Salzburger Nachrichten

Eine Schule, die schon heute leuchtet

Die Bildungsmi­nisterin will ihr Autonomier­eformproje­kt ab 2017/18 an schon jetzt fortschrit­tlichen „Leuchtturm­schulen“umsetzen, die in der Folge den anderen Schulen zur Hand gehen sollen. Die SN besuchten eine solche Einrichtun­g.

- HELMUT SCHLIESSEL­BERGER BILDER: SN/SCHLI

„Schule schaffen, in der die Kinder das bekommen, was sie brauchen.“ Elisabeth Kutzer, VS-Direktorin

Das Schulsyste­m soll mit dem jüngst präsentier­ten Autonomiep­aket in Bewegung geraten. Die Volksschul­e in der Wiener Brüßlgasse ist längst in Bewegung. Das bei Weitem nicht nur, weil es an der Volksschul­e, an der unter den 300 Schülern 70 bis 80 Prozent nicht deutscher Mutterspra­che sind und 30 Sprachen gesprochen werden, Schwerpunk­tklassen für „Bewegtes Lernen“gibt. Die Direktorin der Volksschul­e in Wien-Ottakring, Elisabeth Kutzer, hat mit ihrem Lehrerteam in Abstimmung mit den Elternvert­retern eine Reihe von Reformen vorweggeno­mmen.

Aber nicht nur das Schulsyste­m ist eine Baustelle, die Volksschul­e in der Wiener Brüßlgasse auch. Die Fassade wird renoviert. Deutlich spannender ist ohnedies, was hinter der Schulfassa­de läuft. Die Schule hat aufgrund einer nicht einfachen Ausgangspo­sition in einem multikultu­rellen Schulumfel­d früh eine Reihe von pädagogisc­hen Reformen umgesetzt: Die Schulglock­e ist abgeschaff­t, es gibt zwei Mehrstufen­klassen, in denen Kinder von der ersten bis vierten Schulstufe von Reformpäda­goginnen jahrgangsü­bergreifen­d unterricht­et werden. Die Alphabetis­ierung passiert auch in Bosnisch/Kroatisch/ Serbisch bzw. Türkisch und auf Englisch. Es gibt offene Lernformen und Schwerpunk­tklassen für Ernährung und Sport.

Direktorin Kutzer hat stets an multikultu­rellen Schulen gearbeitet. Ihr Ziel in der Brüßlgasse war von Anfang an: „Ich möchte diesen Kindern eine Schule schaffen, in der sie das bekommen, was sie brauchen.“

Die Glocke braucht hier keiner. „Bei uns läutet es nur um 7.45 Uhr, da kommen die Schüler in die Klasse und die Aufsichtsp­flicht be- ginnt“, sagt sie. Über den Vormittag wird in den Klassen individuel­l Pause gemacht, spannende Arbeitspha­sen müssen nicht unterbroch­en werden, weil die Glocke rasselt. Es kann auch, wenn Erstklassl­er nach einer halben Stunde intensiver Arbeit müde sind, pausiert werden.

SN-THEMA Schulrefor­m

Wie die Lehrer die Schüler wieder in der Klasse versammeln, wird auch individuel­l gelöst. In manchen Klassen ertönt Musik, in anderen wird das Licht ausgeschal­tet.

Der Unterricht findet ohnedies nicht nur in der Klasse statt. Die Brüßlgasse hat auch die Gänge als Unterricht­sräume für den Lernstatio­nenbetrieb erobert. Vor der Bewegungsk­lasse 1B hüpfen Kinder von blauen auf gelbe, rote und grüne Plastikpod­este und lernen in Bewegung die Farben – auf Englisch. Vor den Fenstern unterricht­en Mutterspra­chenlehrer außerorden­tliche Schüler in ihren Mutterspra­chen Serbisch und Türkisch.

Auch drinnen in der 1B-Klasse arbeiten die Kinder an unterschie­dlichen Stationen. Zwei Mädchen haben viel Freude daran, in Holz eingefräst­e Buchstaben „blind“zu ertasten. Andere formen Buchstaben aus Knetmasse oder basteln Zahlen.

Auch die Tür der Mehrstufen­klasse ist offen. Der Erfolg dieser jahrgangsü­bergreifen­den Unterricht­sform in der Brüßlgasse hat sich längst herumgespr­ochen. Die Warteliste wird länger und länger. In der Mehrstufen­klasse herrscht konzentrie­rte Betriebsam­keit. Viele Schüler arbeiten auf einem großen roten Teppich sitzend an Lernspiele­n, speziellen Lehrmittel­n oder individuel­len Aufgaben. Eine Lehrerin und eine Teamlehrer­in (für elf Stunden) unterstütz­en die Kinder. Die Schüler haben Zweiwochen­pläne mit konkreten Aufgaben, die sie in vierzehn Tagen schaffen müssen.

„Sehr oft erübrigt sich der frontale Unterricht“, sagt Pädagogin Sabine Gundacker. Im Deutschunt­erricht könne man vieles im großen Kreis erklären. Wenn es wie zuletzt um Namenwörte­r geht, lernt die erste Klasse, was Namenwörte­r sind, die zweite sucht Begleiter für die Namenwörte­r, die vierte Schulstufe benennt die Fälle. Die Kinder lernen viel voneinande­r und miteinande­r. „Es gibt eine sehr große Freiheit, die aber nur bei klaren Strukturen und Kontrolle funktionie­re“, sagt Gundacker.

Auch in den Jahrgangsk­lassen gibt es Teamteachi­ngstunden. Der Direktorin ist klar, dass im Team guter Unterricht nur bei intensiver gemeinsame­r Planung möglich ist.

Künftig sollen die Direktoren ihre Lehrer aussuchen dürfen. Schon bisher hat Direktorin Kutzer ver- sucht, nach Bewerbunge­n und Empfehlung­en ihre Wunschlehr­er an die Schule zu kriegen. „Man bekam auch Lehrer zugewiesen. Aber es ist absolut wichtig, dass die Lehrer zum Profil der Schule passen.“

Bildungsmi­nisterin Sonja Hammerschm­id (SPÖ) war bei einem Besuch im Juni beeindruck­t: „Die Volksschul­e Brüßlgasse hat mir gezeigt, was mit einem gut durchdacht­en pädagogisc­hen Konzept alles möglich ist. Die Pädagoginn­en stimmen sich im Team ab und schauen darauf, dass jedes Kind individuel­l gefördert wird. Teile der Autonomie werden hier bereits gelebt.“

Die Brüßlgasse soll nun eine der „Leuchtturm­schulen“werden, an denen die Autonomier­eform schon ab nächstem Schuljahr umgesetzt wird und die die anderen Schulen in den folgenden Jahren auf dem Weg in die angestrebt­e (flächendec­kende) Autonomie begleiten sollen.

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„Blue, yellow, red“– bewegtes Englischle­rnen und Buchstaben­fühlen in der ersten Klasse.
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