Wir tun viel zu wenig in der Flüchtlingskrise
Der Libanon – unmittelbarer Nachbar der syrischen Hölle – muss dringend stabilisiert werden. Vonnöten ist mehr internationale Hilfe.
Europa ist heilfroh, dass nicht mehr so viele Flüchtlinge aus dem Bürgerkriegsland Syrien auf den Kontinent kommen. Man hat auf Flüchtlingsabwehr umgeschaltet. Es gehe darum, vor allem Syriens Nachbarländern zu helfen, die einen Großteil der Flüchtlinge aufnehmen, tönt es aus Politikermund. Aber gemessen an den Notwendigkeiten bleibt Europa, ja die internationale Gemeinschaft überhaupt massiv untätig in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon.
Im Libanon ist die Lage längst zum Zerreißen gespannt. Die Zahl der Flüchtlinge, die bereits bei annähernd zwei Millionen liegt, nimmt weiter zu. Gleichzeitig nimmt die Hoffnung der schon Geflüchteten ab, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehren zu können. Noch vor wenigen Jahren haben viele Syrer darauf gesetzt, dass das Regime Assad bald gestürzt werden könnte. Das ist, nach Russlands brachialer Parteinahme für den syrischen Diktator, jäh anders geworden. Helfer rechnen damit, dass die große Mehrheit der Flüchtlinge länger oder gar dauerhaft im Land bleiben wird.
Damit droht die politisch-religiöse Balance des kleinen Nahost-Staates ins Wanken zu geraten. Die Spannungen zwischen christlichen Maroniten, Sunniten, Schiiten und Drusen wachsen. Vorbehalte gegen syrische Flüchtlinge werden laut, wenn überwiegend Muslime in christliche Kerngebiete des Libanons strömen. Das Misstrauen gegen Flüchtlinge steigert sich, weil Konkurrenz um Jobs, Wohnungen, Schulplätze entsteht. Wie Jordanien will auch der Libanon daher dem Prinzip folgen, dass ein bestimmter Anteil der ausländischen Hilfe der notleidenden einheimischen Bevölkerung zugutekommen soll.
Der syrische Bürgerkrieg droht auf libanesisches Territorium überzuschwappen. Im Norden des Landes sind Dschihadisten in Kämpfe mit der libanesischen Armee verstrickt. Eine bestimmende Kraft im Land – die schiitische Hisbollah-Miliz – kämpft ohnedies auf der Seite des Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrieg mit. Dass sich das Syrien-Szenario im Libanon fortsetzen könnte, ist die Horrorvorstellung für die Libanesen, denen der Schrecken des eigenen Bürgerkriegs (1975–1990) noch in den Gliedern sitzt.
Käme es dazu, wäre alles verloren, was Europa in der Flüchtlingskrise unternehmen kann. Aber auch ohne eine solche Extrementwicklung sind die Aussichten düster. Ein großer Teil der syrischen Flüchtlingskinder bleibt bisher ohne Schulbildung. Man sieht eine Menge an perspektivlosen jungen Menschen – anfällig für Parolen von Polit-Extremisten.