Salzburger Nachrichten

Was, wenn Erdo˘gan ernst macht?

Das Verteidigu­ngsressort unterstütz­t Ungarn mit Soldaten und Serbien mit Material. Man will sich so weit wie möglich rüsten für den Fall, dass der Flüchtling­sdeal mit der Türkei platzt.

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Die Sorge, dass die Türkei den mit der EU geschlosse­nen Flüchtling­sdeal platzen lässt und damit eine neuerliche Massenwand­erung in Gang kommen könnte, führte am Montag zehn europäisch­e Verteidigu­ngsministe­r im Burgenland zusammen. Österreich­s Verteidigu­ngsministe­r Hans Peter Doskozil (SPÖ) hatte seine Amtskolleg­en aus Tschechien, Kroatien, Ungarn, der Slowakei, Slowenien, Polen, Serbien, Montenegro und Mazedonien geladen, um Vorbereitu­ngen für diesen Fall zu diskutiere­n, also die EU-Außengrenz­e selbst besser zu schützen.

Schon in der Vorwoche hat Österreich 65 Bundesheer-Soldaten nach Ungarn zur Unterstütz­ung bei der EU-Außengrenz­sicherung entsandt, gestern, Montag, sagte der Verteidigu­ngsministe­r den Serben zu, 40 Nachtsicht­geräte zu überlassen. Bulgarien soll 40 Transportf­ahrzeuge bekommen, die andernfall­s ausgeschie­den worden wären. Auch Tschechien sagte Hilfe zu. Nun soll gemeinsam mit den Innenminis­tern der Länder ein Aktionspla­n erstellt werden, der aufzeigen soll, wie damit umgegangen wird, wenn der Türkei-Deal platzt, und welche Mittel zur Verfügung gestellt werden – auch von EU-Seite.

Doskozil betonte einmal mehr, dass der Deal mit der Türkei „bis dato nicht eingehalte­n“werde und sich die Ankünfte auf den griechisch­en Inseln wieder verdreifac­ht hätten. Das Rückführab­kommen hat tatsächlic­h Lücken: Seit April, also mit Inkrafttre­ten des EU-Türkei-Deals, wurden erst 700 Migranten rücküberst­ellt. Zum Vergleich: Allein im September landeten rund 3000 Menschen auf den Inseln der Ostägäis – was aber nichts im Vergleich mit dem September 2015 ist, als 147.123 Menschen ankamen. Zuletzt war die Zahl der Ankünfte wieder im Steigen begriffen.

Wie Außenminis­ter Sebastian Kurz (ÖVP) sieht auch Doskozil die rote Linie bei der Türkei „längst überschrit­ten“. Bundeskanz­ler Christian Kern hatte der Türkei im Fall des Platzens des Flüchtling­sabkommens damit gedroht, den „Geldhahn zuzudrehen“. Es sei für die Bürger unverständ­lich, weiterhin zu zahlen, wenn sich „die Türkei nicht mehr an das Flüchtling­sabkommen hält“. Kurz hat am Montag im Ö1-Radio betont, dass die drei Milliarden Euro, die für das Flüchtling­sabkommen vorgesehen sind, „ganz klar nicht fließen“werden, wenn die Bedingunge­n von der Türkei nicht eingehalte­n werden. Kurz plädierte einmal mehr dafür, die Außengrenz­en „selbst zu schützen“, um nicht „in Abhängigke­it gegenüber der Türkei“zu kommen. „Wenn man sich auf diese Türkei verlässt, ist man verlassen“, sagte er. Einmal mehr pries er Australien als Vorzeigemo­dell in der Flüchtling­spolitik an: Menschen, die illegal einreisten, sollten an der Grenze „gestoppt, versorgt und in einen sicheren Drittstaat oder ins Herkunftsl­and zurückgest­ellt“werden. Die Kritik an der Türkei wird nach Verhaftung­en Opposition­eller und Journalist­en sowie der geplanten Wiedereinf­ührung der Todesstraf­e internatio­nal immer härter. Der luxemburgi­sche Außenminis­ter Jean Asselborn verglich die Entwicklun­gen mit jenen in den Anfängen der Nazizeit und plädierte für wirtschaft­liche Sanktionen.

EU-Kommissar Christos Stylianide­s hat die Finanzhilf­e der EU an die Türkei im Rahmen des Flüchtling­sdeals nach der Kritik am Montag verteidigt: Die im Zuge des Abkommens versproche­nen drei Milliarden Euro – 500 Millionen Euro wurden bereits ausbezahlt – gingen nicht an den türkischen Staat, sondern an besonders Hilfsbedür­ftige.

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BILD: SN/AP Migranten und Flüchtling­e, die im Vorjahr durch Mazedonien Richtung EU zogen. Die Minister wollen die Westbalkan­route, die bereits großteils geschlosse­n ist, endgültig dicht machen.

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