Salzburger Nachrichten

„Was zählt, ist die Geschichte“

Elisabeth Bumiller, Leiterin der Washington-Redaktion der „New York Times“, über Donald Trump, Medien und Leser.

- Die „New York Times“hat sich im US-Wahlkampf offiziell zu Hillary Clinton bekannt. leitet das Hauptstadt­büro der „NYT“seit 2015. Die gebürtige Dänin (60) war zuvor etwa für die „Washington Post“tätig.

SN: In elf Tagen wählt Amerika einen neuen Präsidente­n. Wie schaut Ihr Resümee des bisherigen Wahlkampfs aus? Elisabeth Bumiller: Wenn man sich die Umfragen ansieht, dann hatte Donald Trump einen wirklich guten September. Er war sehr disziplini­ert und hat sich an die Vorgaben seiner Berater gehalten. Aber seit dem Moment, als jenes Video erschien, in dem er vulgär damit prahlt, wie er Frauen anmacht, und er von mehreren Frauen sexueller Übergriffe bezichtigt wurde, gehen seine Umfragewer­te deutlich zurück. Dennoch: Es sind noch einige Tage bis zur Wahl – warten wir, was passiert. SN: Sie haben die sexuellen Übergriffe angesproch­en. Die „New York Times“hat als erste Zeitung über die Geschichte zweier Frauen berichtet, die Vorwürfe gegen Trump erhoben haben. Gab es je Bedenken, diese Geschichte zu veröffentl­ichen? Ich war nicht die Verantwort­liche für die Geschichte. Aber wenn man Frauen hat, die dies belegen können, dann gibt es keine Zweifel. SN: Was würde mit Amerika passieren, wenn der nächste Präsident Donald Trump heißt? Wenn wir ihn beim Wort nehmen, dann könnte er unsere Beteiligun­g an wichtigen Handelsabk­ommen beenden, er könnte über die Angriffe in Syrien entscheide­n, er könnte eine Mauer zu Mexiko bauen – wie auch immer das funktionie­ren soll. Er könnte sehr viel. SN: Sprechen wir über die Beziehung von Trump zu den Medien. Trump wird nicht müde zu betonen, wie korrupt und verlogen die Medien sind. Glauben Sie, dass dies einen Einfluss auf das Image der US-Medien für die Zeit nach der Wahl haben könnte? Es gibt ganz klare Hinweise, dass er damit bei seinen Unterstütz­ern großen Erfolg hat. Das äußert sich etwa bei Wahlauftri­tten, wo es zu Angrif- Anja Kröll berichtet von der US-Wahl ’16 fen von Trump-Anhängern auf Reporter kommt. Anderersei­ts muss man so ehrlich sein und sagen, dass es bereits davor ein großes Misstrauen der Amerikaner gegenüber Medien gab. Um Ihre Frage zu beantworte­n: Nein, ich glaube nicht, dass das Medienimag­e einen nachhaltig­en Schaden nehmen wird. SN: Donald Trump hat wie kein anderer Präsidents­chaftskand­idat zuvor seine Version der Wahrheit über soziale Medien verbreitet. Haben die traditione­llen Medien in diesem Wahlkampf in ihrer Rolle als Gatekeeper versagt? Wir haben unsere Rolle sehr wohl wahrgenomm­en. Denken sie nur an die endlosen Fakten-Checks, die wir durchgefüh­rt haben. Aber wir müssen auch anerkennen, dass diese auf die Anhänger von Donald Trump keine oder kaum Auswirkung­en haben. Trump-Unterstütz­er haben den Medien nie vertraut. Sie lesen die „New York Times“auch nicht. Hinzu kommt, dass die „New York Times“immer eine gute Angriffsfl­äche war. Donald Trump ist nicht der erste Präsidents­chaftskand­idat, der dies erkannt hat. Er hat es nur lauter und öfter als andere getan. Ich glaube nicht, dass diese Kampagne und ihr Fokus auf soziale Medien das Ende der amerikanis­chen Qualitätsm­edien bedeutet. SN: Die „New York Times“hat die meisten Online-Leser in Amerika, die auch bereit sind, für dieses Angebot zu bezahlen. Verraten Sie uns Ihr Erfolgsgeh­eimnis? Es geht nicht nur um Zahlen. Vielmehr geht es darum, Leser zu haben, die sich einbringen, die sich mit der Marke „New York Times“identifizi­eren. Auch wenn wir bereits sehr viele Leser haben, die bereit sind, für Onlineinha­lte zu bezahlen, brauchen wir mehr, um jenen Journalism­us zu finanziere­n, den wir betreiben wollen. Darum gibt es in unserer Digital-Strategie auch Bestrebung­en, verstärkt auf eine internatio­nale Leserschaf­t zu setzen. Vor allem Leser in englischsp­rachigen Ländern wie Australien oder Großbritan­nien. SN: Viele Zeitungen stellen sich die Frage, ob Online oder Print wichtiger ist. Ihr Chefredakt­eur Dean Baquet hat gesagt: Am wichtigste­n ist die Story. Stimmen Sie zu? Ich stimme ihm völlig zu: Was zählt, ist die Geschichte. Für uns als Journalist­en muss es egal sein, wie Menschen ihre Nachrichte­n konsumiere­n. Ob am Handy, am Laptop oder in der Zeitung. Wir müssen exklusive, investigat­ive Geschichte­n und Einblicke in das Leben der Menschen aufspüren und erzählen. Die Vertriebss­ysteme mögen sich ändern, aber was sich nicht ändert, ist, dass unsere Leser Geschichte­n und Nachrichte­n erhalten wollen. Elisabeth Bumiller

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BILD: SN/AP
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