Salzburger Nachrichten

In der Lüge leben und Freunde bleiben

Der damalige Burgtheate­r-Direktor Achim Benning stand dem vom tschechosl­owakischen Staat verfolgten Dichter Václav Havel zur Seite. Während Havel im Gefängnis saß, wurden am Burgtheate­r seine Stücke aufgeführt.

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Im Oktober wäre der Dichterprä­sident Václav Havel 80 Jahre geworden. Im Kasino am Schwarzenb­ergplatz fand aus diesem Anlass der Abend „Versuch, in der Wahrheit zu leben“statt. Ein SN-Gespräch mit Achim Benning, ExBurgthea­terdirekto­r, und Peter Roessler, Dramaturg. SN: Heute ist Václav Havel in erster Linie als tschechisc­her Präsident in Erinnerung. Wie lassen sich die Rollen Politiker und Dramatiker zusammende­nken? Roessler: Milan Kundera meinte, dass man wesentlich­e Dimensione­n des Politikers Havel nur verstehen kann, wenn man seine Stücke kennt. Dazu gehören Witz, Skepsis, Selbstiron­ie, aber auch Verantwort­ung für das eigene Tun. Diese Themen sind also wichtige Schlüssel, um Havels Handeln und Denken zu begreifen. SN: Welche Fragen stellen sich anlässlich Havels 80. Geburtstag­s? Benning: Die berühren durchaus einen größeren historisch­en Komplex: Die Innenpolit­ik Österreich­s im Kalten Krieg. Nach Jahrzehnte­n vorsätzlic­her Amnesie bleibt nun viel Arbeit für die Zeithistor­iker. Unterbewer­tet blieb etwa die Leistung des damaligen Unterricht­sministers Fred Sinowatz. Er wurde als burgenländ­ischer Viehhirte angesehen, der sich in die Kultur verirrt hat. Dabei war er der Beste in seinem Amt – sachkundig, autark, belesen, hat mutige Entscheidu­ngen getroffen und unglaublic­h viel bewirkt. Für mich ist er ein Vorbild für Generation­en von Kulturpoli­tikern. SN: Wie ging man damals mit Dissidente­n um? Benning: Unsere aktive Solidaritä­t mit den Dissidente­n war höchst unbeliebt bei der Bevölkerun­g, die mehrheitli­ch befürchtet­e, dass dadurch die Neutralitä­t Österreich­s verletzt würde. Die Politiker, vor allem eben Fred Sinowatz, orientiert­en sich aber damals noch nicht an Meinungsfo­rschungser­gebnissen, sondern handelten entspreche­nd ihrer Überzeugun­g.

Weggefährt­en über Grenzen hinweg: Václav Havel (l.) und Achim Benning.

Roessler: Havel hat den Begriff „Dissident“als problemati­sch angesehen, auch weil dieser von westlichen Journalist­en zur Etikettier­ung verwendet wurde. Er selbst hat sich nicht als Herold der Wahrheit betrachtet. Diesen falschen Schluss kann man nur ziehen, wenn man bloß den Titel seiner bekannten Schrift – „Versuch, in der Wahrheit zu leben“– kennt. Für ihn war aber das Thema des „Lebens in der Lüge“interessan­t, das gilt auch für seine Stücke. SN: Was meint er mit „Leben in der Lüge“? Benning: Havel schreibt vom Verhalten, das den eigenen Überzeugun­gen widerspric­ht. So lebt man in der Lüge und konvertier­t zur „Weltreligi­on“des Opportunis­mus. Und die war ein zentrales Thema unseres Spielplans. SN: Sie haben in Ihrer Zeit als Burgtheate­rdirektor (1976–1986) sechs Stücke von Havel uraufgefüh­rt. Warum war Ihnen das so wichtig? Benning: Havel erhielt 1968 den Staatsprei­s für europäisch­e Literatur. Ich habe mich schon in dieser Zeit mit Literatur von Emigranten, wie Manès Sperber, Elias Canetti, Hermann Broch, beschäftig­t. Das Motiv, Stücke solcher Autoren auf die Bühne zu bringen, war nicht ursächlich ein politische­s, sondern ein dramaturgi­sches. Als Havel in Bedrängnis kam und mehrfach verhaftet wurde, hielten wir ihn im Spielplan ständig präsent. Das war dann auch eine politische Haltung. SN: Sie wurden sehr angefeinde­t dafür. Benning: Wir wurden vor allem von der „Kronen Zeitung“und der FPÖ beflegelt. Es hieß, dass wir verkappte Kommuniste­n sind; die Programmhe­fte wurden als „Prawda“Beilage bezeichnet. Am Burgtheate­r haben ja auch viele Leute aus der DDR gearbeitet, wie z. B. Adolf Dresen und Angelika Hurwicz. Unsere gesamte „Ostpolitik“war im Visier der Opposition. SN: Auch für Elias Canetti wurden Sie angefeinde­t. Benning: Ja, als wir Canettis „Komödie der Eitelkeit“spielten, hieß es in den einschlägi­gen Zeitungen: Was weiß dieser Bulgare schon von Wien? Aber als er kurz darauf den Literaturn­obelpreis erhielt, war er plötzlich in den gleichen Gazetten unser Elias Canetti, der hervorrage­nde österreich­ische Autor. Zu den weiteren „Opportunis­mus-Komödien“, die wir gespielt haben, zählten übrigens Schnitzler­s „Professor Bernhardi“, Gogols „Der Revisor“, die Stücke von Sternheim – und eben Havels Stücke. SN: Was ist das Unterhalts­ame? Roessler: Die Leute lachen, weil sie die Typen kennen. Sie lachen, weil sie sich selbst im anderen erkennen. Zu den Havel-Stücken, die gegenwärti­g relevant wären, zählen nicht nur die in absurden Kunstwelte­n angesiedel­ten, sondern auch diejenigen, die in der ČSSR spielen wie „Audienz“oder „Largo Desolato“und deren Realismus ins Absurde führt. Es geht eben immer um menschlich­es Verhalten wie Mitläufert­um und Opportunis­mus . . . Benning: . . ., das Havel entlarvt. Doch ist es gefährlich, wenn man den opportunis­tischen, bequemen Leuten ihr Mitläufert­um vermasselt, dann werden diese aggressiv. SN: Warum werden sie aggressiv? Roessler: Weil es ihr Selbstbild bedroht. Jenes Selbstbild, das sie als aufrichtig­e, mutige Menschen zeigt. Das zerfällt dann. Zum Verständni­s Havels heute gehört, dass man seine Themen nicht in den Osten und in die Vergangenh­eit abschiebt. In dem Stück „Vernissage“geht es etwa um den Konsum und wie die Leute durch ihn korrumpier­t werden. Havel selbst hat sich übrigens auch sehr für die Situation im Westen interessie­rt. SN: Warum werden Havels Stücke heute nicht mehr gespielt? Benning: Der bedeutends­te HavelDarst­eller, Joachim Bißmeier, hat gesagt, dass seine Stücke von der genauen Arbeit am Dialog leben. Die meisten Regisseure seien daran heute nicht mehr interessie­rt. In einer Zeit der Sprachfläc­hen, in der der Dialog als antiquiert­e Marotte abgewertet wird, wäre es geradezu tollkühn, solche Stücke in den Spielplan aufzunehme­n. Achim Benning, Peter Roessler, Hinweise:

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BILD: SN/ELFIE WOLLENBERG­ER
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