Im Handymeer geht das Erlebnis unter
Was tun, wenn Konzertbesucher lieber auf ihr Smartphone starren als auf die Bühne? Während Stars sich noch ärgern, hat sich Apple ein Patent gesichert. Und Marketingexperten wittern neue Chancen fürs Musikgeschäft.
SALZBURG. Rihanna hat es heuer bereits getan. Und Adele ebenfalls. Beide Sängerinnen zählen zur wachsenden Gruppe an Popstars, die ihre Fans zurechtweisen, wenn diese bei Konzerten ihren Smartphones mehr Aufmerksamkeit schenken als dem eigentlichen Live-Ereignis. „Ihr könnt mich doch auch wirklich sehen, nicht nur auf eurem Display“, klärte etwa die britische Sängerin Adele in Verona eine eifrig filmende Konzertbesucherin auf. Und US-Diva-Rihanna verbat sich jüngst bei einem Auftritt in Lille, dass die Fans ihren Freunden SMS schicken oder gar auf Pokémon-Jagd gehen, während sich die Künstlerin auf der Bühne um ihre Aufmerksamkeit bemüht.
Die Standpauken kommen nicht von ungefähr. Die Bilder, die mittlerweile bei fast jedem Popkonzert zu sehen sind, lassen sich auch mit Zahlen unterlegen. Laut einer Umfrage eines US-Marktforschungsinstituts verbrachte im Vorjahr ein Drittel der 18- bis 34-Jährigen mindestens die Hälfte eines Konzerts mit dem Smartphone in der Hand. In der Popkultur hat das Telefon nicht nur die Feuerzeuge abgelöst, die man früher fürs Lichtermeer dabeihaben musste. Meist geht es darum, die besten Konzertmomente auf Fotos und Videoclips festzuhalten und gleich in sozialen Netzwerken weiterzuverteilen. So lässt sich den Zuhausegebliebenen zeigen, was sie versäumen. Dass übereifrige Handyfilmer dabei allerdings selbst Gefahr laufen, die Magie des Augenblicks zu verpassen, muss sich auf WhatsApp und Co. erst noch herumsprechen. Beim Jazzfestival in Montreux versuchten es die Veranstalter deshalb heuer mit einer anderen Strategie.
Damit die Zuhörer sich wieder stärker auf die Konzerte konzentrieren, bot das Festival selbst professionelle, kurze Mitschnitte von den Konzerten an. Das MontreuxPublikum konnte sie über eine eigene App per Knopfdruck anfordern, teilen und weiterschicken, ohne ständig mit dem Handy vor den Augen der anderen Zuschauer herumzuwedeln.
In den USA hingegen greifen entnervte Popstars mitunter zu strengeren Maßnahmen. Sängerin Alicia Keys ließ ihren Fans vor einem Auftritt in New York die Smartphones kurzerhand wegsperren. „Das ist ein handyfreies Ereignis“, stand als Warnhinweis vor der Halle, wie die „Washington Post“berichtete.
Der Slogan ist überall dort zu lesen, wo eine Erfindung des US-Unternehmens Yondr zum Einsatz kommt. Yondr hat Handy-Täschchen mit einer Art Zentralverriegelung entwickelt. Ins Konzert dürfen Besucher ihr Smartphone zwar mitnehmen. Aber sie müssen es in den Täschchen verstauen, die am Eingang ausgehändigt werden. Beim Betreten des Konzertbereichs macht es Klick und der Behälter verriegelt sich. Wer sein Telefon während der Show benutzen will, muss vor die Tür gehen, wo die Tasche das Handy freigibt. „Wir wollen den Leuten wieder zeigen, wie stark ein Moment sein kann, wenn man nicht dauernd damit beschäftigt ist, ihn festhalten zu wollen“, heißt es auf der Internetseite von Yondr. Auch US-Schulen interessieren sich laut Medienberichten für das System.
Gegen unerwünschte Konzertaufnahmen hat sich unterdessen Apple bereits 2011 eine Methode patentieren lassen, die erst heuer im Juni öffentlich bekannt wurde. Dass Tausende ihre Geräte zücken, um damit Fotos und Videos zu machen, ist zwar prinzipiell im Sinn des iPhone-Konzerns. Das Patent soll indes Aufnahmen dort verhindern können, wo sie unerwünscht sind. Laut Patentbeschreibung könnten daher bei künftigen Smartphone-Modellen Infrarotstrahlen, die von der Bühne gesendet werden, die Aufnahmefunktion temporär außer Betrieb setzen. „Recording Disabled“würden dann iPhone-Besitzer auf ihrem Display zu lesen bekommen, wenn sie beim Konzert mitschneiden wollen.
Ob die Erfindung auch in die Realität umgesetzt wird, ist freilich derzeit noch nicht klar.
Abnehmer dürften Systeme zur Eindämmung des SmartphoneMeeres bei Konzerten indes nicht nur in der Popkultur finden. Im klassischen Konzertsaal ist die Plage längst heimisch: 2013 brach etwa der Pianist Krystian Zimerman ein Konzert wegen eines handyfilmenden Fans ab. In seiner Standpauke verwies er auf die wirtschaftlichen Einschnitte, die massenhaft online gestellte Mitschnitte für Künstler bedeuten. Wer alles gratis im Netz findet, wartet auch in der Klassik nicht mehr so leicht auf das Erscheinen des offiziellen Albums.
Unterdessen träumen Marketingstrategen im Popbereich bereits in anderen Dimensionen. Wenn bei Konzerten ohnehin jeder auf das Display seines Telefons starre, philosophierte etwa ein Brancheninsider im US-Branchenmagazin „Billboard“, sei das eine willkommene Gelegenheit, um neue Geschäfte anzubahnen: Zum Beispiel, indem die Besucher, während ihr Star noch auf der Bühne steht, bereits mit einer Push-Nachricht auf den Sonderrabatt beim Leiberl-Verkaufsstand aufmerksam gemacht werden. Oder auf die Happy Hour beim Bierstand. Aufs Fotografieren könnten ablenkungsfreudige Popfans dann glatt vergessen.
„Ich will auch nicht sehen, dass ihr im Konzert Pokémon fangt.“Rihanna, Popstar