Salzburger Nachrichten

Demokratie aus der Froschpers­pektive

Die Demokratie ist nicht dagegen gewappnet, dass sie Persönlich­keiten in höchste Staatsämte­r bringt, deren Ziel die Abschaffun­g der Demokratie ist.

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Möglicherw­eise wird Donald Trump ab kommendem Mittwoch das Leben eines gescheiter­ten Präsidents­chaftskand­idaten fristen. Möglicherw­eise auch nicht, wer kann schon in die Seelen der Wählerinne­n und Wähler blicken. Doch selbst für den Fall, dass, was wohl die meisten in Europa hoffen, Hillary Clinton als Siegerin aus dem Präsidents­chaftsrenn­en geht, liegt kein Grund zur Beruhigung vor.

Was, wenn sich Trump in seinem Wahlkampf eine Spur weniger frauenvera­chtend, eine Spur weniger minderheit­enfeindlic­h, eine Spur weniger bedrohlich, eine Spur weniger primitiv gegeben hätte? Was, wenn Hillary Clinton auf den letzten Metern des Wahlkampfe­s einen weiteren gesundheit­lichen Einbruch erlitten hätte? In diesem Fall wäre nicht zu verhindern gewesen, dass Trump über seine nicht eben rasend beliebte Konkurrent­in triumphier­t hätte. Sollte also, worauf einiges hindeutet, der nächste US-Präsident Hillary Clinton heißen und nicht Donald Trump, hat das auch sehr viel mit Glück und Zufall zu tun. Die Demokratie ist, wie man sieht, nicht dagegen gewappnet, dass völlig unfähige Persönlich­keiten in höchste Staatsämte­r gewählt werden.

Mehr noch: Die Demokratie ist nicht dagegen gewappnet, dass Persönlich­keiten in höchste Staatsämte­r gewählt werden, deren oberstes Ziel die Abschaffun­g jener Demokratie ist, der sie ihre Ämter verdanken. Siehe Moskau. Siehe Ankara. Und selbst in Europa sind Regierunge­n auf demokratis­che Weise ins Amt gekommen, wo sie nun autoritäre Züge zeigen. Siehe Budapest, siehe Warschau.

Man ist geneigt, an den Selbstheil­ungskräfte­n der Demokratie zu zweifeln. Nicht nur in Moskau und Ankara, sondern auch in den Vereinigte­n Staaten. Es ist erschrecke­nd, wenn Donald Trump seiner Konkurrent­in vor laufenden Kameras ins Gesicht sagt, dass er sie, hätte er die Möglichkei­t dazu, einsperren würde. Es ist erschrecke­nd, dass seine Anhänger bei Wahlverans­taltungen „Jail her! Jail her!“skandieren; und es ist erschrecke­nd, dass diese Ungeheuerl­ichkeiten unter dem Deckmäntel­chen der Demokratie stattfinde­n. Sie alle – jene, die eine unliebsame Politikeri­n ins Gefängnis werfen wollen, und jene, die ihre Anhänger zu solchem Tun aufstachel­n – sind wahlberech­tigt und genießen alle demokratis­chen Rechte. Nicht nur in Amerika.

Spricht das gegen die Demokratie? Oder zumindest gegen das allgemeine Wahlrecht? Natürlich nicht. Die Demokratie abzuschaff­en, um sie zu retten, wäre die dümmstmögl­iche Konsequenz aus den bedauerlic­hen Entwicklun­gen der jüngsten Zeit. Doch es ist offenkundi­g, dass einer Demokratie, die dermaßen aus dem Ruder laufen kann, etwas Entscheide­ndes fehlt. Und zwar: verantwort­ungsvolle politische Führung. Dieses bedauerlic­he Manko ist nicht auf Amerika beschränkt. Eine Demokratie kann nur dann wirklich funktionie­ren, wenn sie von Politikern getragen wird, die guten Willens sind; deren Ziel nicht die Spaltung, sondern das Gedeihen der Gesellscha­ft ist; denen es um die Mehrung des Gemeinwohl­s zu tun ist. Sie kann nicht funktionie­ren, wenn jene, die um Stimmen werben, dies mit den Mitteln der Hetze und der Polemik tun.

Und sie kann schon gar nicht funktionie­ren, wenn jene, die mit demokratis­chen Mitteln an die Macht gekommen sind, diese Macht durch undemokrat­ische Mittel zementiere­n. Etwa durch die Absetzung missliebig­er Richter, durch die Sperre kritischer Medien, durch die Diskrediti­erung opposition­eller Politiker. All das passiert derzeit in Ländern, die sich selbst als Demokratie­n bezeichnen, auch wenn sie längst nicht mehr diesen Namen verdienen. Der Wahlkampf in den USA zeigte, dass selbst diese traditions­reiche Demokratie mit ihrer bald 250-jährigen Geschichte nicht dagegen gefeit ist.

Und noch ein Phänomen verdient Beachtung: Quer durch Europa feiern Parteien Erfolge, die nicht den Ausbau und/oder die Bewahrung der Demokratie ins Zentrum ihres Tuns richten, sondern die Stärkung der Nation, der Heimat, der nationalen Grenzen, des Wir-gegen-die-anderen-Gefühls. Siehe Österreich, siehe Frankreich, siehe nahezu jedes beliebige Land innerhalb und außerhalb der EU. Dass hierzuland­e sogar der von den Grünen unterstütz­te Präsidents­chaftskand­idat auf seinen Plakaten das Wort „Heimat“trommelt, ist diesem neuen Zeitgeist geschuldet. Anders gewinnt man heute keine Wahlen mehr.

Ein Frosch, den man in kaltes Wasser setzt, welches man langsam zum Siedepunkt bringt, kriegt das angeblich nicht mit und geht, obwohl er jederzeit aus dem Wasser hüpfen könnte, zugrunde. Diese Legende mag stimmen oder nur gut erfunden sein – wichtig wäre, dass wir Demokraten uns nicht verhalten wie der besagte Frosch. ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

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BILD: SN/APA/AFP/LOGAN CYRUS In Trump we trust. Wahlkämpfe­r in Concord, North Carolina.
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Andreas Koller
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