„Jedes Kind auf Verdacht fördern“
Man kann nicht aus jedem Kind einen Mozart oder Einstein machen. Es gibt aber für Eltern und Lehrer auch eine frohe Botschaft.
JOSEF BRUCKMOSER
SALZBURG. Sie denken nicht anders, aber schneller, und sie haben einen größeren Arbeitsspeicher zur Verfügung. Diese zwei Merkmale hat die Wissenschaft bei hochbegabten Kindern und Jugendlichen festgestellt. „Es handelt sich also um einen Unterschied in der Hardware, nicht in der Software“, sagt Roland H. Grabner, Bereichsleiter für Begabungsforschung am Institut für Psychologie der Universität Graz. „Intellektuell Hochbegabte unterscheiden sich quantitativ durch die höhere Informationsverarbeitungsgeschwindigkeit und die höhere Arbeitsgedächtniskapazität. In der Art und Weise des Denkens, also qualitativ, ist kein Unterschied.“
Eine Studie aus dem Jahr 2013 beschrieb das so: „Trotz intensiver Forschungsbemühungen konnten bisher keine qualitativen Unterschiede in den intellektuellen Prozessen ‚Hochbegabter‘ und ‚NichtHochbegabter‘ gefunden werden.“
Übung
Ein hoher Intelligenzquotient führt nicht von selbst zu einer herausragenden Leistung. Selbstverständlich brauche es ein bestimmtes Potenzial, intellektuell wie kreativkünstlerisch, um exzellente Ergebnisse erzielen zu können, sagte Grabner kürzlich beim Internationalen Kongress des Österreichischen Zentrums für Begabungsforschung (ÖZBF) in Salzburg. Man könne nicht aus jedem Kind einen Mozart oder Einstein machen.
Aber: „Das Sprichwort gilt, dass noch kein Meister vom Himmel gefallen ist. Das Potenzial muss durch Lernen, Üben und gezieltes Training umgesetzt werden.“Dazu seien eine „hohe intrinsische Motivation und Ausdauer“ebenso notwendig wie der Zugang zu entsprechenden Trainingsgelegenheiten.
In der Begabungsforschung gilt die Zehn-Jahre-Regel als Durchschnittswert. Das heißt, dass im Schnitt zehn Jahre intensives Lernen und Üben notwendig sind, um eine Spitzenleistung zu erreichen. In Übungsstunden gerechnet sind das etwa 10.000 Einheiten. In der Forschung über kleinere oder größere Musikgenies zum Beispiel hat sich erwiesen, dass beständiges individuelles Üben und Solo-Auftritte unerlässlich sind. Großen Einfluss hat auch der Mentor oder Lehrer und dass die Chemie zwischen ihm und dem Schüler passt.
Eltern
Aber was können Eltern tun, um Begabungen ihrer Kinder zu fördern? „Das Wichtigste ist eine anregende Umgebung, wo Kinder viel ausprobieren können und ihre Begabungen entdecken und entfalten können“, sagt der Grazer Begabungsforscher. „Dazu gehört auch, dass sie mit Musikinstrumenten zu tun haben, dass sie Museen besuchen, Theater besuchen und Ähnliches mehr.“Durch solche vielfältige Anregungen werde sichtbar, was den Kindern besonders gefalle. „Dadurch können Stärken entdeckt werden, die andernfalls vielleicht nicht erkannt würden“, so Grabner.
Als Leitspruch empfiehlt der Wissenschafter den Eltern daher: „Jedes Kind auf Verdacht fördern.“Es brauche dafür nicht unbedingt eine Diagnose für Hochbegabung. Wichtig sei vielmehr, auf die Interessen des Kindes zu achten und es zum ständigen Erwerb von Wissen anzuregen. „Intelligenz ist nur bedingt beeinflussbar. Daher wäre es nicht sinnvoll, sich bei der Förderung der Kinder auf den Intelligenzquotienten zu fixieren.“
Schule
Der Schulbesuch wirkt sich nach wissenschaftlichen Erkenntnissen positiv auf die Intelligenz aus. Entscheidender ist aber, dass der Wissenserwerb gefördert wird, dass die Kinder ihr Wissen früh aufbauen. Immer wenn Wissen zu Wissen dazukommt, summiert sich der Effekt.
„Die Schule kann dazu beitragen, dass alle Begabungen, alle Potenziale der Kinder gefördert werden“, sagt Grabner. „Das geschieht durch einen anregenden, differenzierten Unterricht, bei dem Kinder auch auf unterschiedlichen Niveaus arbeiten können.“
Zum anderen gibt es Schülerinnen und Schüler, die einen besonderen Bedarf haben, entweder im Bereich von Defiziten – etwa Kinder mit Lernschwächen – oder im Bereich von Hochbegabung. Für Hochbegabte bewähren sich spezielle pädagogische Maßnahmen wie eine Klasse überspringen oder zusätzliche Anregungen bekommen (Enrichment-Maßnahmen), für die es ein reiches Angebot gibt.
Begabungsforscher Grabner setzt dabei besonders auf die Volksschullehrerinnen: „Ich habe den Eindruck, dass im Grundschulbereich sehr viel Flexibilität gepflegt wird, die auf die unterschiedlichen Begabungen Rücksicht nimmt.“ Info: Das Österreichische Zentrum für Begabtenförderung und Begabungsforschung in Salzburg unterstützt Kinder und Jugendliche bei der Entwicklung ihrer Potenziale. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Förderung, weniger auf diagnostischen Mitteln zur Feststellung von Begabungen. Tel.: 0662 / 43 95 81 Email: INFO@OEZBF.AT , WWW.OEZBF.AT
„Es braucht Lernen, Üben und Training.“Roland H. Grabner Begabungsforscher