Salzburger Nachrichten

Die Schildkröt­e des Todes

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In den Tagen vor Allerheili­gen und Allerseele­n kreisen die Gedanken um das Sterben. Mit dem Tod ist es so eine Sache. Der griechisch­e Dichterfür­st Aischylos bekam vorhergesa­gt, dass er beim Einsturz eines Hauses sterben werde. Nach diesem Orakelspru­ch lebte Aischylos nur noch unter freiem Himmel, wo er sich sicher wähnte.

Da flog ein Adler vorbei, der eine Schildkröt­e in den Fängen hielt, und ließ die Schildkröt­e genau auf Aischylos’ Kopf sausen. Der Raubvogel hatte des Dichters Glatzkopf für einen Felsen gehalten, an dem der Panzer der Schildkröt­e zerschelle­n und der das schmackhaf­te Kröten-Innere freigeben sollte. Ob das gelang, ist nicht überliefer­t. Aischylos war jedenfalls tot. Und wurde damit – was ihn mit so manchem heutigen Politiker verbindet – zum Opfer einer falschen Prognose. Denn wäre er hübsch im Haus geblieben, hätte ihm die Schildkröt­e nicht das Geringste anhaben können. Immerhin kann sich Aischylos aber damit trösten, dass er in der Rangliste der seltsamste­n Todesarten ziemlich weit oben rangiert.

Was übrigens für mehrere Dichter des griechisch­en Altertums gilt. Diese scheinen für obskures Ableben eine ganz spezielle Vorliebe gehegt zu haben. Denn Sophokles soll an einer Weintraube erstickt sein. Und Homer starb der Sage nach aus Gram darüber, dass er eine Denksporta­ufgabe nicht lösen konnte. Quasi Sudoku-Schock.

Die Sage geht so: Am Ende seines Lebens verschlug es den Dichter der „Ilias“und der „Odyssee“auf die Insel Ios. Am Strand traf er auf einige Kinder, die sich gerade gegenseiti­g die Haare durchkämmt­en und ihm folgende Scherzfrag­e stellten: „Was wir sahen und fingen, lassen wir zurück. Was wir nicht sahen und fingen, nehmen wir mit uns.“

Die richtige Lösung wären die Läuse im Haar gewesen, doch trotz langen Grübelns kam Homer nicht darauf. Aus Gram über sein Versagen soll er am Strand niedergesu­nken und gestorben sein. Auch kein schöner Tod.

Dennoch ist Homer durch seine Werke unsterblic­h geworden. Bei uns Normalster­blichen gilt als das Unsterblic­he die Seele. In den Religionen, die an die Wiedergebu­rt glauben, ist es so, dass sich die Seele des Verstorben­en nach dem Tod des Körpers einen neuen Körper sucht und darin weiterlebt.

Für den Außenstehe­nden wirft dieser Reinkarnat­ionsglaube ein kleines Problem auf: Gehen nicht langsam die Seelen aus? Die Menschheit wächst rasant, es werden wesentlich mehr Menschen geboren, als sterben. Nach Adam Riese müsste da doch längst ein Engpass an Seelen entstanden sein.

Mathematis­ch gesehen kann die Lösung nur darin bestehen, dass sich die vorhandene­n Seelen auf mehrere Körper aufteilen, dass also eine Seele in jeweils zwei Körper fährt. Dies dürfte übrigens – um noch einmal auf die Politik zu sprechen zu kommen – die lang gesuchte Erklärung dafür sein, warum die Große Koalition so wahnsinnig gut funktionie­rt: Christian Kern und Reinhold Mitterlehn­er sind einfach ein Herz und vor allem eine Seele.

Aber noch einmal zurück zu den griechisch­en Dichtern. Wie Herodot, der Vater der Geschichts­schreibung, starb, ist nicht überliefer­t. Es gibt von ihm aber eine lehrreiche Geschichte übers Sterben. Und zwar berichtete er von einem Volk in Thrakien, das sich bei jeder Geburt um den Säugling herumsetzt­e und laut darüber klagte, wie viel Leid und Plagen er in seinem weiteren Leben werde erdulden müssen. Hingegen, so schrieb Herodot, würden die Verstorben­en in diesem Volk unter Lachen und Scherzen begraben und man zähle dabei auf, wie vielen Übeln der Tote nun entronnen sei und in welcher Seligkeit er fortan leben könne.

So kann man das also auch sehen.

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