I geh auf ana langen, finster’n Straß’n
Nick Cave weint um seinen Sohn. Leonard Cohen bereitet sich auf die Begegnung mit Gott vor. Johnny Cash sitzt an der Seite des Herrn. Gedanken darüber, wie die Trauer und der Tod in die Popmusik kommen.
SALZBURG. Wenn man am Grab steht, dann lässt sich immer g’scheit reden. Da wollen es dann viele schon herausgehört haben, dieses Mollhaftige, das Nachdenkliche, das aufs Ende hinwies. Erkannt wird dann das Brüchige in der Stimme, die Verse formuliert, in denen Abschiedshauch schwingt. Nachträglich klingt vieles – auch in der Popmusik – als vorweggenommene Abschiedssymphonie.
In dieser Art wurde kürzlich auch das aktuelle Album von Nick Cave besprochen. Von einer Klippe gestürzt war sein Sohn, 15 war er. Und nun wird Caves aktuelles Album vor dem Hintergrund dieser Tragödie gedeutet, als dunkles Werk der Vorahnung und als schmerzhafter Versuch, in eine künstlerische Normalität zurückzukehren. Das ist die eine Art, wie das Sterben im Pop auftaucht – als Realität. Die Songs von Caves vor wenigen Wochen erschienenem Album „Skeleton Tree“waren aber schon fertig, bevor der Bub starb.
Die Selbstfindung, die Verarbeitung einer Tragödie klingt so auch ganz anders, als es sich anhört, wenn der Tod sich erst nähert. So wie das einst bei Johnny Cash passierte. Bei ihm löste die drohende Gewissheit in einer letzten Umarmung jedes Misstrauen auf. Schau nicht traurig, sang der todkranke Cash im Song „For the Good Times“, den sein Freund Kris Kristofferson geschrieben hat. Cash spürte das nahe Ende: Liebe mich ein letztes Mal. Die Stimme, brüchig, lässt ahnen, dass hinter ihrer Gefasstheit auch Tränen warten. In diesem Moment – es sind nach der Aufnahme nur noch wenige Monate vergangen, bis der große Country-Sänger Cash starb – gerät er in trauerndes Wanken. Es liegt daran, dass sich die Stimme nicht nach innen richtet. Sie will Trost spenden und kann deshalb ihre Traurigkeit nicht verbergen.
„American Recordings“hieß die Serie von Aufnahmen, die Cash unter Leitung von Produzent Rick Rubin über mehrere Jahre ab 1994 eingespielt hat – bis zu den letzten Aufnahmen im Herbst 2002.
Viel davon – etwa seine Version von „Hurt“von Nine Inch Nails – lässt das Ende ahnen: „Everyone I know/Goes away in the end/And you could have it all/My empire of dirt.“„Es handelt vom Schmerz eines Mannes und von dem, was wir alle bereit sind, uns zuzumuten, und schließlich der Möglichkeit, das nicht mehr zu tun“, sagt Johnny Cash über diesen Song.
Der Tod ist Spielzeug der Poesie. Und so ist der Tod auch Spielzeug der Popwelt, wo die sich von der totalen Unterhaltung löst und ins Innerste vordringt, sich als existenzialistische Melodie festsetzt – bei Interpreten gleichermaßen wie bei den Rezipienten.
Wer das vor wenigen Tagen erschienene neue Album des 82-jährigen Leonard Cohen hört, wird das ebenso erkennen.
Cohen zelebriert auf „You Want It Darker“einen Flirt mit dem Ende, eine spirituelle Annäherung an das eigene Sterben, die nicht von Angst, sondern von befreiender Sicherheit und Liebe geleitet ist.
Freilich umweht die Betrachtung dieses Werkes auch der Umstand, dass Cohen schon 82 Jahre alt ist. Die Brüchigkeit des Lebens, der Verlust früherer (aber ohnehin immer nur vermeintlicher) Sicherheiten wirkt umso deutlicher, je älter der Vortragende wird, je größer die Wahrscheinlichkeit ist, dass aus einer Vorahnung eine Tatsache werden kann.
Nun handelt es sich bei Cohen eben um einen alten Mann, der darüber berichtet, den eigenen Tod vor Augen zu haben. In die Popmusik gekommen ist der Tod aber ganz anders. Er tauchte zunächst als pure Fantasie auf, als ein Spielzeug mit dem Unausweichlichen, das immer – vor allem, wenn es noch recht fern scheint – auch eine gruselige Anziehungskraft besitzen kann.
Als jugendliche Kultur des Aufstands gegen festgeschriebene Normen dröhnten Rock und Pop, als sie Mitte des 20. Jahrhunderts massenhaft populär wurden. Bald aber entdeckte diese zunächst jugendhafte Kulturform die faszinierende Anziehungskraft des Themas Tod – und das Thema wurde dann gern dramatisch überhöht.
Es entstand ein Spiel mit dem Gegensatz aus blühendem Leben und Ausgelassenheit einerseits und der Vergänglichkeit und dem rasanten Ausbrennen andererseits.
Beispielhaft in eine Textzeile gefasst notierte die britische Band The Who diesen Zwiespalt mit ihrer Teenager-Hymne „My Generation“im Jahr 1965 in das Stammbuch des Rock: Ihr Leitmotiv fasst die Idee eines jungen, rasanten Daseins ohne Stoppzeichen, ohne Limits, ohne Kompromisse zusammen – „I hope I die before I get old“heißt die Zeile.
Das Liebäugeln mit dem Tod war plötzlich aufregend. Zu den Ersten gehörten auch die Walker Brothers, die mit „The Sun Ain’t Gonna Shine Anymore“in hymnischer Aufmachung eine tieftraurige Endzeitstimmung entstehen ließen.
Später – etwa mit der Entstehung von Hard Rock, Heavy Metal und deren vielen Ablegergenres – begann der Tod auch als Schockeffekt auf Plattencovern oder in Texten zu funktionieren und sich gut zu verkaufen.
Damit haben wahrhaft poetische Kaliber wie etwa Cave, Cash und Cohen nichts zu tun, wenn sie das Ende betrachten. Bei ihnen geht es um eine Wirklichkeit und nicht um eine pubertär-poetisch formulierte Sehnsucht nach dem Unfassbaren.
Wenige Songs der „American Recordings“-Sessions stammen etwa von Cash selbst – wie seine letzte Komposition: „I Corinthians 15:55“. Einen Verweis auf einen Brief von Paulus an die Korinther im Neuen Testament gibt er da. „Tod, wo ist dein Sieg? Tod, wo ist dein Stachel?“, heißt es in dieser Aussöhnung mit dem Ende. Mehr noch aber verweist der Beginn dieses Bibelkapitels auf den Geist, der diese letzten Aufnahmen von Cash prägt und so ihr Hörerlebnis so intensiv macht: „Nun könnte einer fragen: Wie werden die Toten erweckt, was für einen Leib werden sie haben?“
Nick Cave stellt sich diese Frage nach dem Tod seines Sohnes bei der Rückkehr zu seiner Kunst auch.
Bei Nick Cave vollzieht sich in der Trauerarbeit dann auch eine Wandlung in seiner Haltung zur Kunst. Denn „Skeleton Tree“lässt sich als jenes Werk hören, in dem – erstmals bei Cave – keine Trennung zwischen Schreiber und Interpret einerseits und der Rolle des schöpferischen Menschen und der realen Person andererseits stattfindet.
Dabei muss man wissen: Die acht Songs waren schon ausgedacht. Dann erst stürzte der Bub in den Tod. Und danach ging Cave ins Studio, nahm das Album im Herbst 2015 auf und mischte die Lieder im Winter. Mitnichten lässt sich also sagen, dass die Songs aus Trauer geschrieben wurden. Sie wurden aber in Trauer aufgenommen. Dass sie dennoch um Endzeitliches, um Leid und Schmerz kreisen, muss bei Cave nicht verwundern. Das sind seine Themen. Da kennt er sich als Textschöpfer und Schmerzenssänger aus. „Songs sind Propheten“, sagt Cave in dem Film „One More Time with Feeling“, der über die Arbeit an diesem Album gedreht wurde und nur rund um die Albumveröffentlichung quasi als einzige öffentliche Erklärung von Cave zu „Skeleton Tree“gezeigt wurde.
„Nick dachte, wenn er bald wieder ins Studio geht, würde er irgendwie in der Lage sein, sich wieder zu finden“, sagte Regisseur Andrew Dominik kürzlich im Interview mit den SN. Cave also ging ins Studio, wo er laut Dominik allerdings schnell realisieren musste, „dass das nicht funktionieren würde“. Und eben in diesem Scheitern, in der Unmöglichkeit, zur gewohnten Art der Arbeit zurückzukehren, liegt das besonders Traurige an diesem Album, aber eben auch das Besondere in künstlerischer Hinsicht.
Cave bestand in seinem Werk seit den späten 1970er-Jahren stets darauf, nichts als Selbst in dem aufzutauchen, was er dichtete. Er taucht nicht als Singer-Songwriter auf, sondern als Poet, dem man – wenn auch immer wieder mit autobiografischen Bezügen – stets als einem begegnet, der eine Figur, ein textendes und musizierendes Gebilde spielt, einen Popsänger, der Sehnsucht sowie Bitterkeit aufsaugt. Durch den Filter seines Talents wird Kunst daraus, die jeden Realitätsbezug weit wegschiebt. Schicksalsschläge können diesen Filter aber zerstören.
So verändern der Tod oder seine Nähe auch das Grundverständnis des Erzählens. Oft verstörend intim wird deutlich, dass es im Angesichte des Endes keine klare Linie mehr gibt, keinen klaren Weg, sondern man bewegt sich – wie Wolfgang Ambros das einst formulierte – „auf ana langen, finster’n Straß’n“. Dort ist die Popmusik eigentlich nicht zu Hause. Wenn sie aber einmal dort ankommt, entstehen viele ihrer emotionalsten, wertvollsten Momente.
„You fell from the sky.“ „If you are the dealer, I’m out of the game.“