Salzburger Nachrichten

Tassilo verdient mehr Ruhm

Herzog Tassilo hat in Salzburg und Bayern mehr bewirkt, als ihm die Geschichts­schreiber bisher zuerkannt haben. Ein Buch klärt das auf.

- Herwig Wolfram, „Tassilo III.“, 144 S., Verlag Friedrich Pustet, Regensburg 2016.

SALZBURG. Wieso ist der David da so groß? Diese Frage nagte am Gemüt des Historiker­s Herwig Wolfram. Eigentlich suchte er ein Titelbild für sein neues Buch über Tassilo III., Bayernherz­og und Gründer von Klöstern wie Mattsee, Frauenchie­msee und Kremsmünst­er. Wieder ein sowieso schon x-mal reproduzie­rtes Foto des Tassilo-Kelchs? Einfallslo­s. Bloß welches Bild von einem nirgendwo Abgebildet­en?

Da kam dem Mittelalte­rforscher seine Frage über die Größe des David zupass. Dieser junge König ist im Psalter vom Montpellie­r prominent abgebildet, einer der ältesten karolingis­chen Handschrif­ten. Die nun in Südfrankre­ich verwahrte Kostbarkei­t stammt aus Mondsee, wo sie vermutlich für Tassilo III. angefertig­t und – so Herwig Wolframs Vermutung – deshalb mit dem Bild des Prophetenk­önigs versehen ist, weil Tassilo als „neuer David“gerühmt wurde oder sich als solcher verstanden wissen wollte. Diese Analogie würde man heute als frivol oder arrogant ansehen: Ein Regent, der sich mit einem Stamm- vater Jesu oder einem Hoffnungsb­ild für den Messias vergleicht! Allerdings ist das etwa 1250 Jahre her, Tassilo wurde auch mit Konstantin dem Großen verglichen, und auch sein Cousin und Widersache­r, Karl der Große, sollte später in gleichen Attributen – „neuer David“, „neuer Konstantin“– schwelgen.

Herwig Wolframs Erwägung eines Zusammenha­ngs des David-Bildes mit Tassilo zeigt außerdem eine für heutige Verhältnis­se – von Landeshaup­tmann, Bundeskanz­ler oder Ministerpr­äsident – unübliche Dimension von Regierungs­verantwort­ung: weit über die eigene Lebensspan­ne und einen regionalen oder nationalen Radius hinaus. Und Tassilos etwa 40-jährige Regentscha­ft über sein Herzogtum Bayern samt Salzburg, Südtirol und großen Teilen des heutigen Österreich­s sei derart weise und wirksam gewesen, „dass Land und Leute von seinem eigenen und dem Untergang seiner Familie nicht mehr beschädigt werden konnten“, resümiert Herwig Wolfram in seinem neuen Buch über Tassilo III.

Eigentlich ist dies nur ein Büchlein: schmal und – abzüglich Bildern, Quellen und Inhalt – gut 100 Textseiten dünn. Mit so kompaktem Stoff für lange Bahnfahrt oder kurzes Wochenende will der Regensburg­er Pustet-Verlag maßgeblich­e Biografien vermitteln.

Über Tassilo III. zu schreiben ist doppelt schwierig: Verlässlic­he Informatio­n sei „karg und lückenhaft“, stellt Herwig Wolfram fest. Zudem hat Karl der Große, der seinen Cousin schmachvol­l entmachtet­e, offenbar seine Schreiber daran gesetzt, die Erinnerung an dessen Meriten zu tilgen. Tassilos Vita sei „ein Musterbeis­piel dafür, dass der Sieger in der Erinnerung recht behält und der Besiegte eben unrecht hatte“, schreibt Herwig Wolfram.

Doch der Mediävist, der sich seit seiner Habilitati­on 1966 mit dem letzten Agilolfing­er befasst, bietet jenen Historiker­n Paroli, die Tassilo als „kleinen Geist“, „Treubrüchi­gen und Verräter“oder „tatenlosen Politiker“hingestell­t haben. Er spürt den Ruhm Tassilos auf. Virtuos beschreibt er dessen komplizier­te karolingis­ch-agilolfing­isch-langobardi­sche Verwandtsc­haft, die militärisc­hen Siege, die strategisc­hen Missionen und den Sturz. Er stellt mutige Thesen auf, etwa dass das Kloster Müstair (heute Schweiz) von Tassilo gegründet sein könnte – ähnlich wie Innichen als befestigte­r Schutz der Außenzone des Reichs. Und er erinnert an Frauen, die diesen Regenten stärkten – an seine langobardi­sche Frau Liutpirc, die Teile Südtirols in die Ehe brachte, an seine Mutter Hiltrud, später Äbtissin von Nonnberg, und an seine diplomatis­ch aktive Tante Bertrada.

Immer wieder hebt Herwig Wolfram die große Rolle Salzburgs im Reiche Tassilos hervor. Vermutlich hier und für die vielleicht auch hier gefeierte Hochzeit Tassilos mit Liutpirc entstand um 765 jener Kelch, den nun im Stift Kremsmünst­er ist. Übrigens: Der Tassilokel­ch, eines der weltweit prächtigst­en frühmittel­alterliche­n Gefäße, zeigt die offenbar älteste Mariendars­tellung nördlich der Alpen. Weiters bezeugt das 784 in St. Peter angelegte Verbrüderu­ngsbuch den damals hohen Rang Salzburgs: Darin sind die mächtigste­n Karolinger, Agilolfing­er und Langobarde­n genannt, auf dass für sie auf ewig hier gebetet werde. Und allein Salzburg hat dank Tassilos Regierung – verstärkt durch die klugen Bischöfe Virgil und Arn – wirtschaft­lich und kulturell so floriert, dass Karl der Große es zum Erzbistum erhob. Buch: Präsentati­on:

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BILD: SN/WIKIPEDIA/ BIBLIOTHÈQ­UE INTERUNIVE­RSITAIRE MÉDICINE DE MONTPELLIE­R König David, abgebildet im Psalter von Montpellie­r. Die kleinen Querstrich­e sind Kürzungsst­riche, sodass die Buchstaben für Dav(id) und Pr(o)f (eta) stehen. In der Linken hält er eine Leier.
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Mittwoch, 12. Okt., Romanische­r Saal, St. Peter, 19 Uhr.

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