Helden und Hundehaare
Das ästhetische Ereignis des September waren die Fotos aus New York: Außenminister Kurz, wie er mit seinem Koffer sinnend in den Wolkenkratzerschluchten Manhattans steht. Und Kanzler Kern, wie er elegant im Central Park joggt. – Das sind die Fotos, aus dem die Träume sind. Und die Karrieren.
Nie käme Sebastian Kurz auf die Idee, sich mit seinem Koffer in einer Häuserzeile von, sagen wir, Ried im Innkreis ablichten zu lassen. Niemals würde Christian Kern einen Fotografen dazubitten, wenn er unelegant in Wien-Simmering joggt. Aber New York, das ist etwas anderes. Das signalisiert Weltläufigkeit und weiten Horizont. Da dokumentiert man schon gern für die Nachwelt, dass man auch dort gewesen ist.
So wie Kurz und Kern in New York müssen sich seinerzeit die Stammeshäuptlinge der Allobroger oder Kappadokier gefühlt haben, wenn sie nach Rom gekommen sind. Ehrfürchtig werden sie die Tempel und Marmorsäulen betastet haben. Und vielleicht hat der eine oder andere Häuptling sogar ein kleines Granitrelief von sich hauen lassen, das ihn zeigte, wie er in seinem Fellschurz vor dem Kapitol stand. Fotos gab es ja damals noch nicht.
Da haben es die heutigen Stammesfürsten schon leichter. Sie lassen sich ablichten und stellen das Foto auf Gesichtsbuch, wo sie dafür dann jede Menge „Likes“einstreifen. Das mit den „Likes“dürfte die gerade aktuelle Form der Heldenverehrung sein.
Früher war das anders. In den 70erJahren war es üblich, sich von seinen Heroen lebensgroße Poster – den legendären „Bravo-Starschnitt“– ins Schlafzimmer zu hängen. Davon ist man mittlerweile abgekommen. Niemand hängt sich Kern und Kurz lebensgroß übers Bett. Außer vielleicht Kern und Kurz.
Im 19. Jahrhundert wiederum sammelte man Haarlocken. Als Beethoven starb, soll der öffentlich Aufgebahrte binnen kurzem kein Haar mehr auf dem Kopfe gehabt haben, weil sich jeder Trauergast zum Andenken eine Locke von Beethovens Haupt schnitt.
Ein wahrer Popstar jener Zeit, Lord Byron, wurde schon zu Lebzeiten mit Briefen von Verehrerinnen bombardiert, die ihn sehnsüchtig um eine Locke baten. Der Dichterfürst sah sich schon mit Glatze, verfiel aber rechtzeitig auf einen originellen Ausweg. Denn DNAAnalysen von Dutzenden angeblichen Byron-Locken, die bis heute in Poesiealben und goldenen Amuletten ruhen, haben ein überraschendes Ergebnis gezeitigt: Es handelt sich um Hundehaare!
Man glaubt sogar zu wissen, wie der Hund hieß. Bei dem edlen Locken-Spender soll es sich um Boatswain, den über alles geliebten Neufundländer von Lord Byron gehandelt haben.
Schon im Alter von 15 Jahren kaufte Byron den Hund einem Matrosen ab, der das riesige Tier aus Neufundland mitgebracht hatte. Kaum hatte er den Hund erstanden, packte Byron ihn in ein Boot, ruderte in die Mitte eines Sees und ließ sich vor den Augen des Hundes ins Wasser plumpsen. Er wollte testen, ob es wirklich stimmt, dass Neufundländer ihren Herrn vor dem Ertrinken retten. Boatswain tat es, und das war der Beginn einer wunderbaren Freundschaft. Byron schrieb sogar Gedichte für seinen Hund. Dafür musste dieser halt hin und wieder eine Locke lassen.
Ein anderer berühmter Mann, den ein Neufundländer vor dem Ertrinken rettete, war übrigens Napoleon. Als er einmal bei einer Überfahrt ins Meer fiel, wurde er von dem Hund eines Fischers aus dem Wasser gefischt. Wirklich dankbar war der tropfnasse Kaiser der Franzosen aber nicht. Er erließ später sogar ein Gesetz, das es in ganz Frankreich verbot, seinen Hund „Napoleon“zu nennen.
Das ist auch so eine Art von Heldenverehrung, die eher abgekommen ist. Oder kennen Sie einen Hund, der Sobotka oder Doskozil heißt?