Carsharing auf der Überholspur
Ein Trend zu größeren Fahrzeugen soll Frauen ansprechen. Warum bedeuten Leihautos weniger Autos insgesamt?
Ein Trend zu größeren Fahrzeugen soll Frauen ansprechen. Und: Warum bedeuten Leihautos weniger Autos insgesamt?
Carsharing, das Anmieten eines Leihautos vor allem im städtischen Bereich, ist eine stark wachsende Branche, die einem ständigen Wandel unterworfen ist. Jüngstes Beispiel ist die Einführung neuer und größerer Fahrzeuge durch den Branchenpionier car2go in Wien: Die Flotte wird von bisher 670 auf künftig 700 Fahrzeuge aufgestockt. Damit vergrößert man nicht nur die Flotte, sondern auch die Autos: Neben den bisherigen zweisitzigen Smart fortwo gibt es ab Anfang 2017 erstmals auch 350 fünfsitzige Mercedes-Modelle (250 A-Klassen und insgesamt 100 GLA- und CLA-Kompaktklassen.
Damit reagiere man auf einen klaren Kundenwunsch, sagt car2goÖsterreich-Chef Alexander Hovorka. Wobei sich diese Wünsche von Land zu Land gehörig unterscheiden können. „Italiener haben sich den (viersitzigen) Smart forfour gewünscht, während in Deutschland und Österreich eher größere Modelle nachgefragt werden.“
Größere Autos hätten zwar nicht mehr den Vorteil der problemlosen Parkplatzsuche, dafür könnten damit aber ganze Gruppen Ausflüge aufs Land machen und durch eine geteilte Rechnung auch Kosten sparen. Das erschließt neue Einsatzbereiche, so können damit auch Möbel oder mehrere Kinder samt Ausrüstung transportiert werden.
Das bedeutet die Erschließung neuer Kundengruppen. Vor allem Frauen hätten sich die größeren Fahrzeuge gewünscht, sagt Hovorka. Bisher sind nur rund ein Drittel (35 Prozent) der car2go-Nutzer in Österreich weiblich. Dieser Anteil dürfte jetzt steigen.
So sieht die bisherige Kundenstruktur aus: Fast zwei Drittel (65 Prozent) der Nutzer sind zwischen 18 und 35 Jahre alt, ein Viertel stellt die Altersgruppe 36 bis 49 Jahre. Lediglich zehn Prozent entfallen auf die über 50-Jährigen. Ähnlich ist die Struktur beim zweiten in Wien tätigen Carsharing-Anbieter DriveNow, der BMW und Mini anbietet. car2go ist dagegen eine Tochter des Daimler-Konzerns.
Beide Anbieter arbeiten im „Free Floating“-Modus, das heißt, die Autos bewegen sich frei und sind danach auf öffentlichen Plätzen im definierten Nutzungsgebiet abzustellen. Ein älterer Zugang ist das stationsbasierte Carsharing, wo die Autos auf einem oder mehreren festgelegten Standplätzen geparkt sind. Dieses Modell empfiehlt sich eher im ländlichen Bereich. In Wien, der bisher einzigen österreichischen Stadt, wo die großen Carsharing-Anbieter operieren, stagnierten zuletzt die Kundenzahlen für stationsbasierte Autos.
Dagegen wachsen die Free-Floater kräftig: Die Zahl der Nutzer stieg in Wien auf aktuell 183.000 – 113.000 bei car2go und 70.000 bei DriveNow. Damit haben sich die Nutzerzahlen in fünf Jahren mehr als verzwanzigfacht. Das hängt auch mit dem Markteinstieg der BMW-Tochter DriveNow im Herbst 2014 zusammen, die ihre Flotte zuletzt von 400 auf 500 Autos aufstockte.
Der Großteil der Nutzer bestehe aus experimentierfreudigen „Early Adopters“, sagt DriveNow-Geschäftsführer Robert Kahr. Typischerweise verfügten diese Kunden über relativ gute Ausbildung und Einkommen und legten hohen Wert auf Mobilität in unterschiedlichen Varianten. 63 Prozent der Nutzer von Free-Floating-Carsharing besitzen eine Jahreskarte für öffentliche Verkehrsmittel, bei stationsgebundenen Leitautos sind es sogar rund 80 Prozent. Zum Vergleich: Durchschnittlich ist nur jeder dritte Wiener im Besitz einer Jahreskarte.
Viele Carsharing-Nutzer hätten ein eigenes Auto, zögen aber für ihre täglichen Wege in der Stadt eine Kombination unterschiedlicher Verkehrsmittel vor. Dieses flexible Wechseln etwa zwischen U-Bahn, Bus, Straßenbahn, Zu-Fuß-Gehen, Fahrrad, Auto und Taxi nennen Experten Intermodalität. Ein Beispiel: Ein Geschäftsmann fährt in der Früh mit dem Taxi zum Flughafen, am Zielort fährt er mit dem Leihauto an sein Ziel, wechselt dort auf ein Mietfahrrad. Am Abend fährt er mit der Bahn zum Flughafen und dort mit dem Bus nach Hause.
Da gehe es nicht darum, ein Verkehrsmittel zu ersetzen, sondern darum, Alternativen zu bieten. Viele Carsharing-Nutzer greifen auf ein Leihauto „für die erste und letzte Meile“zurück, sagt Hovorka, also für den Weg zum und vom nächsten öffentlichen Verkehrsmittel.
Tatsächlich funktioniert Carsharing am besten, wenn es sich in ein engmaschiges Verkehrsnetz einfügen kann. Gute öffentliche Verkehrsverbindungen seien die ideale Voraussetzung für Carsharing, sagt Robert Kahr von DriveNow.
Die Grundidee ist simpel und bestechend: Es geht darum, dass mehr Menschen weniger Fahrzeuge verwenden, diese aber häufiger. Laut Studien werden private Autos im Durchschnitt eine Stunde täglich genutzt, den Rest stehen sie herum. Carsharing-Autos dagegen sind sechs bis sieben Mal täglich für je rund eine halbe Stunde im Einsatz. Das entspricht der dreifachen Ver- wendung eines Privatfahrzeuges.
Laut einer 2015 durchgeführten Studie im Auftrag der Stadt Wien ersetzt ein Carsharing-Auto in Wien etwa fünf private Pkw, die sonst (hauptsächlich als Zweitautos) angeschafft worden wären. Täglich finden rund 7000 Carsharing-Fahrten statt – häufig für außertourliche Wege und nicht als Ersatz für bisher verwendete Verkehrsmittel. „Gewohnheitsmäßig legen CarsharingNutzer den Großteil ihrer Wege zu Fuß, mit öffentlichen Verkehrsmitteln oder mit dem Fahrrad zurück“, heißt es darin. Carsharing diene somit oft als „Mobilitätsversicherung“für Fahrten, auf denen es keine Alternative zu einem Pkw gebe. Der Einsatz in anderen österreichischen Städten sei bisher noch nicht zweckmäßig, es gebe zu wenige Anknüpfungspunkte, heißt es. Aber man beobachte alle Märkte genau.
„Einsatz für die erste und letzte Meile.“Alexander Hovorka, car2go Österreich