„Hausverstand fehlt halt oft“
Gemeindebund-Chef Helmut Mödlhammer sieht tiefe Gräben in der österreichischen Gesellschaft.
Die Bundespolitik verliere immer mehr den Kontakt zu den Bürgerinnen und Bürgern, sagt der Präsident des österreichischen Gemeindebundes, Helmut Mödlhammer. Die Folge seien Gesetze und Vorhaben, die viel kosten und wenig bringen. SN: Nach dem Antritt von Bundeskanzler Christian Kern haben viele gehofft, dass die Regierung an einem Strang zieht und etwas weiterbringt. Haben sich diese Erwartungen erfüllt? Mödlhammer: Es gibt einige gute Ansätze, aber spürbar geändert hat sich noch nicht wirklich etwas. Viele große Reformen, die notwendig sind, sind nach wie vor offen. Bei vielen Vorhaben, die in Angriff genommen werden, frage ich mich außerdem, wozu sie gut sein sollen. SN: Was zum Beispiel? Da ist zum Beispiel die Frage nach dem zweiten verpflichtenden Kindergartenjahr. Das hört sich gut an. Tatsache ist, dass es gratis sein muss. Derzeit besuchen in Österreich zwischen 92 und 94 Prozent der Mädchen und Buben zwei Jahre vor ihrem Schuleintritt den Kindergarten. Das heißt, ich mache ein Gesetz für etwa fünf bis sechs Prozent der Kinder. Die Frage ist, ob sich dann bei diesen Familien wirklich etwas ändert und ob sie ihre Kinder dann in den Kindergarten schicken. Die Kosten für dieses Projekt betragen jedenfalls 70 Millionen Euro pro Jahr. Das Problem, dass ein paar Kinder, die es dringend notwendig haben, nicht in den Kindergarten gehen, müsste sich billiger regeln lassen. Natürlich profitieren auch die anderen Eltern finanziell von einem zweiten Gratiskindergartenjahr. Aber andererseits werden dann halt wieder die Steuern erhöht. Diese Liste lässt sich noch lang fortführen. In der Politik fehlt halt oft der Hausverstand. SN: Wenn dieses Projekt sinnlos ist, warum wird es dann trotzdem weiterverfolgt? Das Problem ist, dass die Politik, vor allem in Wien, von Mitarbeitern aus Ministerbüros und Experten gemacht wird. Die haben sich von der Realität abgeschottet, die wissen gar nicht mehr, was die Leute bewegt, die schielen zu oft auf die nächste Schlagzeile. Das könnte sich ein Bürgermeister gar nicht leisten, der wird von seinen Bürgerinnen und Bürgern gleich verantwortlich gemacht. Obwohl, zugegebenermaßen, die Probleme oft etwas einfacher zu lösen sind. SN: Diese Kluft zwischen Politik und Bürgern ist eine ernste Gefahr für die Demokratie? Natürlich, wenn die Bürger das Vertrauen verlieren und sich von der Politik abwenden, nicht mehr wählen gehen, dann hat das massive Auswirkungen. Ein Beispiel dafür ist die Wahlwiederholung im zweiten Wiener Bezirk. Die Wahlbeteiligung ist dort auf etwa 35 Prozent gesunken. Die Grünen sind, mit 12.000 Stimmen weniger, als sie beim ersten Wahlgang hatten, die überragenden Sieger geworden. Ob eine solche Entwicklung wirklich sinnvoll ist, dessen bin ich mir nicht so sicher. SN: Die Konfliktlinie in Österreich verläuft aber nicht nur zwischen politischer Klasse und Bürgern, sondern zunehmend auch zwischen Stadt und Land. So hat bei der Bundespräsidentenwahl Norbert Hofer vor allem in den ländlichen Regionen gewonnen, während Alexander Van der Bellen in den Städten die Nummer eins war. Auf dem Land haben die Leute in vielen Dingen eine andere Einstellung. Sie sind heimatverbundener, wollen sich selbst etwas schaffen, sind viel stärker in die Gemeinschaft integriert. In kleineren Einheiten müssen die Leute mehr Eigenverantwortung zeigen. Sie müssen sich engagieren, vom Roten Kreuz bis zur Feuerwehr, vom Kirchenchor bis zur Altenbetreuung. In der Stadt ist vieles professionalisiert, etwa die Berufsfeuerwehr. Das Leben ist anonymer. Außerdem sind die Grünen auf dem Land nicht so stark. Dort wo die Luft sowieso gut ist und es genug Grün gibt, muss man nicht darum kämpfen, wie etwa in einer Stadt, wo die Grünen ihr Klientel haben. Das sind Mentalitätsunterschiede, die man nicht wegdiskutieren kann. Außerdem glaube ich, dass in Zeiten der Globalisierung die Menschen wieder froh sind, in überschaubaren Regionen zu leben, wo sie sich auskennen und wo sie sich in die Gesellschaft einbringen können. SN: Was bräuchte Österreich Ihrer Meinung nach, um wieder auf die Überholspur zu kommen? Zuerst muss man einmal sagen, dass in Österreich vieles gut ist. Wenn man konkrete Vergleiche mit dem Ausland anstellt, wird man sehen, dass wir bei der Kinderbetreuung, in der Pflege, im Gesundheitsbereich sehr hohe Standards haben. Da braucht sich Österreich nicht verstecken. Was das Land braucht, ist aber auf jeden Fall weniger Bürokratie und mehr Eigenverantwortung der Bürgerinnen und Bürger. Bei uns ist alles furchtbar kompliziert, da verzweifeln viele kleine und mittlere Unternehmen total. Man braucht nicht für jedes kleine Problem eine gesetzliche Regelung, die dann einen langen Rattenschwanz an Bürokratie nach sich zieht.