Salzburger Nachrichten

Der Libanon stöhnt unter Flüchtling­slast

Sie dürfen nicht arbeiten, sie dürfen sich nicht ansiedeln. Doch fast jeder Dritte im Land ist bereits ein Flüchtling.

- Paul Karam, Caritas-Chef Libanon

In der Bekaa-Ebene schaut es friedlich aus – auf den ersten Blick. Vom Libanon-Gebirge fährt man hinab in diesen fruchtbare­n Landstrich. Hinter den weiten Feldern und Rebstöcken erhebt sich am Horizont der Gebirgszug des Antilibano­n. Dahinter aber tobt seit mehr als fünf Jahren der furchtbare Krieg in Syrien.

Offiziell ist die Grenze zwischen dem Libanon und Syrien geschlosse­n. Aber illegal, auf Schleichwe­gen, kommen unaufhörli­ch Menschen in den Libanon, die vor den Kämpfen in Syrien fliehen. So sind jetzt über die gesamte Bekaa-Ebene Zeltlager verstreut, in denen syrische Flüchtling­e Unterschlu­pf gefunden haben. 500 Lager gibt es in dieser Region, 2000 von ihnen aber im ganzen Land.

Diese Flüchtling­e haben alles verloren: ihr Haus, ihr Land, ihre Heimat.

„Der Krieg wird noch lange dauern“, sagt der 52-jährige Khaled, der aus der Gegend von Aleppo stammt. In den nächsten zehn bis zwanzig Jahren werde er wohl nicht nach Syrien zurückkehr­en können. Der Mann lebt inzwischen schon seit drei Jahren in der Nähe der kleinen Stadt Zahle. Das Lager Taysir umfasst 50 Zelte, 90 Familien, 140 Kinder. Vor allem Frauen haben hier Zuflucht gefunden, ihre Männer sind meist noch in die Kämpfe in Syrien verwickelt.

Ein Teil von Khaleds Familie ist in die Türkei, ein anderer in den Libanon geflüchtet. Einige seiner Töchter arbeiten gerade bei der Traubenern­te, verdienen Geld für ihre Angehörige­n. Denn der Landbesitz­er verlangt Miete von den Flüchtling­en. Hinzu kommen oftmals noch Strom- und Wasserrech­nungen.

Jetzt, Ende Oktober, ist es noch trocken auf der Bekaa-Ebene. Aber die Wintermona­te mit viel Regen stehen bevor. Im vorigen Winter sind in Khaleds Lager fünfzehn Zelte unter der Last der Schneemass­en zusammenge­brochen. In einer Gegend, in welcher während des Sommers die Temperatur auf über 40 Grad steigt, kann es im Winter bitterkalt werden.

Der Libanon ist ein Land der Flüchtling­e. Von allen Staaten der Welt hat er, gemessen an der Einwohnerz­ahl, die meisten Geflüchtet­en aufgenomme­n. Das kleine Nahost-Land mit vier Millionen einheimisc­hen Bürgern zählt offiziell eine Million Flüchtling­e, tatsächlic­h aber wohl inzwischen bereits zwei Millionen. Dabei ist es nur so groß wie Oberösterr­eich oder Tirol.

Der Libanon beherbergt bereits rund 400.000 palästinen­sische Flüchtling­e in 15 Lagern – ein Erbe früherer Nahost-Kriege. Deswegen will die libanesisc­he Regierung jetzt keine dauerhafte Ansiedlung der syrischen Flüchtling­e. So haben die Geflüchtet­en aus Syrien zur Selbsthilf­e gegriffen. Aus temporären Unterkünft­en für die syrischen Saisonarbe­iter, die früher für die Erntezeit gekommen sind, sind informelle Lager geworden.

Arbeiten dürfen die syrischen Flüchtling­e offiziell nicht. Viele tun es trotzdem, um überhaupt über die Runden zu kommen. Viele der Flüchtling­e leben längst in den Städten und Gemeinden des Libanon, überall im Land, oft schamlos ausgenutzt von Wohnungsve­rmietern und Arbeitgebe­rn.

Der Libanon leidet. Die große Zahl der Flüchtling­e strapazier­t die Ressourcen des Landes auf das Äußerste. Die ohnedies mangelhaft­e Strom- und Wasservers­orgung wird noch knapper. Die Müllentsor­gung funktionie­rt noch weniger als früher. Auf dem Arbeitsmar­kt, bei der Wohnungssu­che, in den Schulen wird es eng.

Die Spannungen wachsen in einem Land, das chronisch instabil ist und von starken konfession­ellen Gegensätze­n geprägt wird. Seit zwei Jahren wartet der Libanon auf die Wahl eines neuen Staatspräs­identen. Die Regierung ist gelähmt.

„Wenn sich die Krise fortsetzt, wird die Wirtschaft kollabiere­n“, prophezeit Paul Karam, der Präsident der Caritas Libanon. Die Menschen dieses Landes seien sehr gastfreund­lich – großzügig auch gegenüber den Syrern, die der älteren Generation noch als Besatzungs­macht, als Feind in Erinnerung seien. Aber mittlerwei­le zeigten sich diese Menschen auch zutiefst frustriert. Sie hätten inzwischen genug von all den Kriegen in der Region. Sie fragten: Und wer hilft uns?

Tatsächlic­h sind 40 Prozent der Libanesen ohne Job. Mehr als die Hälfte der Bevölkerun­g lebt unterhalb der Armutsgren­ze. In der Metropole Beirut und ihrer Umgebung frönt lediglich eine schmale Oberschich­t einem Luxusleben.

Dies ist eine Situation, die leicht explodiere­n könnte. Denn auf lange Sicht werde wohl die große Mehrheit der syrischen Flüchtling­e im Libanon bleiben, sagt Ramzi Abou Zeid, Koordinato­r der Caritas-Aktivitäte­n für die Bekaa-Ebene. Heute werden im Land schon mehr syrische als libanesisc­he Kinder geboren. Aber mehr als 60 Prozent der syrischen Flüchtling­skinder auf der Bekaa-Ebene gehen nicht in die Schule. Eine „verlorene Generation“wachse heran, warnen Helfer. Morgen: Wie die Caritas Salzburg Flüchtling­en im Libanon hilft.

„Wenn sich die Krise fortsetzt, wird die Wirtschaft kollabiere­n.“

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BILD: SN/ANWAR AMRO / AFP / PICTUREDES­K.COM Der Libanon ist etwa so groß wie Oberösterr­eich und zählt vier Millionen Einwohner. Dazu kommen bis zu zwei Millionen Menschen, die vor allem aus dem benachbart­en Syrien fliehen mussten.
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