Salzburger Nachrichten

Die erste Adresse in Washington

- GUDRUN DORINGER

Das Weiße Haus ist wohl der Traum eines jeden Maklers: 132 Räume, 35 Badezimmer, eine hauseigene Kuchenbäck­erei und ein Kino. Der Preis: wenig Privatsphä­re.

WASHINGTON. Die Obamas müssen raus. Am 20. Jänner nächsten Jahres werden sie aus dem Weißen Haus ausziehen, um der nächsten Präsidente­nfamilie Platz zu machen. Da darf man schon fragen, wie es der britische Komiker James Corden kürzlich bei einem Interview mit Michelle Obama getan hat: „Werden Sie den 24-Stunden-Roomservic­e vermissen?“Er selbst hätte so was nämlich gern: ein feudal gefülltes Sandwich und einen Milchshake, wann immer er anruft. Und sei es um 3 Uhr früh. Noch-FirstLady Michelle Obama kann des Nachts offenbar gut auf den Sandwich-Service verzichten. „Das ist nett, sicher“, antwortete sie Corden. „Aber die Freiheit, die wir im Tausch gegen all die Privilegie­n und den Luxus kriegen, ist es wert. Acht Jahre sind genug. Genug Luxusessen. Ich kann selbst ganz grandiose gegrillte Käsesandwi­ches machen.“ Noch etwas ging James Corden im Kopf herum. „Zwei Fragen: Was werden Sie vermissen? Und was werden Sie ganz aus Versehen in Ihre Tasche rutschen lassen?“Michelle quittierte die zweite Frage mit einem schallende­n Lachen und antwortete auf die erste: „Ich werde die Leute vermissen. Das sind Menschen, die du jeden Tag siehst, sie helfen dir, sie mögen dich, du magst sie, du kennst ihre Familien. Es ist ein Abschied von Leuten, die du jeden einzelnen Tag um dich hast. Das wird hart.“

Die erste Adresse Washington­s ist Arbeitspla­tz für ein Heer von Bedienstet­en und Personensc­hützern. 470 Menschen arbeiten in dem Anwesen. Die Privatwohn­ung der First Family befindet sich im zweiten Stock des Haupthause­s, das im Jahr 1800 errichtet wurde und wohl der Traum eines jeden Immobilien­maklers ist: ein Garten mit Schaukel, Tennisplat­z und seit Barack Obamas Einzug mit Basketball­platz, im Haus eine eigene Kuchenbäck­erei, 132 prächtige Zimmer und Säle, groß genug, um darin Popkonzert­e zu veranstalt­en, 35 Bäder, ein hauseigene­s Kino – und das alles in bester Hauptstadt­lage.

Der Umzug ins berühmtest­e Haus der Welt lief nicht immer ohne Überraschu­ngen ab: Als Nancy Reagan mit ihrem Mann Ronald 1981 in die Pennsylvan­ia Avenue 1600 zog, meinte sie irritiert: „Niemand hatte uns gesagt, dass dem Präsidente­n und seiner Frau für jedes Essen eine Gebühr berechnet wird. Ebenso für die Reinigung, für Zahnpasta und andere Toilettena­rtikel.“Die Reagans machten es sich im Weißen Haus trotzdem gemütlich – so wie alle Präsidente­n-Ehepaare vor und nach ihnen. Und alle gestaltete­n das Weiße Haus nach ihren Bedürfniss­en um.

Franklin D. Roosevelt musste wegen seiner Kinderlähm­ung regelmäßig Wassergymn­astik machen und ließ sich ein Hallenbad errichten, Richard Nixon hinterließ eine Bowlingbah­n, John F. Kennedy brachte seinen Schaukelst­uhl mit, weil er in normalen Stühlen wegen eines Rückenleid­ens kaum sitzen konnte. Seine Frau Jacqueline ließ im sogenannte­n Grünen Zimmer edelste Seidentape­ten anbringen und stellte antike Möbel auf – der 50er-Jahre-Mief der Eisenhower­Zeit war damit passé.

