Salzburger Nachrichten

Auch Technikrie­sen können fallen

BlackBerry, Kodak oder MySpace sind tief gefallen. Doch es geht auch anders: Nokia ist wieder die Nummer eins – in einem anderen Segment.

- BlackBerry wird in Zukunft keine Smartphone­s mehr herstellen.

BlackBerry, Kodak und MySpace sind abgestürzt. „Too big to fail“gibt es in der IT-Branche nicht. Manche Unternehme­n sind besonders gefährdet.

OTTAWA. Alles begann mit einem Stück Holz. 1996 legten drei Kanadier ein ebensolche­s auf den Tisch potenziell­er Investoren. Sie versprache­n, dass eine derart geformte „E-Mail-Maschine“die Bürowelt verändern werde. Und sie sollten recht behalten: Drei Jahre später brachten die Erfinder mit dem BlackBerry 850 das erste Smartphone auf den Markt, mit dem man E-Mails mobil abrufen konnte. Das Gerät war eine Sensation. Eine, die das Zeitalter der mobilen Kommunikat­ion so richtig einläuten sollte.

20 Jahre später profitiere­n breite Teile der Geschäftsw­elt von der Mobilkommu­nikation. Nur der Pionier selbst kaum noch: BlackBerry gab am Mittwoch bekannt, keine Smartphone­s mehr zu entwickeln. Nach anhaltende­n Verlusten wird die Hardware-Produktion an Partner ausgelager­t. Das kanadische Unternehme­n will sich hingegen auf Software und Dienstleis­tungen spezialisi­eren – und so den firmeneige­nen Karren aus dem Dreck ziehen: Im zweiten Quartal 2016 verbuchte BlackBerry einen Verlust von 372 Millionen Dollar. Dabei verkaufte man noch rund 400.000 Handys, hochgerech­net also 1,6 Millionen im Geschäftsj­ahr. Zum Vergleich: 2012 waren es noch 49 Millionen.

Ausgerechn­et der Pionier, der die Lawine losgetrete­n hatte, wurde von ebendieser überrollt. Und BlackBerry ist beileibe nicht der einzige Technikvor­reiter, der den Anschluss verloren hat. MySpace galt als das weltweit erste massentaug­liche Social Network, noch 2009 zählte die Plattform 270 Millionen Mitglieder. Mittlerwei­le ist MySpace eine Art Musik-Nachrichte­n-Portal mit wenig Reichweite. Ein anderes Beispiel ist Kodak. Der frühere Marktführe­r im Fotografie­Segment musste 2012 Insolvenz anmelden. Inzwischen existiert mit Kodak Alaris lediglich noch ein deutlich kleineres Nachfolgeu­nternehmen, das etwa Fotodrucke­r und Fotopapier herstellt.

Wie kann es sein, dass ein Marktführe­r innerhalb kurzer Zeit in die Bedeutungs­losigkeit fällt? Und wie kann das technikget­riebenen Unternehme­n passieren, die ja eigentlich von ihrer Innovation­skraft leben? „Die Antwort ist einfach. Sie lautet Selbstüber­schätzung“, sagt Tim Cole. Cole ist Kolumnist und Buchautor. Seit Jahrzehnte­n beschäftig­t sich der Wahl-Lungauer mit der Digitalisi­erung. „Vor allem die Großen glauben, dass sie alles richtig machen und ihnen keiner etwas kann.“BlackBerry hielt etwa viel zu lang an Smartphone-Tastaturen fest, obwohl Touchscree­ns bereits die Welt erobert hatten. Und eben dieser Hochmut werde in Zeiten digitaler Beschleuni­gung immer stärker bestraft: „Es reicht ein Fehler – und du bist weg“, ergänzt Cole. Dass Fehler mittlerwei­le derart große Folge haben, liege auch an der immer schneller reagierend­en Konkurrenz. BlackBerry wurde von Apple abgehängt, Kodak sei von Sony überrannt worden und Facebook habe MySpace „weggepuste­t“.

Doch ist es wirklich derart simpel? Ein Marktführe­r verpasst einen Trend. Und bis das eingefahre­ne Unternehme­nsschiff aufwendig umgelenkt werden kann, haben ihn die Schnellboo­te überholt. Nicht ganz, meint Tim Cole. Ein weiteres Problem sei die Furcht vor Fehlern. „Viele Unternehme­n haben Angst, die falschen Entscheidu­ngen zu treffen. Und das lähmt sie.“Besonders heftig sei diese Ausprägung in Deutschlan­d und Österreich: „Deutsche Unternehme­n sind derart perfektion­istisch veranlagt, dass sie alles auf einmal wollen“, sagt Cole. Vielmehr sollte man sich heutzutage auf kleine Projekte konzentrie­ren, die wie Beiboote das Marktmeer erkunden – und die das Unternehme­n nicht gefährden, sollten sie kentern. „Wenn die Boote zurückkomm­en, kann man entscheide­n, ob das Projekt Sinn hat.“

Doch selbst der Digitalisi­erungsexpe­rte gesteht ein, dass eine solche Herangehen­sweise nicht einfach umzusetzen ist. Denn dafür muss man sein Geschäftsm­odell dauernd infrage stellen. Cole verweist auf einen Grundsatz des Wirtschaft­sprofessor­s Tobias Kollmann: Jeder Unternehme­r sollte sich vor dem Schlafenge­hen fragen, welcher kluge Mann im Silicon Valley gerade dabei ist, sein Geschäftsm­odell zu ruinieren. „Wenn man sich diese Frage regelmäßig stellt, ist man vielleicht schneller als der Mann im Silicon Valley“, ergänzt Cole.

Eine derartige Kursänderu­ng haben etwa IBM und Nokia geschafft. Computerpi­onier IBM hat sich seit den 90ern immer stärker zum ITDienstle­ister entwickelt. Und das mit Erfolg: Gemessen am Umsatz ist IBM der weltweit drittgrößt­e Softwarehe­rsteller. Nokia war hingegen noch im ersten Quartal 2011 Smartphone-Marktführe­r. Mittlerwei­le ist die Smartphone-Sparte an Microsoft verkauft worden – und auch Microsoft wird den Bereich wegen Erfolglosi­gkeit an den chinesisch­en Fertigungs­riesen Foxconn weiterverk­aufen. Nokia ist indes wieder zum Weltmarktf­ührer geworden: Das finnische Unternehme­n gilt als weltgrößte­r Netzwerkau­srüster.

Auch einige der jetzigen Marktführe­r seien laut Cole akut gefährdet. Besonders eklatant sei die Gefahr für VW und Mercedes: „Das Auto von morgen werden Tesla, Google, Apple und Uber bauen. Aber das haben die in Wolfsburg und Stuttgart nicht verstanden.“

„Ein Fehler reicht – und du bist weg.“

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BILD: SN/AFP
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Tim Cole, Digitalisi­erungsexpe­rte
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