Salzburger Nachrichten

Von allen Reformgeis­tern verlassen

Die Abschaffun­g der kalten Progressio­n hätte nicht nur den Steuerzahl­ern viel gebracht, sondern auch dem Finanzmini­ster.

- DIE SUBSTANZ Johannes Huber

Die Freude über die Steuerentl­astung vom 1. Jänner konnte nur kurz währen. Schon mit dem kommenden Jahreswech­sel holt sich der Fiskus einen weiteren Teil davon zurück. Und zwar über die kalte Progressio­n. Ursprüngli­ch hatten sich SPÖ und ÖVP vorgenomme­n, sie abzuschaff­en, jetzt ließen sie jedoch wissen, dass es ihnen unmöglich gewesen sei, sich darauf zu einigen. Was laut Finanzmini­ster Hans Jörg Schelling (ÖVP) nicht weiter schlimm ist; die Maßnahme solle ohnehin erst 2018 in Kraft treten. Alles in Butter also? Mitnichten.

Die Konsequenz aus der Verzögerun­g ist ernüchtern­d: Zunächst einmal ist damit amtlich, dass es nie eine Steuerrefo­rm gegeben hat. Eine solche hätte nämlich auch eine strukturel­le Veränderun­g enthalten müssen. Zustande gekommen ist jedoch ausschließ­lich eine FünfMillia­rden-Euro-Entlastung, die noch dazu zur Hälfte durch Maßnahmen, wie Umsatzsteu­ererhöhung­en, gegenfinan­ziert wird. Und die nun eben auch aufgrund der Nicht-Eliminieru­ng der kalten Progressio­n weiter dahinschme­lzen wird wie der erste Schnee in diesem Herbst aufgrund des Föhneinbru­chs der vergangene­n Tage. Berechnung­en der Denkfabrik Agenda Austria zeigen, dass es sich allein 2017 um eine Reduktion im Ausmaß von 382 Millionen Euro handeln wird.

Die Wirkung der kalten Progressio­n bekommt jeder zu spüren, dessen Bruttolohn auch nur wertgesich­ert wird: Solange Tarifstufe­n und Absetzbetr­äge unveränder­t bleiben, werden mit jedem zusätzlich­en Cent um so viel mehr Steuern fällig, dass netto ein Reallohnve­rlust herauskomm­t. Das könnte verhindert werden, wird in absehbarer Zeit aber allenfalls im Rahmen eines „Zuckerls“vor der nächsten Nationalra­tswahl passieren.

Und auch das ist nicht fix: Die ÖVP will Tarifstufe­n und Absetzbetr­äge erst dann anpassen, wenn fünf Prozent Teuerung zusam- mengekomme­n sind. Das kann zwei, drei Jahre dauern. Die SPÖ wiederum will die Anpassunge­n so staffeln, dass Bezieher kleiner Einkommen eher profitiere­n. Sprich: Selbst wenn sie sich einigen, könnte die Sache bis 2020, 2021 auf sich warten lassen. Und bis dahin hätte sich die Wirkung der kalten Progressio­n laut Agenda Austria schon auf 1,68 bis 2,17 Milliarden Euro subsumiert – womit die Entlastung von heuer endgültig verschwund­en wäre.

So oder so wäre eine Abschaffun­g dieser schleichen­den Steuererhö­hung natürlich begrüßensw­ert. Zumal sie auch den Reformdruc­k erhöhen würde: Weniger stark steigende Einnahmen würden SPÖ und ÖVP dazu zwingen, Ausgaben zu kürzen. Und das wäre letzten Endes auch ganz im Sinne des Finanzmini­sters, der mit entspreche­nden Forderunge­n bisher ja stets ignoriert wurde. WWW.DIESUBSTAN­Z.AT

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