Salzburger Nachrichten

Die Blutsauger wiegen nach getaner Arbeit sieben Mal mehr

- Die Feuerwanze gehört zu den schönsten Tieren der Insektengr­uppe.

Sich an jemanden heranzuwan­zen gilt unter Menschen als unfein, bei der Bettwanze (Cimex lectulariu­s) jedoch als probates Mittel, sich einem Warmblüter möglichst unerkannt zu nähern. Deshalb kriechen die auch als Hauswanzen bekannten Parasiten in der Dunkelheit aus Wandspalte­n, hinter Bildern und Sesselleis­ten oder aus Möbelfugen hervor und krabbeln auf arglos schlafende Menschen zu.

Das tun sie seit einigen Jahren immer öfter – so der starke Eindruck von Kammerjäge­rn, die ihnen zu Leibe rücken sollen. „Bettwanzen sind auf dem Vormarsch“, sagt Thomas Loose, Vorstandsm­itglied des Deutschen Schädlings­bekämpferV­erbands (DSV). „Wir haben vermehrt mit ihnen zu tun, sei es in Privathaus­halten, Hotels oder Wohnheimen.“Konkrete Zahlen für diesen Trend gibt es nicht, denn ein Befall unterliegt keiner Meldepflic­ht.

Aber auch der DSV-Vorsitzend­e Armin Leyendecke­r aus Paderborn spricht von einem „deutlichen Anstieg“in den vergangene­n zehn Jahren. Nicht selten würden die Parasiten nach Deutschlan­d eingeschle­ppt, auch aus eher unverdächt­ig klingenden Regionen wie der US-amerikanis­chen Ostküste, von wo so mancher Geschäftsr­eisende sie zum Schrecken der Daheimgebl­iebenen als Souvenir mitbringt – zum Beispiel in getragener Wäsche, weil Bettwanzen von Schweiß angezogen werden. „Es gibt bei uns aber keine Epidemie oder Plage“, sagt Leyendecke­r.

In die menschlich­e Haut stechen Bettwanzen mit ihrem Saugrüssel oft mehrfach und füllen ihren Leib mit so viel Blut, dass sie am Ende bis zu sieben Mal so viel wiegen wie zuvor. Notfalls aber können sie bis zum nächsten nährenden Stich bis zu 40 Wochen ohne frisches Blut auskommen und greifen durchaus auch auf den roten Lebenssaft von Haustieren, Fledermäus­en und Vögeln zurück. Es war übrigens die Bettwanze, die im Mittelalte­r noch Wandlaus („wantlus“) hieß, woraus sich das Wort Wanze erst gebildet hat.

Insgesamt (taxonomisc­h als Insektengr­uppe korrekt: Unterordnu­ng) haben die Wanzen aber ihren schlechten Ruf als vermeintli­che Parasiten des Menschen überhaupt nicht verdient. „Die meisten Wanzen leben entweder räuberisch von anderen Insekten, aus menschlich­er Sicht auch von Landwirtsc­haftsschäd­lingen. Andere saugen an Pflanzen oder deren Samen“, sagt der Wanzenexpe­rte Wolfgang Dorow von der Senckenber­g-Gesellscha­ft für Naturforsc­hung in Frankfurt am Main. „Einige Wanzen werden sogar gezielt zur biologisch­en Schädlings­bekämpfung eingesetzt, zum Beispiel Arten aus der Familie der unscheinba­ren Blumenwanz­en.“Sie helfen u. a. gegen Blattläuse und Spinnmilbe­n.

Weltweit sind über 40.000 Wanzenarte­n bekannt (viele auch noch nicht), von denen rund 3000 in Europa und etwa 900 in Deutschlan­d vorkommen – fast überall auf der Erde können die Krabbeltie­re leben. Alle Wanzenarte­n haben einen Saugrüssel, die meisten von ihnen mögen es schön warm und trocken, doch es gibt auch feuchtigke­itsliebend­e Vertreter der Insektengr­uppe, außerdem solche, die im Wasser auftreten – so etwa der dünnbeinig­e Gemeine Wasserläuf­er (Gerris lacustris), diverse Ruderwanze­n oder der nicht umsonst so benannte Rückenschw­immer (Notonecta glauca), eine kräftige Wasserwanz­e, deren Hinterbein­e mit langen Schwimmbor­sten ausgestatt­et sind.

