Schweden führt Leseferien ein
Im einstigen PISA-Vorzeigeland hat ein Fünftel der männlichen Gymnasiasten Probleme, einfachste Texte sinnerfassend zu lesen. Nun greift der Staat ein.
Morgens in der Stockholmer U-Bahn wirken die Smartphones an den Köpfen der jungen Fahrgäste wie festmontiert. Bücher und Printmedien oder auch nur bloßes Dasitzen und Nachdenken sieht man kaum noch. Der umfassende Einzug von flackernden Bildschirmen in den Alltag von Kindern und Jugendlichen hat das Lesevermögen junger Schweden seit dem letzten Jahrzehnt drastisch verschlechtert.
Im PISA-Ranking ist das Land innerhalb eines Jahrzehnts von Spitzenplätzen weit ans Ende gerutscht. 20 Prozent der männlichen Fünftklässler in Schweden haben sogar Schwierigkeiten, einfachere Texte etwa in Zeitungen zu verstehen.
Die rot-grüne Regierung in Stockholm will diesen Trend nun brechen. „Die Herbstferien werden nun Leseferien, in denen Kommunen und staatliche Institutionen Aktivitäten arrangieren, die das Lesen fördern“, verkündete Ministerpräsident Stefan Löfven in dieser Woche. Wie die Winterferien, die in Schweden Sportferien genannt werden, weil sie zum Skifahren genutzt werden, sollten nun auch die Herbstferien ein Motto erhalten, sagte Löfven. Fünf Millionen Kronen (527.000 Euro) will er ab 2017 jährlich dafür ausgeben.
„Die Leseferien sind auch ein Startschuss, um Kräfte zu bündeln und auf das Problem aufmerksam zu machen“, erklärt Helene Öberg, oberste Staatssekretärin im Bildungsministerium. Vieles solle auf freiwilliger Basis und in der Eigenregie der Eltern, Lehrer, Bibliotheken und Kommunen geschehen, betont sie. So sollen Lehrer etwa Leseaufträge für die Herbstferien vergeben. „Es gibt nur eine Möglichkeit, um das Lesevermögen wieder zu erhöhen – Kinder müssen lesen, lesen, lesen“, betonte der grüne Bildungsminister Gustav Fridolin.
Johan Unenge, Ex-Lesebotschafter des staatlichen Kulturrats und im Vorstand der Organisation Lesebewegung, ist begeistert: „Kinder lesen zu lassen ist ja nicht teuer. Wir haben gute Infrastrukturen und müssen sie nur richtig ausrichten. In Schweden hat fast jede Schule eine Bibliothek, hinzu kommen viele andere Einrichtungen.“
Auch Eltern müssten wieder stärker in die Pflicht genommen werden, sagt Unenge. In den vergangenen zehn Jahren sei der Anteil der schwedischen Eltern, die ihren Kindern abends regelmäßig vorläsen, von 75 Prozent auf die Hälfte gefallen, führt Unenge aus. „Gerade jüngere Eltern tragen selber die Buchkultur nicht mehr so in sich wie frühere Elterngenerationen. Nach Feierabend werden Filme angeschaut und Facebook genutzt.“
Einst seien die Herbstferien auch Kartoffelferien genannt worden, weil die Schüler bei der Ernte helfen sollten. Es sind auch Ferien, in denen Familien selten verreisen. Sie seien ideal, um mit Kindern spielerisch Freude an Büchern zu entwickeln, betont Unenge. Seine Lesebewegung hat bereits im vergangenen Herbst Probeleseferien mit über 300 Veranstaltungen durchgeführt und die Regierung zu diesem Schritt überredet.
Stockholm kündigte an, eine sogenannte Lesedelegation einzuberufen, die sämtliche Aktivitäten in den Leseferien und darüber hinaus koordiniert und entwickelt. Schulen, der Kulturbereich und Vereine sollen auf lokaler Ebene mitwirken. Lehrer und Eltern sollen angespornt werden, ihr Engagement zu erhöhen. Ein Hauptaugenmerk soll dabei auf Literatur gesetzt werden.
Mit gezielten Projekten sollen vor allem Eltern und Kinder aus sozioökonomisch schwächeren Schichten erreicht werden. Auch in Schwedens Vorschulen ist das Vorlesen laut einer Studie deutlich unterentwickelt. Zudem will Stockholm Personalbestand und Ausbildung an den Lehrerhochschulen verbessern.