Kein Putin, kein Russland
Seit 16 Jahren regiert Wladimir Putin. Es herrscht Rezession, die Einkommen sinken, die Inflation galoppiert. Trotzdem ist der Präsident der Liebling der Nation.
Der russische Präsident Wladimir Putin ist ein Politiker von besonderem Format. Er reitet auf Pferden, jagt mit nacktem Oberkörper Bären, hat den 8. Dan der Meisterstufe im Judo, führte 2015 die „Forbes“-Liste der mächtigsten Menschen der Welt an und lenkt ganz nebenbei seit mehr als 16 Jahren die Geschicke des flächenmäßig größten Staates der Welt.
Und das scheinbar erfolgreich: Laut einer Umfrage, die vom unabhängigen Lewada-Institut veröffentlicht wurde, genoss Putin im Juli eine Zustimmung von 82 Prozent. Ein Wert, von dem viele Politiker weltweit nur träumen können. Und das trotz Rezession, fallender Realeinkommen, lang aufgeschobener Reformen und galoppierender Inflation.
Die Gründe sind vielfältig. Zum einen führen viele Russen den im Vergleich zu den 1990er-Jahren trotzdem gestiegenen Lebensstandard auf ihren Präsidenten zurück. Zum anderen wird Putin als Reformer der russischen Armee gesehen, der Russlands geopolitische Position sichere. Nach der Annexion der Krim und dem Einsatz der russischen Armee in Syrien stieg die Zustimmung zu Putin im November 2015 auf 90 Prozent. Und nicht zuletzt schätzen die Russen ihren Präsidenten für seinen angeblichen Kampf gegen die Korruption.
Mit allem, was im Staate vor sich geht, sind die Russen aber nicht zufrieden. Dafür ist jedoch nach herrschender Ansicht nicht der Präsident verantwortlich. Vielmehr folgt man in Russland dem Jahrhunderte bewährten Motto „Der gute Zar, betrogen von den bösen Bojaren“. Sprich: die Regierung rund um Premierminister Dmitrij Medwedew und lokale Politiker werden für weniger erfreuliche Entwicklungen im Land verantwortlich gemacht. So liegt die Zustimmung zur Regierung „nur“bei 55 Prozent. Logisch, dass sich Putin angesichts bevorstehender Parlamentswahlen im September von seiner Partei distanziert.
Ministerpräsident Dmitrij Medwedew kündigte nun eine Pensionserhöhung in der Höhe von 470 Milliarden Rubel (6,5 Milliarden Euro) an. Die Pensionisten, die rund ein Drittel der Bevölkerung ausmachen, gelten als besonders treue Unterstützer.
Die ungebrochene Beliebtheit Putins hat verschiedene Wurzeln. Im langen Schatten der Sowjetunion sei das Verlangen der Russen nach Selbstrespekt genauso ausgeprägt wie das Verlangen gut zu leben, erklärte Lev Gudkov, Direktor des Lewada-Zentrums.
Vor allem die Auslandsabenteuer des Präsidenten hätten dem nach Ende der Sowjetära angeknacksten Selbstbewusstsein gut getan. Der Präsident habe sich über die Jahre zum personifizierten Russland entwickelt. Oder wie es einst Putins stellvertretender Stabschef ausdrückte: Kein Putin, kein Russland.
So sieht auch ein Moskauer Student Putins Politik durchaus positiv. „Wladimir Putin hat nach den schwierigen 1990er-Jahren den Menschen sehr geholfen. Die Löhne haben sich erhöht, Stabilität hat sich im Land eingestellt und Putin hat Russlands Rolle in der internationalen Politik gestärkt. Er lässt sich seinen Kurs nicht von den USA oder der EU diktieren und tritt für die Interessen Russlands im Ausland ein. Putin ist ein genialer Diplomat“, sagte der Student.
Yuri Lewada, Gründer des Lewada-Zentrums, erklärte 2005, dass die Zustimmungswerte in Wahrheit weniger mit den Handlungen Putins zu tun hätten, sondern dass der Präsident vielmehr „ die kollektiven Erwartungen, Hoffnungen und Illusionen spiegelt“.