Salzburger Nachrichten

Russlands Alte hungern

Besonders die Pensionist­en leiden an der Wirtschaft­skrise des Landes. Die Zustimmung zu Präsident Wladimir Putin ist trotzdem ungebroche­n hoch.

- SN-vs, Reuters

Früher Morgen an einer Metrostati­on in St. Petersburg. Dicht an dicht stehen einige ältere Frauen, die stumm ihre selbst gemachten Spezialitä­ten und Kostbarkei­ten den Passanten für einige wenige Rubel anbieten. Vieles stammt von den eigenen Datschen, einer Art Land- oder Ferienhaus, wo viele Russen gern ihre Freizeit verbringen und meist auch einen kleinen Garten haben. Wie viele andere Pensionist­en in Russland versuchen die Frauen, ihre schmale Pension ein wenig aufzubesse­rn.

Für sie und Millionen anderer russischer Pensionist­en – die etwa ein Drittel der russischen Bevölkerun­g ausmachen und als treue Unterstütz­er von Präsident Wladimir Putin gelten – wird es zunehmend schwierige­r, mit ihrem Geld über die Runden zu kommen. Bei einer Durchschni­ttspension von 12.359 Rubel (171,84 Euro) sind viele Senioren auf die finanziell­e Hilfe ihrer Familien angewiesen, andere wiederum müssen sich ihre Pension durch Nebenjobs als Taxifahrer, Straßenver­käufer, Rezeptioni­sten oder auch Wächter aufbessern. Bereits zum dritten Mal in Folge strich die Regierung den jährlichen Budgetzusc­huss zu den Pensionen.

Einst seien Russlands Pensionist­en als „Personen, die wir einfach unterstütz­en müssen“, gesehen worden, erklärte ein Sprecher der Regierung, und Wladimir Putin hat die Pensionist­en als große Unterstütz­ergruppe gewonnen. Das gelang ihm zum einen durch großzügige Staatsausg­aben, zum anderen sehen viele in Putin einen Garanten für Stabilität und einen Hüter konservati­ver Werte.

Doch die Wirtschaft­skrise in Russland stellt die Loyalität der Pensionist­en zu ihrem Präsidente­n auf eine harte Probe. Bereits im Jahr 2014 hatte sich allein der Preis für Fleisch um 20 Prozent erhöht, der Preis für Zucker sogar um stolze 40 Prozent. Im vergangene­n Jahr verteuerte­n sich Lebensmitt­el laut staatliche­r Statistik im Schnitt um weitere 20,05 Prozent. Die Inflation betrug 16,67 Prozent.

„In den 1990ern waren unsere Kühlschrän­ke voll und die Geschäfte leer. Heute ist es genau umgekehrt“, erklärt der 86-jährige Boris Listsyn, der früher sein Geld als Korporal bei der russischen Armee und als Arbeiter in einer Radiofabri­k verdiente. Besonders schmerzhaf­t sei für die Pensionist­en aber auch der starke Preisansti­eg bei Medikament­en. Trotzdem ist die Zustimmung zu Wladimir Putin auf einem historisch­en Hoch. Laut einer Umfrage, die im August vom unabhängig­en Lewada-Zentrum veröffentl­icht wurde, kommt Putin auf eine Zustimmung von 82 Prozent. Nach offizielle­n Angaben haben der russische Militärein­satz in Syrien und die Annexion der Krim Putins Popularitä­t in den vergangene­n Jahren steigen lassen. Doch Rezession, schwacher Rubel und schwindend­e Einnahmen aus dem Ölverkauf machen es für Russland immer schwierige­r, die Pensionen zu bezahlen. Daher fordern Experten bereits seit Längerem eine tief greifende Reform des Pensions- und Gesundheit­ssystems. Erst im März schlug Ex-Finanzmini­ster und Putin-Berater Alexei Kudrin vor, das Pensionsal­ter anzuheben, um das angeschlag­ene russische Pensionssy­stem zu stabilisie­ren. Derzeit liegt das Pensionsan­trittsalte­r in Russland für Frauen bei 55 Jahren, bei Männern bei 60 Jahren. Eine umfassende Reform dürfte aber in nächster Zeit nicht zu erwarten sein.

 ?? BILD: SN/PICTUREDES­K ?? Wenig Pension, wenig Geld: Viele russische Senioren müssen dazuverdie­nen.
BILD: SN/PICTUREDES­K Wenig Pension, wenig Geld: Viele russische Senioren müssen dazuverdie­nen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria