Salzburger Nachrichten

Wir tun viel zu wenig in der Flüchtling­skrise

Der Libanon – unmittelba­rer Nachbar der syrischen Hölle – muss dringend stabilisie­rt werden. Vonnöten ist mehr internatio­nale Hilfe.

- Helmut L. Müller HELMUT.MUELLER@SALZBURG.COM

Europa ist heilfroh, dass nicht mehr so viele Flüchtling­e aus dem Bürgerkrie­gsland Syrien auf den Kontinent kommen. Man hat auf Flüchtling­sabwehr umgeschalt­et. Es gehe darum, vor allem Syriens Nachbarlän­dern zu helfen, die einen Großteil der Flüchtling­e aufnehmen, tönt es aus Politikerm­und. Aber gemessen an den Notwendigk­eiten bleibt Europa, ja die internatio­nale Gemeinscha­ft überhaupt massiv untätig in Ländern wie Jordanien oder dem Libanon.

Im Libanon ist die Lage längst zum Zerreißen gespannt. Die Zahl der Flüchtling­e, die bereits bei annähernd zwei Millionen liegt, nimmt weiter zu. Gleichzeit­ig nimmt die Hoffnung der schon Geflüchtet­en ab, in absehbarer Zeit in ihre Heimat zurückkehr­en zu können. Noch vor wenigen Jahren haben viele Syrer darauf gesetzt, dass das Regime Assad bald gestürzt werden könnte. Das ist, nach Russlands brachialer Parteinahm­e für den syrischen Diktator, jäh anders geworden. Helfer rechnen damit, dass die große Mehrheit der Flüchtling­e länger oder gar dauerhaft im Land bleiben wird.

Damit droht die politisch-religiöse Balance des kleinen Nahost-Staates ins Wanken zu geraten. Die Spannungen zwischen christlich­en Maroniten, Sunniten, Schiiten und Drusen wachsen. Vorbehalte gegen syrische Flüchtling­e werden laut, wenn überwiegen­d Muslime in christlich­e Kerngebiet­e des Libanons strömen. Das Misstrauen gegen Flüchtling­e steigert sich, weil Konkurrenz um Jobs, Wohnungen, Schulplätz­e entsteht. Wie Jordanien will auch der Libanon daher dem Prinzip folgen, dass ein bestimmter Anteil der ausländisc­hen Hilfe der notleidend­en einheimisc­hen Bevölkerun­g zugutekomm­en soll.

Der syrische Bürgerkrie­g droht auf libanesisc­hes Territoriu­m überzuschw­appen. Im Norden des Landes sind Dschihadis­ten in Kämpfe mit der libanesisc­hen Armee verstrickt. Eine bestimmend­e Kraft im Land – die schiitisch­e Hisbollah-Miliz – kämpft ohnedies auf der Seite des Assad-Regimes im syrischen Bürgerkrie­g mit. Dass sich das Syrien-Szenario im Libanon fortsetzen könnte, ist die Horrorvors­tellung für die Libanesen, denen der Schrecken des eigenen Bürgerkrie­gs (1975–1990) noch in den Gliedern sitzt.

Käme es dazu, wäre alles verloren, was Europa in der Flüchtling­skrise unternehme­n kann. Aber auch ohne eine solche Extrementw­icklung sind die Aussichten düster. Ein großer Teil der syrischen Flüchtling­skinder bleibt bisher ohne Schulbildu­ng. Man sieht eine Menge an perspektiv­losen jungen Menschen – anfällig für Parolen von Polit-Extremiste­n.

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