Flüchtlinge werden zur Konkurrenz für Migranten
Viele Syrer strömen in den Libanon. Das macht das Leben der Fremdarbeiter aus Afrika und Asien noch schwieriger.
BEIRUT. Die libanesischen Bürger sind großzügig auch in der aktuellen Flüchtlingskrise. Aber die libanesische Gesellschaft zeigt auch ein anderes Gesicht: Viele schauen geringschätzig auf die Fremdarbeiter aus afrikanischen und asiatischen Ländern. Von Rassismus ist gar die Rede. Mit Arbeitskontrakten werden die Migranten ins Land geholt, damit sie dort Tätigkeiten verrichten, welche die Einheimischen nicht erledigen wollen – ähnlich wie in den arabischen Golfstaaten.
Haushaltshilfen etwa wird oft genug der Lohn vorenthalten. Ein freier Tag wird ihnen nicht zugestanden. Wenn sie weglaufen, weil sie schlecht behandelt oder vergewaltigt werden, gelten sie als illegal. Wenn sie die Stelle wechseln möchten, verlangt man Hunderte Dollar von ihnen, damit ihnen der Pass ausgehändigt wird.
200.000 bis 300.000 Migranten sollen heute im Libanon leben. Sie sind die Ärmsten der Armen.
Mestawet ist vor zehn Jahren ins Land gekommen. Sie stammt aus ganz armen Verhältnissen in Äthiopien, hat mit dem Geld für den Job im Libanon in erster Linie ihrer Familie in Afrika helfen wollen. Aber das Leben im Libanon war „nicht das, was ich erwartet hatte“, sagt sie heute. Sie „bekam viele Probleme“, insbesondere an ihrer Arbeitsstelle.
Gewiss: Die äthiopische Gemeinde in dem Nahost-Staat ist groß, man hilft sich untereinander. Aber die 32-Jährige lebt jetzt mit ihrer Tochter Dina in schmutzigen und vor allem sehr beengten Wohnverhältnissen. 20 Personen teilen sich in dem von Migranten geprägten Stadtviertel von Beirut drei kleine Zimmer. 350 Dollar im Monat sind dafür an Miete zu bezahlen. Drinnen ist ein privates Leben kaum möglich. Draußen kann das Kind nicht spielen, weil Autos ständig die Straße vollstellen. Arbeit hat Mestawet nicht, aber sie hat erspartes Geld von Freunden bekommen. Für Dina wünscht sie sich ein „sauberes Haus“und eine gute Erziehung.
Kaum besser geht es Nizar und seiner Frau Eskedar. Er ist Sudanese und wegen des Studiums in den Nahen Osten gekommen. Aus politischen Gründen kann er nicht mehr zurück in sein Heimatland. Sie ist aus Äthiopien und hat den Berichten von Freunden vertraut, dass im Libanon ein besseres Leben auf sie warte. Gewiss: Der Mann hat Beschäftigung als Portier einer Cateringfirma in Beirut und bekommt dafür 400 Dollar im Monat. Aber er muss nahezu rund um die Uhr arbeiten. Die Frau kann nicht nach draußen, weil sie befürchtet, von Männern belästigt zu werden. Vor allem aber: Diese Familie muss mit ihren beiden kleinen Kindern in einem winzigen Raum ausharren. Soziale Kontakte hat sie folglich kaum. „Das Leben besonders in Beirut ist teuer“, klagt Nizar. „Es ist sehr schwierig, damit zu überleben.“Nizar und Eskedar wünschen sich weg von diesem Ort – und hoffen für ihre Kinder auf eine Zukunft, in der diese nicht die schlechten Erfahrungen der Eltern machen müssen.
Es gebe heute eine neue Konkurrenz zwischen den Migranten und den syrischen Flüchtlingen im Libanon, berichtet die Sozialarbeiterin Joel aus Beirut. Es ist eine Konkurrenz um Jobs, Wohnraum, Schulplätze, finanzielle Zuwendungen. Dabei ist die libanesische Wirtschaft längst in großen Schwierigkeiten. Der Tourismus steckt in der Krise. Viele Einheimische sind ebenfalls in Not geraten. Das verstärkt die Vorbehalte gegen Migranten ebenso wie gegen Flüchtlinge.
Taghrid, die 39-Jährige aus Syrien, lebt jetzt mit ihren fünf Kindern in einem Haus in Jeita. Die Nachbarn beschwerten sich bisweilen über den Lärm der syrischen Flüchtlingskinder, erzählt sie – als wäre der Lärm libanesischer Kinder ganz anders. Immerhin: Der Wohnungseigentümer sei „freundlich“, sagt sie. Er will die Familie nicht einfach hinauswerfen, auch wenn sie die geforderte Miete von 30o Dollar im Monat schuldig bleibt. 35 Dollar kostet der Internetzugang. Den braucht vor allem die 15-jährige Tochter Rama dringend, weil sie Englisch und Französisch lernen will. Taghrid kann mit Schneiderarbeiten etwas Geld verdienen.
„Ja, der Libanon ist sicher“, sagt sie. Aber wegen der Kinder hofft sie, irgendwann und irgendwie nach Syrien zurückkehren zu können.