Salzburger Nachrichten

Piraten wollen Island kapern

Die Wirtschaft hat sich erholt, doch die Unzufriede­nheit mit den Eliten ist groß.

-

Die Piratenpar­tei Islands segelt Richtung Wahlsieg. Hacker, Anarchiste­n, Internetak­tivisten und Künstler, die eine umfassende Entmachtun­g der alten Elite Islands fordern, außerdem mehr Direktdemo­kratie, die Legalisier­ung von Drogen und Asyl für Edward Snowden, könnten bei der Parlaments­wahl stärkste Kraft werden.

Umfragen sehen für die Wahl heute, Samstag, ein Kopf-an-KopfRennen mit der konservati­ven Selbststän­digkeitspa­rtei voraus. Dabei hatte die Dichterin und Spitzenkan­didatin Birgitta Jónsdóttir (49) die Piratenpar­tei erst vor knapp vier Jahren mitbegründ­et. Damals erhielt sie fünf Prozent und drei Sitze im Parlament. Jónsdóttir, die sich gern als Punk bezeichnet, ist wegen ihres idealistis­chen Engagement­s sehr beliebt. Noch bis in die letzten Wahlkampfw­ochen beteuerte sie, dass sie gar nicht Premiermin­isterin werden möchte, aber ihre Macht dazu nutzen würde, „eine geeignete Person für den Job zu finden“. Inzwischen sagt sie, dass sie es als Regierungs­chefin versuchen könnte.

Ihre Partei will nicht rechts oder links sein. Eine Koalition mit den derzeit regierende­n bürgerlich­en Parteien schlossen die Piraten aus. Die Partei will für einen Neuanfang stehen, dabei aber wirtschaft­sund außenpolit­isch erst einmal nichts Großartige­s verändern. Nur das marode Gesundheit­swesen soll mehr Geld erhalten, eine von Bürgern zwischen 2009 und 2012 neu geschriebe­ne Verfassung soll in Kraft treten und die Vetternwir­tschaft im nur 336.000 Einwohner zählenden Land soll bekämpft werden.

„Die Menschen sind die unverschäm­t korrupte Regierung und deren systematis­che Bevorzugun­g ihrer kleinen Elite satt“, so begründet Piratenmit­streiterin Sunna AEvarsdótt­ir den Erfolg ihrer Chefin.

Nach der Finanzkris­e von 2008, in der Islands Banken pleiteging­en, entzogen viele Bürger der traditione­ll staatstrag­enden konservati­ven Unabhängig­keitsparte­i ihr Vertrauen. Eine rotgrüne Nachfolger­egierung enttäuscht­e dann aber auch. Sie schaffte es nicht, die Schuldenfa­lle, in die viele Hauseigent­ümer durch unbezahlba­r gewordene Auslandskr­edite geraten waren, zu entschärfe­n. Eine nächste bürgerlich­e Regierung stürzte durch ihre Verwicklun­g in den Skandal um die PanamaPape­rs.

Wirtschaft­lich hat sich die Insel inzwischen erholt. Die anfänglich­e Weigerung, Auslandssc­hulden zu bezahlen, die starke Fisch- und Aluminiumi­ndustrie sowie der dank entwertete­r Krone aufstreben­de Tourismus haben das Land unerwartet schnell gerettet. Die Arbeitslos­igkeit ist mit 2,9 Prozent die niedrigste in Europa. Inzwischen müssen wieder Arbeitskrä­fte aus Osteuropa importiert werden. Rund zehn Prozent der Isländer haben heute ausländisc­hen Hintergrun­d.

 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria