Salzburger Nachrichten

Europa muss mit Erdo˘gan endlich Klartext reden

Wir können nicht tatenlos zuschauen, wie vor unserer Haustür Demokratie und Meinungsfr­eiheit demontiert werden.

- Viktor Hermann VIKTOR.HERMANN@SALZBURG.COM

Die Türkei ist auf dem Weg in die Präsidiald­iktatur, Opposition­spolitiker werden unter fadenschei­nigem Vorwand verhaftet, Journalist­en, die dem Möchtegern-Sultan im Präsidente­npalast nicht passen, landen ebenso im Gefängnis, kritische Zeitungen werden zugesperrt. Präsident Erdoğan ist plötzlich für die Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e, wiewohl er genau weiß, dass er mit diesem Schritt sein Land eindeutig aus jener Gemeinscha­ft der europäisch­en Länder hinauskata­pultiert, in die er noch vor relativ kurzer Zeit gern hineinwoll­te.

Erdoğan beteiligt sich mittlerwei­le am Krieg in Syrien und im Irak unter dem Vorwand, er wolle dort Terroriste­n bekämpfen. Doch tatsächlic­h geht es ihm nur um eines: Er will jene kurdischen Einheiten klein halten, die seit Langem als effektivst­e Kämpfer den „Islamische­n Staat“zurückdrän­gen. Nicht, weil diese Kurden eine Gefahr für die Türkei wären, sondern weil sie womöglich jenseits der türkischen Grenze einen kurdischen Staat gründen könnten. Und das wäre für Erdoğan unerträgli­ch.

Recep Tayyip Erdoğan hat lange Zeit in Europa einen Vertrauens­vorschuss genossen. Die EU wollte lange Zeit die Türkei so eng wie möglich an Europa binden, manche wollten sie sogar in die EU hereinhole­n. Diese Pläne hat Erdoğan mit seinem jüngsten Verhalten durchkreuz­t. Er ist dabei, all jene Reformen rückgängig zu machen, die die Türkei durchlaufe­n hat, um EU-Mitglied werden zu können. Jetzt ist die Türkei wieder einmal auf dem Weg in die Diktatur, in der es keine politische Opposition geben darf und keine freie Presse, in der ethnische Minderheit­en unterdrück­t werden, in der die Justiz dem Kommando der Regierungs­politik gehorcht, in der jeder als Terrorist verdächtig­t wird, der dem „großen Herrscher“nicht huldigt.

Die Europäisch­e Union hat sich auf ein gefährlich­es Spiel mit Erdoğan eingelasse­n. Sie schickt ihm viel Geld und schaut bei all seinen Menschenre­chtsverlet­zungen, bei seiner rücksichts­losen Verfolgung Andersdenk­ender weg, damit er nur ja nicht die Millionen syrischer und irakischer Flüchtling­e nach Europa aufbrechen lässt, die sich in der Türkei aufhalten.

Der EU wird nichts anderes übrig bleiben, als selbst für den Schutz ihrer Grenzen zu sorgen. Europa darf sich nicht abhängig machen von einem Politiker, der sich selbst außerhalb jener Wertegemei­nschaft stellt, die den Charakter Europas ausmacht. Europa muss Erdoğan klarmachen, dass es undemokrat­isches, menschenve­rachtendes Verhalten nicht akzeptiert.

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