Von allen Reformgeistern verlassen
Die Abschaffung der kalten Progression hätte nicht nur den Steuerzahlern viel gebracht, sondern auch dem Finanzminister.
Die Freude über die Steuerentlastung vom 1. Jänner konnte nur kurz währen. Schon mit dem kommenden Jahreswechsel holt sich der Fiskus einen weiteren Teil davon zurück. Und zwar über die kalte Progression. Ursprünglich hatten sich SPÖ und ÖVP vorgenommen, sie abzuschaffen, jetzt ließen sie jedoch wissen, dass es ihnen unmöglich gewesen sei, sich darauf zu einigen. Was laut Finanzminister Hans Jörg Schelling (ÖVP) nicht weiter schlimm ist; die Maßnahme solle ohnehin erst 2018 in Kraft treten. Alles in Butter also? Mitnichten.
Die Konsequenz aus der Verzögerung ist ernüchternd: Zunächst einmal ist damit amtlich, dass es nie eine Steuerreform gegeben hat. Eine solche hätte nämlich auch eine strukturelle Veränderung enthalten müssen. Zustande gekommen ist jedoch ausschließlich eine FünfMilliarden-Euro-Entlastung, die noch dazu zur Hälfte durch Maßnahmen, wie Umsatzsteuererhöhungen, gegenfinanziert wird. Und die nun eben auch aufgrund der Nicht-Eliminierung der kalten Progression weiter dahinschmelzen wird wie der erste Schnee in diesem Herbst aufgrund des Föhneinbruchs der vergangenen Tage. Berechnungen der Denkfabrik Agenda Austria zeigen, dass es sich allein 2017 um eine Reduktion im Ausmaß von 382 Millionen Euro handeln wird.
Die Wirkung der kalten Progression bekommt jeder zu spüren, dessen Bruttolohn auch nur wertgesichert wird: Solange Tarifstufen und Absetzbeträge unverändert bleiben, werden mit jedem zusätzlichen Cent um so viel mehr Steuern fällig, dass netto ein Reallohnverlust herauskommt. Das könnte verhindert werden, wird in absehbarer Zeit aber allenfalls im Rahmen eines „Zuckerls“vor der nächsten Nationalratswahl passieren.
Und auch das ist nicht fix: Die ÖVP will Tarifstufen und Absetzbeträge erst dann anpassen, wenn fünf Prozent Teuerung zusam- mengekommen sind. Das kann zwei, drei Jahre dauern. Die SPÖ wiederum will die Anpassungen so staffeln, dass Bezieher kleiner Einkommen eher profitieren. Sprich: Selbst wenn sie sich einigen, könnte die Sache bis 2020, 2021 auf sich warten lassen. Und bis dahin hätte sich die Wirkung der kalten Progression laut Agenda Austria schon auf 1,68 bis 2,17 Milliarden Euro subsumiert – womit die Entlastung von heuer endgültig verschwunden wäre.
So oder so wäre eine Abschaffung dieser schleichenden Steuererhöhung natürlich begrüßenswert. Zumal sie auch den Reformdruck erhöhen würde: Weniger stark steigende Einnahmen würden SPÖ und ÖVP dazu zwingen, Ausgaben zu kürzen. Und das wäre letzten Endes auch ganz im Sinne des Finanzministers, der mit entsprechenden Forderungen bisher ja stets ignoriert wurde. WWW.DIESUBSTANZ.AT