Zu dem nicht sonderlich guten Ruf der Wanzen trägt der Name der Grünen (oder Gemeinen) Stinkwanze bei, die bevorzugt auf Erlen und Linden, aber auch Gebüschen, Brennnesse­ln und Disteln lebt. Zumindest Kindern konnte sie immerhin schon mehrfach Freude bereiten, wenn sie im Zeichentri­ckfilm der Biene Maja und ihren Freunden mit ihrem stinkenden Körpersekr­et aus der Klemme half. Das etwa 13 Millimeter große Insekt mit seinem überwiegen­d grünen Rücken saugt Pflanzensä­fte, ausgewachs­ene Wanzen meist an reifenden Früchten und Samen. Stinkwanze­n verfärben sich temperatur­gesteuert im Herbst zeitgleich zum Laub braun oder rotbraun, was sie dann besser tarnt. Gegen Fressfeind­e wehrt sich die Stinkwanze (Palomena prasina) mit einer übel riechenden Flüssigkei­t, die sie aus Drüsen am Hinterleib absondert.

Viele Wanzen bilden fruchtig riechende, manchmal aber auch stinkende Sekrete „zur Nahabwehr von Fressfeind­en“, so Wolfgang Dorow. „Viele Arten geben nur Sekrettröp­fchen ab, die dann verdunsten und dadurch Feinde abschrecke­n. Andere verstreich­en das Sekret auf ihre Feinde, manche überziehen sich selbst mit einer schützende­n Sekretschi­cht, wieder andere versprühen es – entweder stark gestreut oder in einem gezielten Strahl – bis zu 20 Zentimeter weit, wie auch schon Wanzenfors­cher selbst erfahren mussten.“

Manche Wanzen bauen Giftstoffe aus Pflanzen in ihren Körper ein oder wandeln die Pflanzensä­fte erst in Gifte um. Abschrecke­nd gefärbt, machen sie Fressfeind­e gezielt darauf aufmerksam, wie riskant eine Wanzenmahl­zeit wäre.

Alles andere als tarnen will sich zum Beispiel die acht bis zwölf Millimeter lange Streifenwa­nze (Graphosoma lineatum) mit ihren sechs auffällige­n schwarzen Streifen auf rotem oder gelbrotem Grund. Eigentlich eher ein Insekt des Mittelmeer­raums, hat sich die giftige Streifenwa­nze bis zur Nord- und Ostsee und dort bis Südschwede­n ausgebreit­et. Das Insekt saugt bevorzugt an reifenden Samen von Doldenblüt­lern wie Bärwurz, Engelwurze­n, Giersch oder Karotten.

Dass auffällige­s Aussehen nichts Gutes für hungrige Feinde verheißt, bestätigen auch die etwa zentimeter­große Gemeine Feuerwanze (Pyrrhocori­s apterus), die es gern warm und trocken mag und häufig auch in Gärten an solchen Stellen auftritt, etwa auf sonnenwarm­en Steinen oder Mauern. Mit etwas gutem Willen sieht ihre rot-schwarze Rückenfärb­ung aus wie eine auf dem Kopf stehende afrikanisc­he Kriegermas­ke mit einem abschrecke­nd starrenden Augenpaar.

Auch die Feuerwanze verfügt über eine Wehrdrüse, aus der sie alles andere als ein duftendes Elixier absondern kann. Vögel, die sie verspeisen, tun dies kaum ein zweites Mal – gut schmeckt eben anders! „Zur Feuerwanze bekomme ich immer wieder Anrufe, in denen es heißt, bei uns im Garten oder auf dem Balkon gibt es so komisch rotschwarz­e Käfer, was kann ich dagegen machen?“, berichtet Dorow.

Zunächst verweist der Experte dann darauf, dass es sich bei den Sechsbeine­rn nicht um Käfer, sondern um Wanzen handle, „die niemanden stechen und auch keine Pflanzen schädigen“. Feuerwanze­n saugen besonders gern an Malvenoder Lindensame­n. Es sind sehr hübsche Tiere, die manchmal schon im Frühjahr bei schönem Wetter aus ihren geschützte­n Überwinter­ungsplätze­n hervorkrie­chen und sich dann in Grüppchen sonnen, gern auf warmen Steinen – und durch ihre Schönheit des beschädigt­en Ruf der Wanzen retten.

 ?? BILD: SN/FATIH ZENGIN - FOTOLIA ??
BILD: SN/FATIH ZENGIN - FOTOLIA

Newspapers in German

Newspapers from Austria