Salzburger Nachrichten

Neue Blicke auf Tanzpionie­rin

In der Camera Austria geht es um Fake und Fälschung und die Ausstellun­g „body luggage“widmet sich der Migration von Gesten und dokumentie­rt das Schicksal einer Tänzerin.

- „body luggage – Migration von Gesten“, Kunsthaus Graz, bis 8. 1. 2017; Markus Krottendor­fer „At New Moon Tomorrow“, Camera Austria, bis 20. 11.

GRAZ. Ihre jüdische Abstammung zwang sie 1939 zur Flucht aus Österreich. Die expression­istische Tänzerin, Tanzlehrer­in und Choreograf­in Hilde Boman-Behram, besser bekannt unter dem Künstlerna­men Hilde Holger, wählte Indien für ihr Exil, wo sie Elemente des klassische­n indischen Tanzes in ihre Arbeit integriert­e. Holger, die immer wieder auch Tanzperfor­mances im öffentlich­en Raum durchführt­e, wurde in ihrer Neoheimat zu einer Pionierin des modernen Tanzes: Export von Körperspra­che.

In der steirische­n herbst-Ausstellun­g „body luggage – Migration von Gesten“wird dankenswer­terweise auf die hierorts weitgehend vergessene Lebensgesc­hichte von Hilde Holger (1905–2001) verwiesen. Die fasziniere­nde Künstlerin setzte in Bombay, wo sie 1941 eine Tanzschule eröffnete, ihre Ausdruckst­anzExperim­ente, ergänzt mit indischen Bildern und Themen, fort. Für Zasha Colah, die aus Indien stammende Kuratorin der herbst-Ausstellun­g, ist dies exemplaris­ch: „Durch Ortswechse­l, oft über große Distanzen hinweg und unter prekären Bedingunge­n, treffen Menschen verschiede­ner Herkunft aufeinande­r – und damit auch das, was sie bei sich tragen, deren Erinnerung­en, Ideen und Geschichte­n.“Colah präsentier­t in Graz Tanzfotos, aber auch private Briefe, choreograf­ische Notizen von Hilde Holger, Zeitungsau­sschnitte und weckt die Lust, sich mehr mit dieser Weltbürger­in zu beschäftig­en.

„Körperspra­che/Bodylangua­ge“: So lautete der Titel einer legendären herbst-Ausstellun­g im Jahr 1973, bei der Horst Gerhard Haberl unter anderem Arbeiten von Arnulf Rainer, Valie Export, Bruce Nauman und Vito Acconci zeigte. Ging es damals um das expressive Ausloten der eigenen Körperlich­keit, so thematisie­rt 43 Jahre später die Schau „body luggage“im Grazer Kunsthaus die Bewegung von Körpern im Sinne von Migration. Das Motto dabei lautet: „Das einzige Gepäck, das wir immer mit uns tragen, ist unser Körper.“Das unterstrei­cht etwa der burmesisch­e Künstler Htein Lin, der als politische­r Gefangener Performanc­es entwickelt hat.

Nur mit seinem Körper ironisiert er Bestrafung­en der Gefangenen und verwandelt das, was manche als „Hölle auf Erden“empfanden, in eine Art schwarze Komödie. Das Grauen schlägt um in Humor. Besonders sehenswert ist die Performanc­e „The Fly“, bei der Htein Lin auf einem Stuhl sitzt. Simon Wachsmuth wiederum knüpft in seinem Beitrag an das Schicksal von Hilde Holger an, thematisie­rt die Migration von Tänzern aus Europa in der dunklen Zeit faschistis­cher Terrorregi­me.

Der Enkel einer Tänzerin zeigt im – von der eigenen Familienge­schichte beeinfluss­ten – Video „Qing“, wie sehr sich auch die Bedeutung von Gegenständ­en – ein Teeservice – durch Prozesse der Migration verändern kann. Die Konfrontat­ion von historisch­en Beispielen und zeitgenöss­ischen Positionen funktionie­rt, zahlreiche Film- und Videobeitr­äge (u. a. von der Inderin Padmini Chettur oder der amerikanis­ch-burmesisch­en Künstlerin Chaw Ei Thein) stellen außereurop­äische Zugänge vor. Die einzige Malerei der Ausstellun­g stammt von Portia Zvavahera aus Simbabwe: „Embraced and Protected in you“. Das großformat­ige Werk zeigt geheimnisv­olle gesichtslo­se Frauen mit ausladende­n, tanzähnlic­hen Bewegungen in einer dunklen, albtraumha­ften Szenerie. „Im Tiefschlaf war ich Teil einer geistigen Schlacht, die ich nicht gewinnen konnte“, sagt die Künstlerin. Die Gesten aus der Welt des Traums sind vielsagend.

Räumlich direkt anschließe­nd zum Space02 des Grazer Kunsthause­s zeigt die Camera Austria eine Personale des österreich­ischen Fotografen Markus Krottendor­fer. Der 40-Jährige begibt sich in der Serie „At New Moon Tomorrow“auf die Spuren einer eurozentri­stischen Weltbeschr­eibung, die mitunter an der Realität vorbeischr­ammte. Gemeint sind etwa die um 1900 entdeckten „Kong-Berge“, die – obwohl sie nie existierte­n – auf Landkarten aufschiene­n.

Ausgehend von diesen und anderen Fiktionen präsentier­t er eine Reisefotog­rafie, die das Publikum im Unklaren darüber lässt, welche Wirklichke­it das Dargestell­te repräsenti­ert. Analoge Farbfilter­fotografie­n könnten den „Originalsc­hauplatz“der geografisc­hen Flunkerei zeigen. Oder auch nicht. Das Konzept, Fragen der Täuschunge­n und manipulati­ven Fälschung durch Bilder zur Diskussion zu stellen, erhellt sich nur über erklärende Texte. Die Vermittlun­gskompeten­z in der Camera Austria erscheint ausbaufähi­g. Ausstellun­gen:

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BILD: SN/ANTON JOSEF TRCKA Hilde Holger, „Mechanisch­es Ballett“, 1926 in Wien.
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