„Radikalisierten Jugendlichen die Grenzen aufzeigen“
Hass auf Schwule und Juden, Lob für den IS. Eine Untersuchung zu radikalen Ansichten von jungen Muslimen in Wiener Jugendzentren erregt Aufsehen. Jetzt meldet sich ein Sozialarbeiter.
„Wenn ein Freund oder Bruder schwul wäre, würde ich ihn umbringen“oder „Alle meine Freunde hassen Juden“. Ein Drittel der muslimischen Jugendlichen vertritt laut einer Studie in Wiener Jugendzentren solch radikale Einstellungen. Der Sozialarbeiter Fabian Reicher erklärt, was er dagegen tun kann. SN: Was sagen Sie zu der Studie? Reicher: Der Jugendarbeit helfen solche Erkenntnisse. Leider geht in der aktuellen Diskussion unter, dass es eine Vorerhebung zu der Untersuchung gegeben hat. Dabei wurde festgestellt, in welchen Jugendzentren Jugendliche abwertende Einstellungen vertreten. Bei diesen wurde dann die Studie hauptsächlich durchgeführt. In vielen Medien wird das Ergebnis jetzt auf Muslime insgesamt umgelegt. Nichtsdestotrotz sind die Ergebnisse natürlich beunruhigend. SN: War es für Sie überraschend, dass es solche Aussagen gibt? Nein, wenn wir die Jugend als Spiegel der Erwachsenenwelt sehen, dann hätte ich mir das Ergebnis noch schlimmer vorgestellt. Ich denke da an eine Studie, wonach sich fast ein Drittel der Bevölkerung in Österreich mehr oder weniger für einen starken Führer ausspricht. Radikalisierung passiert nicht im luftleeren Raum. SN: Die Erhebung ist im Winter 2014/2015 entstanden. Wie sieht es denn aktuell in den Jugendzentren aus? Ich kann nur sagen, wie es bei uns im 20. Wiener Gemeindebezirk aussieht. Abwertende Einstellungen sind bei Jugendlichen immer Thema. In dem Alter geht es auch darum, die eigene Gruppe aufzuwerten, um sich wo zugehörig zu fühlen. Das passiert oft dadurch, dass ich andere Gruppen massiv abwerte. Das kann sich gegen Jugendliche aus einem anderen Dorf, einem anderen Bezirk oder einer anderen Herkunft richten. SN: Muss man dann radikale Gedanken bei Jugendlichen einfach hinnehmen? Nein, wir Erwachsene müssen radikalisierten Jugendlichen die Grenzen aufzeigen. Wenn in unserer Einrichtung extremistische Aussagen fallen, beziehe ich klar Stellung und begründe, warum ich das nicht gut finde. Durch die Diskussion lernt der Jugendliche mehr als durch Ausgrenzung. Auch die Studie sagt, dass die Einstellungen bei den Befragten nicht gefestigt sind. Man kann da mit Diskussionen und Nachfragen viel bewirken. SN: Was kann man gegen die Verherrlichung des Dschihad unternehmen? Bei uns hat dieser sogenannte Popdschihadismus in den vergangenen zwei Jahren zum Glück massiv abgenommen. Burschen, die mit dem Logo des „Islamischen Staates“(IS) herumgelaufen sind, wollen heute davon nichts mehr wissen. Sie haben eine Arbeit und die erste Freundin. Dagegen hat die ISPropaganda keine Chance. Die Studienteilnehmer sind zwei Jahre älter geworden, und in dieser Zeit tut sich in dem Alter extrem viel. SN: Wieso ist der IS nicht mehr so populär? Zum einen verändern sich Jugendkulturen immer schnell und sind ständig im Wandel. Es hat auch viele Workshops gegeben, in denen etwa über Propaganda und Religionskriege gesprochen wurde. Außerdem zieht die Propaganda des IS nicht mehr. Am Anfang hat er den Anhängern vorgegaukelt, dass sie beim IS eine wichtige Position bekommen und Helden werden. Mittlerweile wissen viele Jugendlichen, dass dieses Bild nicht stimmt. SN: Viele muslimische Jugendliche sehen sich als Opfer und rechtfertigen damit ihre Einstellung. Wie kann man das ändern? Wenn man sich die Bilder aus Syrien ansieht, gibt es viele Gründe, wütend zu sein. Nur geht es darum, Wege zu zeigen, wie man auf friedliche Weise gegen empfundenes Unrecht angeht. Wir versuchen, mit der Vielfalt unter den Jugendlichen zu arbeiten damit dieses Schwarz-Weiß-Bild wie „wir Muslime und der Westen“oder umgekehrt keine Chance hat. Es gibt sehr viele Grautöne in der Welt, die muss auch die Gesellschaft jungen Menschen vorleben. Fabian Reicher: