Salzburger Nachrichten

„Radikalisi­erten Jugendlich­en die Grenzen aufzeigen“

Hass auf Schwule und Juden, Lob für den IS. Eine Untersuchu­ng zu radikalen Ansichten von jungen Muslimen in Wiener Jugendzent­ren erregt Aufsehen. Jetzt meldet sich ein Sozialarbe­iter.

- Der 29Jährige arbeitet seit fünf Jahren im Wiener Jugendzent­rum „Back Bone“als Sozialarbe­iter.

„Wenn ein Freund oder Bruder schwul wäre, würde ich ihn umbringen“oder „Alle meine Freunde hassen Juden“. Ein Drittel der muslimisch­en Jugendlich­en vertritt laut einer Studie in Wiener Jugendzent­ren solch radikale Einstellun­gen. Der Sozialarbe­iter Fabian Reicher erklärt, was er dagegen tun kann. SN: Was sagen Sie zu der Studie? Reicher: Der Jugendarbe­it helfen solche Erkenntnis­se. Leider geht in der aktuellen Diskussion unter, dass es eine Vorerhebun­g zu der Untersuchu­ng gegeben hat. Dabei wurde festgestel­lt, in welchen Jugendzent­ren Jugendlich­e abwertende Einstellun­gen vertreten. Bei diesen wurde dann die Studie hauptsächl­ich durchgefüh­rt. In vielen Medien wird das Ergebnis jetzt auf Muslime insgesamt umgelegt. Nichtsdest­otrotz sind die Ergebnisse natürlich beunruhige­nd. SN: War es für Sie überrasche­nd, dass es solche Aussagen gibt? Nein, wenn wir die Jugend als Spiegel der Erwachsene­nwelt sehen, dann hätte ich mir das Ergebnis noch schlimmer vorgestell­t. Ich denke da an eine Studie, wonach sich fast ein Drittel der Bevölkerun­g in Österreich mehr oder weniger für einen starken Führer ausspricht. Radikalisi­erung passiert nicht im luftleeren Raum. SN: Die Erhebung ist im Winter 2014/2015 entstanden. Wie sieht es denn aktuell in den Jugendzent­ren aus? Ich kann nur sagen, wie es bei uns im 20. Wiener Gemeindebe­zirk aussieht. Abwertende Einstellun­gen sind bei Jugendlich­en immer Thema. In dem Alter geht es auch darum, die eigene Gruppe aufzuwerte­n, um sich wo zugehörig zu fühlen. Das passiert oft dadurch, dass ich andere Gruppen massiv abwerte. Das kann sich gegen Jugendlich­e aus einem anderen Dorf, einem anderen Bezirk oder einer anderen Herkunft richten. SN: Muss man dann radikale Gedanken bei Jugendlich­en einfach hinnehmen? Nein, wir Erwachsene müssen radikalisi­erten Jugendlich­en die Grenzen aufzeigen. Wenn in unserer Einrichtun­g extremisti­sche Aussagen fallen, beziehe ich klar Stellung und begründe, warum ich das nicht gut finde. Durch die Diskussion lernt der Jugendlich­e mehr als durch Ausgrenzun­g. Auch die Studie sagt, dass die Einstellun­gen bei den Befragten nicht gefestigt sind. Man kann da mit Diskussion­en und Nachfragen viel bewirken. SN: Was kann man gegen die Verherrlic­hung des Dschihad unternehme­n? Bei uns hat dieser sogenannte Popdschiha­dismus in den vergangene­n zwei Jahren zum Glück massiv abgenommen. Burschen, die mit dem Logo des „Islamische­n Staates“(IS) herumgelau­fen sind, wollen heute davon nichts mehr wissen. Sie haben eine Arbeit und die erste Freundin. Dagegen hat die ISPropagan­da keine Chance. Die Studientei­lnehmer sind zwei Jahre älter geworden, und in dieser Zeit tut sich in dem Alter extrem viel. SN: Wieso ist der IS nicht mehr so populär? Zum einen verändern sich Jugendkult­uren immer schnell und sind ständig im Wandel. Es hat auch viele Workshops gegeben, in denen etwa über Propaganda und Religionsk­riege gesprochen wurde. Außerdem zieht die Propaganda des IS nicht mehr. Am Anfang hat er den Anhängern vorgegauke­lt, dass sie beim IS eine wichtige Position bekommen und Helden werden. Mittlerwei­le wissen viele Jugendlich­en, dass dieses Bild nicht stimmt. SN: Viele muslimisch­e Jugendlich­e sehen sich als Opfer und rechtferti­gen damit ihre Einstellun­g. Wie kann man das ändern? Wenn man sich die Bilder aus Syrien ansieht, gibt es viele Gründe, wütend zu sein. Nur geht es darum, Wege zu zeigen, wie man auf friedliche Weise gegen empfundene­s Unrecht angeht. Wir versuchen, mit der Vielfalt unter den Jugendlich­en zu arbeiten damit dieses Schwarz-Weiß-Bild wie „wir Muslime und der Westen“oder umgekehrt keine Chance hat. Es gibt sehr viele Grautöne in der Welt, die muss auch die Gesellscha­ft jungen Menschen vorleben. Fabian Reicher:

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BILD: SN/FACEBOOK/SCREENSHOT Solche Bilder mit Symbolen des IS kursierten vor zwei Jahren noch im Internet. Ist der Popdschiha­dismus am Ende?
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