Sind Sie noch selbstständig oder schon angestellt?
Vor allem im kreativen Bereich verschwimmen die Grenzen zwischen den bisherigen Beschäftigungsformen. Während die Regierung an einem neuen Gesetz bastelt, fordern Experten ganz neue Zugänge zu dem Thema.
WIEN. Der zunehmende Einsatz von Computern in allen Lebensbereichen, neue Vernetzungsmöglichkeiten durch das Internet sowie der Wunsch nach freier Zeiteinteilung – das sind nur einige der Gründe dafür, dass die Grenzen zwischen freiberuflicher und unselbstständiger Arbeit zerfließen.
Vor allem kreative Berufe wie Architekten, Designer, Medienmacher und Öffentlichkeitsarbeiter sind betroffen, ebenso Schaffende in den Sektoren Aus- und Weiterbildung, IT und Trainings. Diese Branchen zusammen erwirtschaften rund ein Zehntel der gesamten Wertschöpfung Österreichs.
Die unklaren Verhältnisse sind für alle Seiten unbefriedigend. Oft sind sich die Anbieter selbst nicht sicher, welchen Status sie haben und wie sie ihre Ansprüche – etwa auf Urlaubsgeld – geltend machen können. Zugleich kann die Unsicherheit dazu führen, dass sie immer seltener für Aufträge engagiert werden. Krankenkassen schließlich sehen sich durch „Scheinselbstständige“um Einnahmen gebracht. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Finanzierung des Sozialstaats in seiner bestehenden Form.
Unternehmen ihrerseits müssen befürchten, rechtlich in die Bredouille zu kommen, wenn sie Personen auf Basis eines Werkvertrags beschäftigen – und die Gebietskrankenkasse dann befindet, diese wären in Wahrheit als Angestellte einzustufen gewesen. In diesem Fall drohen Nachzahlungen bis zu fünf Jahre sowie eine Strafe.
Eine Unternehmerin spricht von einem „Damoklesschwert“, das sie jetzt beseitigt habe, indem sie auf solche Einsätze komplett verzichte. Stattdessen versucht sie, mit dem bestehenden Personal das Auslangen zu finden, auch wenn das viele Überstunden bedeutet. Kurzfristige Beschäftigung auf Werkvertragsbasis sei heute praktisch unmöglich, klagt sie, „da stehst du immer mit einem Fuß im Kriminal“.
Der Grund: Seit einigen Jahren ließen Sozialversicherung und Krankenkassen eine deutliche Neigung erkennen, „dass im Zweifelsfall alles eine Anstellung ist“. So müsse man jemanden, der zwei oder drei Stunden am Empfang stehe, voll anstellen, „samt dem ganzen Rattenschwanz“an Zahlungen und Verpflichtungen. Die Prüfungen der Gebietskrankenkassen seien immer strenger geworden, dem Arbeitgeber bleibe keine Flexibilität mehr.
Die Arbeitnehmer freilich haben eine andere Sicht der Dinge. Im Vordergrund steht hier die Sorge, dass Personen auf Basis von freien Dienstverträgen, Werkverträgen oder Honorarnoten arbeiten, tatsächlich aber genauso unselbstständige Tätigkeiten verrichten wie Angestellte in einem Arbeitsverhältnis. Bei der Gewerkschaft GPAdjp wertet man es als besorgniserregend, dass die Zahl der unselbstständig Beschäftigten in Österreich seit Jahren stagniert, es zugleich aber bei Ein-Personen-Unternehmen (EPU) und (auf Werkvertragsbasis arbeitenden) Neuen Selbstständigen deutliche Anstiege gibt. Immer mehr Internetplattformen nützen die unklare Situation bewusst aus, meinen Experten. So würden zahlreiche Onlineanbieter für diverse Dienstleistungen ganz gezielt den Begriff „Auftragnehmer“verwenden. Das soll nahelegen, es handle sich um kein Beschäftigungsverhältnis – auch wenn es darauf hinauslaufen sollte.
Die Entscheidung über die Art des Arbeitsverhältnisses liegt bei Gebietskrankenkassen beziehungsweise der Sozialversicherung. Auch das ist ein Stein des Anstoßes für die, denen die Jagd der Behörden auf Scheinselbstständige ein Dorn im Auge ist.
So kritisiert Christian Ebner, Obmann der Plattform FreeMarkets.at, dass Krankenkassen und Finanzämter hier „Ankläger, Ermittler, Richter und Begünstigter in einem“ seien. „Das ist absurd“, meint der Unternehmensberater. Hier würden bestehende Regelungen durch widersprüchliche und kasuistische Gerichtsentscheidungen verwässert, meinen auch Juristen.
Ein geplanter Gesetzesentwurf soll teilweise Lösungen bieten. Auf Basis einer Grundsatzvereinbarung der Sozialpartner arbeitet das Sozialministerium gerade an einem Gesetzesentwurf, der Anfang 2017 vorliegen und im Lauf des Jahres in Kraft treten soll.
Eine „Vorabprüfung“soll mehr Klarheit bringen, zusätzlich können Betroffene eine verbindliche Klärung ihres Status verlangen. Zugleich sollen bereits geleistete Sozialversicherungsbeiträge des Dienstgebers angerechnet werden. Bisher konnten notwendige Rückzahlungen zu Härtefällen führen.
Jährlich gebe es rund 2000 solcher „Umqualifizierungen“, ist zu hören. Wobei die Gebietskrankenkasse Salzburg mehr Angestellte „aufdeckte“als ihre Wiener Kollegen. So gut wie immer geht es dabei um die Umwandlung von selbstständig auf unselbstständig, fast nie in die umgekehrte Richtung.
Über den Stand der Detailverhandlungen freilich herrscht noch Unklarheit. Während man im Sozialministerium versichert, es sei alles auf Schiene, wollen andere von massiven Auffassungsunterschieden wissen. Kein Wunder, meint Gernot Mitter, Experte für Arbeitsmarktpolitik in der Arbeiterkammer Wien, schließlich „ist es ein extrem dickes Brett, das da zu bohren ist“. Er rechnet mit großen Umbrüchen und verweist auf die USA. Da bildeten sich gerade Ansätze für Gewerkschaften auch im Crowdworking-Bereich heraus.
„Kassen und Finanzämter sind Kläger und Begünstigte in einem.“