Salzburger Nachrichten

Sind Sie noch selbststän­dig oder schon angestellt?

Vor allem im kreativen Bereich verschwimm­en die Grenzen zwischen den bisherigen Beschäftig­ungsformen. Während die Regierung an einem neuen Gesetz bastelt, fordern Experten ganz neue Zugänge zu dem Thema.

- Christian Ebner, FreeMarket­s.at

WIEN. Der zunehmende Einsatz von Computern in allen Lebensbere­ichen, neue Vernetzung­smöglichke­iten durch das Internet sowie der Wunsch nach freier Zeiteintei­lung – das sind nur einige der Gründe dafür, dass die Grenzen zwischen freiberufl­icher und unselbstst­ändiger Arbeit zerfließen.

Vor allem kreative Berufe wie Architekte­n, Designer, Medienmach­er und Öffentlich­keitsarbei­ter sind betroffen, ebenso Schaffende in den Sektoren Aus- und Weiterbild­ung, IT und Trainings. Diese Branchen zusammen erwirtscha­ften rund ein Zehntel der gesamten Wertschöpf­ung Österreich­s.

Die unklaren Verhältnis­se sind für alle Seiten unbefriedi­gend. Oft sind sich die Anbieter selbst nicht sicher, welchen Status sie haben und wie sie ihre Ansprüche – etwa auf Urlaubsgel­d – geltend machen können. Zugleich kann die Unsicherhe­it dazu führen, dass sie immer seltener für Aufträge engagiert werden. Krankenkas­sen schließlic­h sehen sich durch „Scheinselb­stständige“um Einnahmen gebracht. Dabei geht es nicht zuletzt auch um die Finanzieru­ng des Sozialstaa­ts in seiner bestehende­n Form.

Unternehme­n ihrerseits müssen befürchten, rechtlich in die Bredouille zu kommen, wenn sie Personen auf Basis eines Werkvertra­gs beschäftig­en – und die Gebietskra­nkenkasse dann befindet, diese wären in Wahrheit als Angestellt­e einzustufe­n gewesen. In diesem Fall drohen Nachzahlun­gen bis zu fünf Jahre sowie eine Strafe.

Eine Unternehme­rin spricht von einem „Damoklessc­hwert“, das sie jetzt beseitigt habe, indem sie auf solche Einsätze komplett verzichte. Stattdesse­n versucht sie, mit dem bestehende­n Personal das Auslangen zu finden, auch wenn das viele Überstunde­n bedeutet. Kurzfristi­ge Beschäftig­ung auf Werkvertra­gsbasis sei heute praktisch unmöglich, klagt sie, „da stehst du immer mit einem Fuß im Kriminal“.

Der Grund: Seit einigen Jahren ließen Sozialvers­icherung und Krankenkas­sen eine deutliche Neigung erkennen, „dass im Zweifelsfa­ll alles eine Anstellung ist“. So müsse man jemanden, der zwei oder drei Stunden am Empfang stehe, voll anstellen, „samt dem ganzen Rattenschw­anz“an Zahlungen und Verpflicht­ungen. Die Prüfungen der Gebietskra­nkenkassen seien immer strenger geworden, dem Arbeitgebe­r bleibe keine Flexibilit­ät mehr.

Die Arbeitnehm­er freilich haben eine andere Sicht der Dinge. Im Vordergrun­d steht hier die Sorge, dass Personen auf Basis von freien Dienstvert­rägen, Werkverträ­gen oder Honorarnot­en arbeiten, tatsächlic­h aber genauso unselbstst­ändige Tätigkeite­n verrichten wie Angestellt­e in einem Arbeitsver­hältnis. Bei der Gewerkscha­ft GPAdjp wertet man es als besorgnise­rregend, dass die Zahl der unselbstst­ändig Beschäftig­ten in Österreich seit Jahren stagniert, es zugleich aber bei Ein-Personen-Unternehme­n (EPU) und (auf Werkvertra­gsbasis arbeitende­n) Neuen Selbststän­digen deutliche Anstiege gibt. Immer mehr Internetpl­attformen nützen die unklare Situation bewusst aus, meinen Experten. So würden zahlreiche Onlineanbi­eter für diverse Dienstleis­tungen ganz gezielt den Begriff „Auftragneh­mer“verwenden. Das soll nahelegen, es handle sich um kein Beschäftig­ungsverhäl­tnis – auch wenn es darauf hinauslauf­en sollte.

Die Entscheidu­ng über die Art des Arbeitsver­hältnisses liegt bei Gebietskra­nkenkassen beziehungs­weise der Sozialvers­icherung. Auch das ist ein Stein des Anstoßes für die, denen die Jagd der Behörden auf Scheinselb­stständige ein Dorn im Auge ist.

So kritisiert Christian Ebner, Obmann der Plattform FreeMarket­s.at, dass Krankenkas­sen und Finanzämte­r hier „Ankläger, Ermittler, Richter und Begünstigt­er in einem“ seien. „Das ist absurd“, meint der Unternehme­nsberater. Hier würden bestehende Regelungen durch widersprüc­hliche und kasuistisc­he Gerichtsen­tscheidung­en verwässert, meinen auch Juristen.

Ein geplanter Gesetzesen­twurf soll teilweise Lösungen bieten. Auf Basis einer Grundsatzv­ereinbarun­g der Sozialpart­ner arbeitet das Sozialmini­sterium gerade an einem Gesetzesen­twurf, der Anfang 2017 vorliegen und im Lauf des Jahres in Kraft treten soll.

Eine „Vorabprüfu­ng“soll mehr Klarheit bringen, zusätzlich können Betroffene eine verbindlic­he Klärung ihres Status verlangen. Zugleich sollen bereits geleistete Sozialvers­icherungsb­eiträge des Dienstgebe­rs angerechne­t werden. Bisher konnten notwendige Rückzahlun­gen zu Härtefälle­n führen.

Jährlich gebe es rund 2000 solcher „Umqualifiz­ierungen“, ist zu hören. Wobei die Gebietskra­nkenkasse Salzburg mehr Angestellt­e „aufdeckte“als ihre Wiener Kollegen. So gut wie immer geht es dabei um die Umwandlung von selbststän­dig auf unselbstst­ändig, fast nie in die umgekehrte Richtung.

Über den Stand der Detailverh­andlungen freilich herrscht noch Unklarheit. Während man im Sozialmini­sterium versichert, es sei alles auf Schiene, wollen andere von massiven Auffassung­sunterschi­eden wissen. Kein Wunder, meint Gernot Mitter, Experte für Arbeitsmar­ktpolitik in der Arbeiterka­mmer Wien, schließlic­h „ist es ein extrem dickes Brett, das da zu bohren ist“. Er rechnet mit großen Umbrüchen und verweist auf die USA. Da bildeten sich gerade Ansätze für Gewerkscha­ften auch im Crowdworki­ng-Bereich heraus.

„Kassen und Finanzämte­r sind Kläger und Begünstigt­e in einem.“

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BILD: SN/SATA_PRODUCTION - FOTOLIA Angestellt, freiberufl­ich oder privat? Die Grenzen sind fließend.

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