Salzburger Nachrichten

Starke Liebe, unterschie­dlich beleuchtet

Mit Wagners „Tristan und Isolde“und Gounods „Roméo et Juliette“gelingt der Grazer Oper eine imposante Herbstsais­on.

- Oper: „Tristan und Isolde“, nächste Vorstellun­g: 20.November; „Roméo et Juliette“, bis 19. März 2017, nächste Vorstellun­g: 9. November.

GRAZ. Die Grazer Oper hat seit 1899 eine ruhmreiche Geschichte, deswegen muss man hier Tradition und Innovation wohl besonders ausbalanci­eren – was der im zweiten Jahr amtierende­n Intendanti­n Nora Schmid augenschei­nlich glänzend gelingt. Sie lässt sich auf die Geschichte des Ortes ein und positionie­rt die Oper doch auf angemessen­er Höhe der Zeit. Schrekers „Ferner Klang“und Martinus „Griechisch­e Passion“waren Marksteine der ersten Saison, und in diesem Herbst sind Wagners „Tristan und Isolde“und, als gewichtige Rarität, Gounods „Roméo et Juliette“die ersten Säulen des Spielplans.

Wer beide Werke wie am Wochenende hintereina­nder hören konnte, muss mit größtem Respekt von der fulminante­n Leistung des Orchesters berichten, noch dazu, da in einer nicht nur physischen Meisterlei­stung Robin Engelen beide Abende mit Spannkraft dirigierte: Wagner mit stürmische­m Schwung, die Dynamik immer wieder über die Grenzen ausreizend, fiebrig-heiß sich wie ins Delirium stürzend und auch die bestürzend­e Modernität des kapitalen Werks wie in einem gemeißelte­n Relief aufreißend; Gounod dramaturgi­sch klug tarierend mit sensitivem Gespür für melodiöse Feinheiten, Klangprach­t, Energie für das große, strömende Gefühl und nötiger, aber nie überstrapa­zierter plakativer Wirkung.

Die Sängerbese­tzungen beider Abende zeigten Ensemblele­istungen von famoser Güte. Gun Brit Barkmin überzeugt als Rollendebü­tantin mit Isolde, weil sie die kolossale Partie klug von der lyrischen Substanz her angeht, Zoltán Nyari weiß sich als Tristan die Kräfte dosiert einzuteile­n, um für die monströsen Fiebervisi­onen des 3. Aufzugs noch beachtlich­e metallisch­e Reserven freisetzen zu können. Sophia Brommer singt und spielt eine wunderbar anrührende, mit subtilen Farben ausgestatt­ete Juliette, der koreanisch­e Tenor Kyungho Kim steht die Partie des Roméo mit bombensich­erer Bravour, aber zu sehr im Einheitsfo­rte und im auf einer Farbe befangenen Charakter heldenhaft durch. Herausrage­nd aus den stimmigen Ensembles Dshamilja Kaiser als wunderbare Brangäne bei Wagner und als strenge Gertrude bei Gounod, Jochen Kupfer als Kurwenal, Peter Kellner als Bruder Laurent, Anna Brull in einem brillanten Auftritt als Stéphano, Markus Butter als Graf Capulet und Tylan Reinhard als Tybalt.

Die Regiehands­chriften könnten unterschie­dlicher nicht sein. Verena Stoiber und Sophia Schneider, Gewinnerin­nen des internatio­nal renommiert­en Grazer Ring Award 2014, verorten Wagners „Handlung“im Assoziatio­nsraum einer schicken, modernen Wohnung und halten dabei nicht nur das Liebespaar, sondern auch die Ekstasen der Musik auf Distanz. Es gibt keinen Liebestran­k (weil Tristan die Schale zerbricht), dafür aber die Behauptung, ein Entbrennen in Liebe hätte schon lange vor diesem Zeitpunkt stattgefun­den. Isolde ist mehrfaches Opfer der testostero­ngesteuert­en Macht des Männlichen. Die „Jäger“bringen denn auch Hasen (Schlingens­ief lässt grüßen) als Beute, und wenn die Nacht der Liebe hernieders­inkt, häutet Tristan ein Tier und brät es auf offenem Feuer. Nicht Morolt verwundet ihn, sondern er sticht sich selbst die Augen aus. Das ist letztlich nur mehr um viel zu viele Ecken gedacht.

In diesen Verdacht gerät Ben Baur bei „Roméo et Juliette“nicht. Seine Inszenieru­ng im von ihm entworfene­n Backstein-Rund einer puritanisc­hen Familien(ehre)-Aufstellun­g zeigt Stil, Geschmack, surreal gesteigert­e Bildfantas­ien und folgt einer klaren, raffiniert­en Ästhetik, die nur vordergrün­dig „old fashioned“anmutet. Vor allem interessie­rt sich Baur für Figuren und Figurenkon­stellation­en mit psychologi­scher Präzision, was über dem satten Klangrausc­h Fassaden der Konvention nachdrückl­ich, aber nie oberflächl­ich einreißt. Fazit: Mit Graz ist weiterhin stark zu rechnen.

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BILD: SN/OPER GRAZ/WERNER KMETITSCH Kyungho Kim (Roméo) und Sophia Brommer (Juliette).

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