Die First Lady hilft Afghanistans Frauen
Trotz Terror und Taliban-Angriffen gibt es positive Entwicklungen im Land am Hindukusch. Der Druck kommt von ungewöhnlicher Seite.
BRÜSSEL. Sima Samar war schon einmal bei einem Afghanistan-Treffen in Brüssel. „1998, mit Burka“, sagt die Vorsitzende der afghanischen Menschenrechtskommission zum Auftakt der zweitägigen Afghanistan-Konferenz diese Woche in der EU-Hauptstadt, während ihr lose um den Kopf geschlagener Schal nach unten rutscht.
Dass sich die Situation der Frauen 15 Jahre nach der Vertreibung des radikalislamischen Talibanregimes verbessert hat, zeigen auch die Zahlen: Drei Millionen Mädchen gehen heute in die Schule, kürzlich haben die ersten 600 Highschool-Absolventinnen ihren Abschluss gefeiert, die Hälfte der Lehramtsstudenten sind Frauen; es gibt etwa 1000 Unternehmen, die von Frauen geführt werden. Dennoch hat Afghanistan nach wie vor eine der höchsten Analphabeten-Raten der Welt – der Großteil davon Frauen. Die Schulen konzentrieren sich nicht selten auf die städtischen Einzugsgebiete und sind schlecht. „Afghanistans Frauen sind weit gekommen, aber auf jede, die es geschafft hat, kommen zehn, die weiter benachteiligt sind“, räumte der angereiste afghanische Präsident Ashraf Ghani ein.
Das soll sich ändern. Ghani hat ein Programm erarbeitet, das eine 50-Prozent-Frauen-Quote für alle Verwaltungsebenen vorsieht, bessere Berufsausbildung und einen eigenen Personalausweis für Frauen, als Voraussetzung etwa für Wahlen oder einen Kredit. Viele kleine Dinge seien passiert, sagt er, jetzt aber müssten die Veränderungen die breite Masse erfassen. „Wenn Millionen von Mädchen dieselben Möglichkeiten wie die Millionen von Burschen haben, wird unser Land zu Wohlstand finden“, betonte Ghani.
Die treibende Kraft hinter dem Kampf des seit Herbst 2014 amtierenden Präsidenten für mehr Frauenrechte ist seine Frau Rula. Afghanistans First Lady, eine maronitische Christin aus dem Libanon, sieht sich selbst als „ein Symbol, das wichtig sein kann“. Dass die Frau des Präsidenten öffentlich auftritt oder er ihr in seinen Reden für die Unterstützung dankt, war in der traditionellen afghanischen Gesellschaft bis zum Amtsantritt Ghanis unvorstellbar.
Frauen seien die großen Verliererinnen der Konflikte in Afghanistan gewesen, so Rula Ghani. Nun müssten ihnen ihre Position und der nötige Respekt in der Gesellschaft wiedergegeben werden. Beides müsse in den Strukturen des Staates integriert werden.
Die First Lady hielt auch mit Kritik an den unzähligen Hilfsprojekten, die es für das Land schon gegeben hat, nicht hinter dem Berg. „Wir haben zu viele NGOs kennengelernt, die keine Spuren hinterlassen haben.“Ihr Appell an die internationalen Hilfsorganisationen: Synchronisiert eure Anstrengungen, arbeitet zusammen und nehmt die afghanischen Vertreter ernst. Notwendig seien Wissenstransfer und Begleitung der Programme – und nicht neue Vorschläge.
Die Ideen des Präsidenten stoßen jedoch nicht überall auf Begeisterung. „Afghanistan muss sich glücklich schätzen, einen solchen Präsidenten zu haben, aber es gibt auch eine Regierung“, sagte Orzala Ashraf Nemat, ehemalige Aktivistin und heute Beraterin von Ghani. Entsprechend skeptisch sind die Vertreterinnen des Landes, wie rasch sich der Plan umsetzen lässt. Ohne den Schutz und die Gleichstellung der Frauen könne man das Land aber nicht stabilisieren, betonte Samar.
Wie instabil die Lage ist, zeigt der Angriff der Taliban zu Wochenbeginn auf die nordafghanische Provinzhauptstadt Kundus. Er war bei der Konferenz nur ein Randthema.