Salzburger Nachrichten

Viele Iraner tauschen Nachrichte­n via „Telegram“aus

In der Islamische­n Republik setzt der Staat auf rigide Kontrolle der Informatio­n, aber es gibt auch Freiräume.

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TEHERAN. Mit beißendem Spott äußern sich heute Zeitschrif­ten im Iran über Mahmud Ahmadineds­chad. Eine Karikatur zeigt den früheren Staatschef, wie er sich über die Ausbreitun­g der AlzheimerK­rankheit freut – weil sich damit weniger Menschen an seine Amtszeit erinnern können. Unter Ahmadineds­chad sei er nicht im Land gewesen, betont Mohammed Khodadi, Chef der Nachrichte­nagentur IRNA. Erst mit dem Amtsantrit­t von Präsident Hassan Rohani 2013 sei er wieder zurückgeke­hrt.

Tatsächlic­h: Als der Hardliner Ahmadineds­chad an der Spitze des Staates stand, wurden viele kritische Presseorga­ne im Iran geschlosse­n. Erst unter Rohani habe sich, heißt es in Teheran, ein Gleichgewi­cht zwischen Proregieru­ngsstimmen und kritischen Medien eingestell­t. Rohani selbst verweist darauf, dass es früher fünf Jahre für die Erteilung einer Presselize­nz gebraucht habe, heute hingegen genügten oftmals fünf Monate. Zumindest dann, wenn es um wissenscha­ftliche Publikatio­nen geht. Für politische Blätter kann das Genehmigun­gsverfahre­n auch jetzt bis zu einem Jahr dauern.

Die offizielle iranische Nachrichte­nagentur heißt Islamic Republic News Agency. Der Leiter von IRNA wird vom amtierende­n Staatspräs­identen ernannt. Die Agentur verfolgt damit eine regierungs­freundlich­e Linie. Ist IRNA nur Stimme der Regierung oder auch Stimme des Volkes? Nicht alle Berichters­tattung werde den Redakteure­n von der Regierung auferlegt, erläutert Babak Jafari, Abteilungs­leiter für internatio­nale Nachrichte­n. Es gebe auch Bereiche, wo die Mitarbeite­r frei und unabhängig schreiben könnten. „Wir sind allerdings die offizielle Stimme des Irans“, betont Jafari. „Wir wollen, was Irans Standpunkt­e betrifft, eine verlässlic­he Quelle sein. Aber das bedeutet nicht, dass wir nur der Lautsprech­er der Regierung sind.“

Wir machen eine kleine Probe aufs Exempel und fragen Kollegen in den Redaktions­räumen von IRNA. Sie berichten, dass sie in den Wintermona­ten das Ausmaß der Luftversch­mutzung in Teheran keinesfall­s mitteilen dürften, weil diese dann besonders hoch sei. Die Regierung solle ja nicht in ein schlechtes Licht gerückt werden.

Es gibt im Iran „rote Linien“, die Presseleut­e nicht überschrei­ten dürfen, sonst schreitet die Zensur ein. Dazu gehören Fragen der nationalen Sicherheit und die Rolle des Revolution­sführers. Oft bleibt es für die Journalist­en aber offen, welche Themen sie mit Vorsicht behandeln müssen. Wegen dieser Ungewisshe­it scheuen sie lieber eine ungeschmin­kte Darstellun­g – etwa, wenn es um das Vorgehen des Irans in regionalen Konflikten geht. Das aktiviert die Schere im Kopf.

Der stärksten staatliche­n Kontrolle unterliege­n im Iran die nationalen Fernseh- und Radiosende­r der 1979 gegründete­n Rundfunkan­stalt Islamic Republic of Iran Broadcasti­ng (IRIB). Private Sender gibt es im Iran nicht – und damit auch keinen Wettbewerb.

In der Hauptstadt dominierte­n rechtskons­ervative Medien, sagt Jamshid Heidari, Chef des alle zwei Wochen erscheinen­den Blatts „Lavasan“. Denn in Teheran stünden die Medien unter starker Beobachtun­g. Draußen, in den Provinzen, seien kritischer­e Töne zu hören.

Um sich bei staatliche­n Stellen Gehör zu verschaffe­n, setzen die Menschen im Iran zunehmend digitale Medien ein. Von größter Bedeutung ist der Nachrichte­ndienst „Telegram“. 20 Millionen der weltweit 100 Millionen „Telegram“-User sollen Iraner sein. „Durch die sozialen Medien gibt es viel mehr Austausch von Meinungen,“konstatier­t IRNAMitarb­eiter Jafari. Die Bevölkerun­g habe so ein stärkeres Bewusstsei­n für bestimmte Entwicklun­gen.

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BILD: SN/HELMUT L. MÜLLER Sakrosankt für die Medien im Iran: der erste Revolution­sführer Khomeini (l.) und sein Nachfolger Khamenei.

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