„Aufschieberitis“: Die Leiden der müßigen Studenten
Zwei Wochen bis zur Abgabe der Arbeit. Man sollte anfangen. Könnte anfangen. Aber man tut es nicht. Doch es gibt Hoffnung.
Michael, 24. Ein Student, der in zwei Wochen seine Seminararbeit abgeben muss. Also nichts wie an die Arbeit: Laptop an – erst mal Facebook. Drei Stunden, zwei Folgen seiner Lieblingsserie und einem kleinen Nickerchen später, verlässt Michael seine WG auf ein Bierchen – ohne auch nur ein Wort getippt zu haben. „Es ist nicht leicht, wenn man ständig gegen seinen inneren Schweinehund ankämpft – und doch wieder verliert“, sagt Michael zu seiner Angewohnheit, Dinge aufzuschieben.
Studierende seien besonders anfällig für diese Verhaltensstrategie, stellt Sandra Sittenthaler, Assistenzprofessorin für Psychologie an der Universität Salzburg, fest. „Laut einer Studie verwenden Studierende durchschnittlich ein Drittel ihres Alltags allein dafür, Aufschiebetätigkeiten nachzugehen.“Wie viele Studierende tatsächlich an Aufschieberitis leiden, kann schwer gesagt werden. Studien widersprechen sich und behaupten, dass 20 bis 70 Prozent der Studierenden regelmäßig dazu neigen. Einig ist man sich in der Forschung weitgehend, dass Aufschieberitis jeden treffen kann und nicht mit Faulheit zusammenhängt. Vielmehr wird versucht, rational zu handeln: Der Weg des geringsten Widerstandes wird gewählt. Für den jeweiligen Moment ist es die einfachere Lösung, Seminararbeiten, Hausübungen, Stipendiumsanträge und anderen Papierkram, Telefonate sowie das Lernen selbst aufzuschieben.
Genau das ist das Paradoxe daran: „Erst im Laufe der Zeit bringt Prokrastination immer mehr negative Folgen für die Lebensgestaltung und das psychische Wohlbefinden mit sich, großer Leidensdruck wird so ausgelöst“, erläutert die Psychologieprofessorin. Der Haufen unerledigter Arbeit wird zum unbezwingbaren Berg. Durch das Vermeiden jetzt steige der Aufwand später. Und das Einzige, was die Bergspitze schlussendlich erreiche, sei Frustration.
Noch ist Michael allerdings ruhig, noch ist alles in Ordnung, die Kontrollleuchten scheinen in sattem Grün. Es sind noch sechs Tage bis zur Abgabe.
„Wenn der Mensch gewisse berufliche, aber auch private Freiräume hat, innerhalb derer er relativ frei entscheiden kann, was er als Nächstes tun oder lassen will, kommt es leicht zu Prokrastination“, sagt Sittenthaler. „Gerade bei Studierenden kommt das vor, dass erst am Semesterende Prüfungen anstehen – das verleitet leicht dazu, andere, interessantere Dinge vorzuziehen.“Abgabetermine konkurrieren mit Sport, dem Start der neuen Staffel der Lieblingsserie, dem kommenden Studentenfestl. Irrationale Gedanken, Perfektionismus und Versagensängste erledigen den Rest: Diese seien laut Sittenthaler weitere Gründe, die Prokrastinieren bewirken.
Es sind noch zwei Tage bis zur Abgabe und so langsam erkennt Michael: Houston hat ein Problem. Die Alarmglocken schellen. Hilfe gebe es genug. Trainings und Selbstcoaching helfen laut Studienergebnissen der Universität Salzburg. „Bei den meisten Menschen ist Prokrastination eine schlechte Angewohnheit, welche man zu Hause oder aber auch in der Schule erlernt hat. Man kann das Aufschieben aber auch wieder verlernen – wenn man daran arbeitet“, meint Sittenthaler. „Also ich belohne mich für geschaffte Arbeit mit allerhand Ungesundem: Zigaretten und Schokolade“, sagt Michael. Helfen können auch Stundenpläne, welche die Freizeit miteinbeziehen und für einen kontrollierten Umgang mit Zeit sorgen. Doch darin liegt die Krux: Wer konfrontiert sich schon gerne mit seinen schlechten Angewohnheiten? Denn ansetzen müsse man schon früh genug, aufschieben geht nicht. So dreht sich das Rad. Gerade deshalb finden sich so viele, wie auch Michael, schlussendlich doch wieder im finalen Schlussspurt wieder: 20 Minuten verbleiben. Die Abgabe drängt, die Zeit rennt. Doch am Ende geht es sich wieder einmal aus. Oder doch nicht?