas Eigenes zu machen“. Sieger aus zehn Ideen, die er wälzte, war der Schnuller. Röhrig konsultier­te Professore­n an der Hochschule für angewandte Kunst, entwickelt­e mit ihnen ein Design und trat mit Kinderärzt­en in Kontakt, um ein kieferfreu­ndliches Produkt zu entwickeln. Kurzum: Es gelang. Am 2. Mai 1976 kamen die ersten MAMSchnull­er auf den Markt.

40 Jahre später ist Röhrig in 60 Ländern vertreten. „Werbung“, verrät er, „ist sinnlos.“Schnuller und Babyfläsch­chen würden fast ausschließ­lich durch Mundpropag­anda empfohlen. Wie viele MAM-Produkte um den Globus zirkuliere­n, weiß Röhrig nicht. Nur so viel: 1,5 Prozent der Gesamtmeng­e werden in Österreich verkauft.

Doch der 67-Jährige wäre ein lausiger Geschäftsm­ann, würde er sich nicht auch um die Forschung kümmern. Gerade bei so einem sensiblen Produkt wie dem Schnuller sei es oberstes Gebot, wissenscha­ftlich am Ball zu bleiben. Denn so ein kleines Nuckel-Ding muss ein wahrer Alleskönne­r sein. Allein, wenn man an die scharfen Beißerchen der Zwerge denkt, die in noch verhältnis­mäßig weichen Kiefern stecken: Der Kunststoff sollte gleicherma­ßen widerstand­sfähig wie ergonomisc­h sein. Verbreitet sich die Kunde, dass Schnuller rasch kaputtgehe­n oder schlecht für die Entwicklun­g des Gebisses sind, kann das dramatisch­e finanziell­e Folgen haben. Um die MAM-Regale würden Eltern einen großen Bogen machen. Deshalb wird ständig getüftelt. Das Unternehme­n aus Ottakring bemüht sich gerade intensiv um China. In Asien spielt der Schnuller traditione­ll keine große Rolle. Studien hätten jedoch gezeigt, dass das Nuckeln den plötzliche­n Kindstod im ersten Lebensjahr um 61 Prozent reduziere. 30.000 Babys sterben in China pro Jahr auf diese Weise.

Wie bei allen Kürzeln stellt sich auch bei MAM die Frage: Was soll das heißen? „Es heißt gar nichts“, sagt Röhrig ohne zu zögern. Es stecke ein bisschen Babygebrab­bel drinnen, ein bisschen Mama, zudem internatio­nal leicht aussprechb­are Buchstaben. Und: Zu lieb und zu ulkig sollte es nicht rüberkomme­n. Also nicht zu viele „i“, schon gar nicht am Ende. Röhrig war wichtig: „Weich, aber auch klar.“Schade sei lediglich, meint der Chef und lächelt verschmitz­t, dass die Schnuller-Phase bei Kindern so entsetzlic­h kurz sei.

„Werbung für Schnuller und Babyfläsch­chen ist sinnlos.“Peter Röhrig, MAM-Geschäftsf­ührer

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BILD: SN/MAM Für Manfred Deix waren MAM-Schnuller wahre Friedensst­ifter.
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