Tassilo verdient mehr Ruhm
Herzog Tassilo hat in Salzburg und Bayern mehr bewirkt, als ihm die Geschichtsschreiber bisher zuerkannt haben. Ein Buch klärt das auf.
SALZBURG. Wieso ist der David da so groß? Diese Frage nagte am Gemüt des Historikers Herwig Wolfram. Eigentlich suchte er ein Titelbild für sein neues Buch über Tassilo III., Bayernherzog und Gründer von Klöstern wie Mattsee, Frauenchiemsee und Kremsmünster. Wieder ein sowieso schon x-mal reproduziertes Foto des Tassilo-Kelchs? Einfallslos. Bloß welches Bild von einem nirgendwo Abgebildeten?
Da kam dem Mittelalterforscher seine Frage über die Größe des David zupass. Dieser junge König ist im Psalter vom Montpellier prominent abgebildet, einer der ältesten karolingischen Handschriften. Die nun in Südfrankreich verwahrte Kostbarkeit stammt aus Mondsee, wo sie vermutlich für Tassilo III. angefertigt und – so Herwig Wolframs Vermutung – deshalb mit dem Bild des Prophetenkönigs versehen ist, weil Tassilo als „neuer David“gerühmt wurde oder sich als solcher verstanden wissen wollte. Diese Analogie würde man heute als frivol oder arrogant ansehen: Ein Regent, der sich mit einem Stamm- vater Jesu oder einem Hoffnungsbild für den Messias vergleicht! Allerdings ist das etwa 1250 Jahre her, Tassilo wurde auch mit Konstantin dem Großen verglichen, und auch sein Cousin und Widersacher, Karl der Große, sollte später in gleichen Attributen – „neuer David“, „neuer Konstantin“– schwelgen.
Herwig Wolframs Erwägung eines Zusammenhangs des David-Bildes mit Tassilo zeigt außerdem eine für heutige Verhältnisse – von Landeshauptmann, Bundeskanzler oder Ministerpräsident – unübliche Dimension von Regierungsverantwortung: weit über die eigene Lebensspanne und einen regionalen oder nationalen Radius hinaus. Und Tassilos etwa 40-jährige Regentschaft über sein Herzogtum Bayern samt Salzburg, Südtirol und großen Teilen des heutigen Österreichs sei derart weise und wirksam gewesen, „dass Land und Leute von seinem eigenen und dem Untergang seiner Familie nicht mehr beschädigt werden konnten“, resümiert Herwig Wolfram in seinem neuen Buch über Tassilo III.
Eigentlich ist dies nur ein Büchlein: schmal und – abzüglich Bildern, Quellen und Inhalt – gut 100 Textseiten dünn. Mit so kompaktem Stoff für lange Bahnfahrt oder kurzes Wochenende will der Regensburger Pustet-Verlag maßgebliche Biografien vermitteln.
Über Tassilo III. zu schreiben ist doppelt schwierig: Verlässliche Information sei „karg und lückenhaft“, stellt Herwig Wolfram fest. Zudem hat Karl der Große, der seinen Cousin schmachvoll entmachtete, offenbar seine Schreiber daran gesetzt, die Erinnerung an dessen Meriten zu tilgen. Tassilos Vita sei „ein Musterbeispiel dafür, dass der Sieger in der Erinnerung recht behält und der Besiegte eben unrecht hatte“, schreibt Herwig Wolfram.
Doch der Mediävist, der sich seit seiner Habilitation 1966 mit dem letzten Agilolfinger befasst, bietet jenen Historikern Paroli, die Tassilo als „kleinen Geist“, „Treubrüchigen und Verräter“oder „tatenlosen Politiker“hingestellt haben. Er spürt den Ruhm Tassilos auf. Virtuos beschreibt er dessen komplizierte karolingisch-agilolfingisch-langobardische Verwandtschaft, die militärischen Siege, die strategischen Missionen und den Sturz. Er stellt mutige Thesen auf, etwa dass das Kloster Müstair (heute Schweiz) von Tassilo gegründet sein könnte – ähnlich wie Innichen als befestigter Schutz der Außenzone des Reichs. Und er erinnert an Frauen, die diesen Regenten stärkten – an seine langobardische Frau Liutpirc, die Teile Südtirols in die Ehe brachte, an seine Mutter Hiltrud, später Äbtissin von Nonnberg, und an seine diplomatisch aktive Tante Bertrada.
Immer wieder hebt Herwig Wolfram die große Rolle Salzburgs im Reiche Tassilos hervor. Vermutlich hier und für die vielleicht auch hier gefeierte Hochzeit Tassilos mit Liutpirc entstand um 765 jener Kelch, den nun im Stift Kremsmünster ist. Übrigens: Der Tassilokelch, eines der weltweit prächtigsten frühmittelalterlichen Gefäße, zeigt die offenbar älteste Mariendarstellung nördlich der Alpen. Weiters bezeugt das 784 in St. Peter angelegte Verbrüderungsbuch den damals hohen Rang Salzburgs: Darin sind die mächtigsten Karolinger, Agilolfinger und Langobarden genannt, auf dass für sie auf ewig hier gebetet werde. Und allein Salzburg hat dank Tassilos Regierung – verstärkt durch die klugen Bischöfe Virgil und Arn – wirtschaftlich und kulturell so floriert, dass Karl der Große es zum Erzbistum erhob. Buch: Präsentation: