„Bei den Steuergesetzen blickt keiner mehr durch“
Der Chef der Wirtschaftstreuhänder ruft einmal mehr nach Vereinfachung des Steuersystems, außerdem müssten die Lohnnebenkosten sinken.
WIEN. Die Branche der Wirtschaftstreuhänder boomt, die Zahl der Steuerberater und Wirtschaftsprüfer hat sich seit 1995 auf rund 7300 fast verdoppelt. Die Freude darüber hält sich bei Klaus Hübner, Präsident der Standesvertretung, dennoch in Grenzen. Denn der Anstieg wird wesentlich vom Wildwuchs im österreichischen Steuersystem beeinflusst. „Es ist kurios genug, dass wir am lautesten nach der Vereinfachung der Steuergesetze rufen“, sagt Hübner, „aber wenn es in der Dichte weitergeht, kollabieren wir.“
Selbst in der Finanzverwaltung stöhne man unter der wachsenden Bürokratie. In den vergangenen 16 Jahren seien die wichtigsten Steuergesetze 422 Mal geändert worden, 101 Novellen gab es allein im Einkommensteuergesetz. Vor allem für die kleineren Unternehmen werde es immer schwieriger, die gesetzlichen Anforderungen zu erfüllen, sagt Hübner. Um Betriebe zu entlasten, sei daher eine Vereinfachung des Steuersystems oberstes Gebot.
Den größten Handlungsbedarf orten die Steuerberater in der Lohnverrechnung, „die ist mittlerweile zu einer Geheimwissenschaft geworden“, sagt Hübner. Es gebe mittlerweile 483 verschiedene Einstufungsmöglichkeiten für Mitarbeiter, 1989 seien es noch 104 gewesen. In Kombination mit 19 Krankenversicherungsträgern, fünf Pensionsund vier Unfallversicherungsträgern habe das hypertrophe Ausmaße angenommen. Mit einer Zusammenlegung zu drei Sozialversicherungsträgern – einen für Dienstnehmer, einen für Dienstgeber und einen für Pensionisten – würde man auch das Auslangen finden.
Um die Lohnverrechnung zu vereinfachen, schlagen Hübner und seine Berufskollegen neben einer massiven Reduktion der Beitragsgruppen einmal mehr die Zusammenfassung aller Lohnabgaben zu einer einzigen Dienstgeberabgabe vor. Zudem sollte die Bemessungsgrundlage für Lohnsteuer und Sozialversicherung vereinheitlicht und beide Abgaben von einer Stelle eingehoben werden. Am besten geeignet wäre dafür das für die Betriebsstätte zuständige Finanzamt, sagte Hübner. Das brächte Entlastung für die Betriebe, aber auch für die Beamten. Bei Finanzminister Hans Jörg Schelling stoße man damit grundsätzlich auf Verständnis, die Umsetzung sei allerdings komplex und stoße auf Widerstände.
Erfreulich sei, dass im Finanzministerium an einer Neukodifizierung des völlig unübersichtlich gewordenen Einkommensteuergesetzes gearbeitet werde. Laut Hübner sollte man dabei die „eine oder andere historisch gewachsene Ausnahme streichen“. Es sei auch nicht sinnvoll, für die stark eingeschränkten Sonderausgaben einige Hunderttausend Anträge zu bearbeiten, das sollte man besser in den Einkommensteuertarif einarbeiten.
Die seit Jahresbeginn wirksame Tarifreform in der Lohn- und Einkommensteuer sei überfällig gewesen, sie sei aber vom Volumen her auch spürbar ausgefallen, das müsse man anerkennen, sagt Hübner. Dass der Finanzminister die kalte Progression durch eine automatische Anpassung der Tarifstufen abschaffen will, sei zu begrüßen. Das koste zwar ein paar Hundert Millionen Euro, helfe aber dem Finanzminister dabei, seine Ministerkollegen bei den Ausgaben zu disziplinieren.
Die Steuerreform müsste nun durch eine Senkung der Lohnnebenkosten ergänzt werden. Dass es hier Handlungsbedarf gibt, zeige der Vergleich mit Deutschland. Dort kämen auf einen Bruttoverdienst von 100 Euro Lohnnebenkosten von 28 Euro, in Österreich hingegen 36 Euro. Ziel sollte eine Reduktion um rund 8 Mrd. Euro in drei bis vier Etappen sein. Dass Bundeskanzler
„Die kleinen Unternehmen tun mir leid.“
Christian Kern eine Senkung der Lohnnebenkosten anpeilt, sei eine gute Nachricht, Hübner erwartet aber, dass zur Gegenfinanzierung „die Debatte über eine Wiedereinführung der Erbschaftsteuer aufbricht“. Die hätte zwar vor allem Signalcharakter, denn eine ernsthafte Gegenfinanzierung sei mit dem Aufkommen nicht zu erzielen. Sie wäre aber im Unterschied zur Vermögensteuer noch verschmerzbar, die sei „ein absolutes No-Go“.
Dass die Finanz den Betrug stärker bekämpfe, bekämen Betriebe zu spüren, die Finanzpolizei führe pro Jahr 40.000 bis 50.000 Einsätze durch. Anfänglich gab es viele Beschwerden über das Verhalten der Beamten, das habe sich gebessert. Mit Einführung des zentralen Kontenregisters rechnet Hübner bei Betriebsprüfungen mit deutlich mehr Kontoöffnungen, der Fiskus erwartet aus dem Wegfall der Anonymität 700 Mill. Euro Mehreinnahmen.