„Was zählt, ist die Geschichte“
Elisabeth Bumiller, Leiterin der Washington-Redaktion der „New York Times“, über Donald Trump, Medien und Leser.
SN: In elf Tagen wählt Amerika einen neuen Präsidenten. Wie schaut Ihr Resümee des bisherigen Wahlkampfs aus? Elisabeth Bumiller: Wenn man sich die Umfragen ansieht, dann hatte Donald Trump einen wirklich guten September. Er war sehr diszipliniert und hat sich an die Vorgaben seiner Berater gehalten. Aber seit dem Moment, als jenes Video erschien, in dem er vulgär damit prahlt, wie er Frauen anmacht, und er von mehreren Frauen sexueller Übergriffe bezichtigt wurde, gehen seine Umfragewerte deutlich zurück. Dennoch: Es sind noch einige Tage bis zur Wahl – warten wir, was passiert. SN: Sie haben die sexuellen Übergriffe angesprochen. Die „New York Times“hat als erste Zeitung über die Geschichte zweier Frauen berichtet, die Vorwürfe gegen Trump erhoben haben. Gab es je Bedenken, diese Geschichte zu veröffentlichen? Ich war nicht die Verantwortliche für die Geschichte. Aber wenn man Frauen hat, die dies belegen können, dann gibt es keine Zweifel. SN: Was würde mit Amerika passieren, wenn der nächste Präsident Donald Trump heißt? Wenn wir ihn beim Wort nehmen, dann könnte er unsere Beteiligung an wichtigen Handelsabkommen beenden, er könnte über die Angriffe in Syrien entscheiden, er könnte eine Mauer zu Mexiko bauen – wie auch immer das funktionieren soll. Er könnte sehr viel. SN: Sprechen wir über die Beziehung von Trump zu den Medien. Trump wird nicht müde zu betonen, wie korrupt und verlogen die Medien sind. Glauben Sie, dass dies einen Einfluss auf das Image der US-Medien für die Zeit nach der Wahl haben könnte? Es gibt ganz klare Hinweise, dass er damit bei seinen Unterstützern großen Erfolg hat. Das äußert sich etwa bei Wahlauftritten, wo es zu Angrif- Anja Kröll berichtet von der US-Wahl ’16 fen von Trump-Anhängern auf Reporter kommt. Andererseits muss man so ehrlich sein und sagen, dass es bereits davor ein großes Misstrauen der Amerikaner gegenüber Medien gab. Um Ihre Frage zu beantworten: Nein, ich glaube nicht, dass das Medienimage einen nachhaltigen Schaden nehmen wird. SN: Donald Trump hat wie kein anderer Präsidentschaftskandidat zuvor seine Version der Wahrheit über soziale Medien verbreitet. Haben die traditionellen Medien in diesem Wahlkampf in ihrer Rolle als Gatekeeper versagt? Wir haben unsere Rolle sehr wohl wahrgenommen. Denken sie nur an die endlosen Fakten-Checks, die wir durchgeführt haben. Aber wir müssen auch anerkennen, dass diese auf die Anhänger von Donald Trump keine oder kaum Auswirkungen haben. Trump-Unterstützer haben den Medien nie vertraut. Sie lesen die „New York Times“auch nicht. Hinzu kommt, dass die „New York Times“immer eine gute Angriffsfläche war. Donald Trump ist nicht der erste Präsidentschaftskandidat, der dies erkannt hat. Er hat es nur lauter und öfter als andere getan. Ich glaube nicht, dass diese Kampagne und ihr Fokus auf soziale Medien das Ende der amerikanischen Qualitätsmedien bedeutet. SN: Die „New York Times“hat die meisten Online-Leser in Amerika, die auch bereit sind, für dieses Angebot zu bezahlen. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeheimnis? Es geht nicht nur um Zahlen. Vielmehr geht es darum, Leser zu haben, die sich einbringen, die sich mit der Marke „New York Times“identifizieren. Auch wenn wir bereits sehr viele Leser haben, die bereit sind, für Onlineinhalte zu bezahlen, brauchen wir mehr, um jenen Journalismus zu finanzieren, den wir betreiben wollen. Darum gibt es in unserer Digital-Strategie auch Bestrebungen, verstärkt auf eine internationale Leserschaft zu setzen. Vor allem Leser in englischsprachigen Ländern wie Australien oder Großbritannien. SN: Viele Zeitungen stellen sich die Frage, ob Online oder Print wichtiger ist. Ihr Chefredakteur Dean Baquet hat gesagt: Am wichtigsten ist die Story. Stimmen Sie zu? Ich stimme ihm völlig zu: Was zählt, ist die Geschichte. Für uns als Journalisten muss es egal sein, wie Menschen ihre Nachrichten konsumieren. Ob am Handy, am Laptop oder in der Zeitung. Wir müssen exklusive, investigative Geschichten und Einblicke in das Leben der Menschen aufspüren und erzählen. Die Vertriebssysteme mögen sich ändern, aber was sich nicht ändert, ist, dass unsere Leser Geschichten und Nachrichten erhalten wollen. Elisabeth Bumiller