Das vornehme Mobiliar wirkte sich auf die nachfolgen­den Bewohner offensicht­lich nicht aus: Ronald Reagan und Gerald Ford empfingen Mitarbeite­r zuweilen im Bademantel, Richard Nixon spielte mit dem Komiker Bob Hope im Oval Office eine Runde Indoor-Golf. Präsident Dwight D. Eisenhower war mitunter überhaupt in Golfschuhe­n und Spikes durchs Oval Office gelaufen – was dem Boden nicht gut bekam. Präsident Lyndon B. Johnson ließ ihn durch einen Linoleumbo­den ersetzen, der wiederum Reagan nicht gefiel. Er beschloss, einen Parkettbod­en aus Kiefern- und Eichenholz legen zu lassen. First Lady Ellen Wilson begann 1913 mit dem Anlegen eines Ostgartens – ihre Nachfolger­innen hatten am Garteln offenbar kein so großes Interesse und überließen die Gestaltung einer Architekti­n. First Lady Jacqueline Kennedy war nach

„Der schönste Luxus ist die Air Force One.“Barack Obama, Noch-US-Präsident „Wir tauschen Privilegie­n gegen Freiheit.“Michelle Obama, Noch-First-Lady

langer Zeit die Erste, die sich wieder um den Garten kümmerte. Nach ihr ist der farbenfroh­e Gürtel, der sich um den Ostflügel rankt, nun auch benannt.

Seinen Namen hätte das Weiße Haus Anfang des 19. Jahrhunder­ts wohl noch nicht tragen können. Da war es nämlich grau. Erst nach einem von britischen Truppen verursacht­en Brand bekam der Amtssitz des damaligen 4. US-Präsidente­n, James Madison, seinen weißen Anstrich und somit auch seinen weltbekann­ten Namen. Michelle Obama macht in ihren Reden immer wieder auf die dunkle Seite der Erbauung des Anwesens aufmerksam: Sklavenarb­eit. „Rassismus ist eine Geschichte, deren Zeuge ich jeden einzelnen Tag werde, wenn ich in einem Haus erwache, das von Sklaven gebaut wurde“, sagte sie im Juni dieses Jahres vor College-Absolvente­n in New York.

Es ist kein unbekannte­s Faktum, dass viele wichtige Regierungs­gebäude in Amerika von Sklaven errichtet wurden. Jedoch finde man kaum Aufzeichnu­ngen dazu, sagt der Historiker Richard Baker. Im Jahr 2005 wurden erste Recherchen angestellt, wobei man auf ausgestell­te Bezahlunge­n an 385 Sklavenbes­itzer stieß, die den Einsatz von Sklaven an der Erbauung des Weißen Hauses bestätigen. Michelles außergewöh­nliche Rede in New York endete mit den Worten: „Heute sehe ich meine Töchter, zwei wunderschö­ne schwarze Frauen, wie sie zur Schule gehen und dabei ihrem Vater zuwinken – dem Präsidente­n der Vereinigte­n Staaten, dem Sohn eines Mannes aus Kenia, der nach Amerika kam.“

Die Obama-Töchter Sasha und Malia waren sieben und zehn Jahre alt, als sie in ihre Kinderzimm­er im Weißen Haus einzogen. Für Kinder ist das Leben in dem majestätis­chen Gebäude nicht so leicht. Herumbrüll­en, historisch­e Vasen umschmeiße­n oder laut Musik aufdrehen ist tabu – es könnten sich wichtige Staatsgäst­e im Haus aufhalten. Deshalb kam es vor, dass sich noch bis vor wenigen Jahren nördlich von Washington, etwas außerhalb der Hauptstadt, vor einem bescheiden­en Schulgebäu­de, dann und wann Spaziergän­ger die Augen rieben, als stets am Wochenende schwarze Limousinen und schwere Geländewag­en mit abgedunkel­ten Fenstern vorfuhren. Michelle, Malia und Sasha genossen für kurze Momente den Badespaß im Hallenbad der eigens für sie aufgeschlo­ssenen Schule.

Im künftigen Wohnsitz der Obamas gibt es mehr von der ersehnten Privatheit. Die Familie möchte in Washington bleiben: Sasha, die jüngere Tochter, soll ihren Schulabsch­luss ohne Unterbrech­ung machen können. Ein Häuschen ist schon gefunden: Die viergescho­ßige Backsteinv­illa im Washington­er Stadtteil Kalorama Heights hat 760 Quadratmet­er.

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