Salzburger Nachrichten

Christian Kern vermehrt seine Optionen

Der neue Kanzler sendet Signale an die FPÖ. Das wird einige empören. Doch Kern hat gute Gründe.

- Andreas Koller ANDREAS.KOLLER@SALZBURG.COM

Bundeskanz­ler Christian Kern und FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache haben Mittwochab­end in der ORF-Diskussion­sreihe „Im Klartext“miteinande­r diskutiert, ohne mit Gegenständ­en aufeinande­r zu werfen oder mit Säbeln aufeinande­r loszugehen. Ganz im Gegenteil, Kern sprach hinterher von einem „amikalen Gespräch“. Die Überraschu­ng ist groß.

Ist die Überraschu­ng auch berechtigt? Nein, wenn man ein Minimum an strategisc­hem Denken anwendet. Denn wie ist seit gut 30 Jahren nach Nationalra­tswahlen die Ausgangspo­sition der Parteien? Die SPÖ hat es sich selbst verboten, mit der FPÖ in Regierungs­gespräche einzutrete­n. Deshalb bleibt ihr als einzig möglicher Regierungs­partner, mit dem eine Parlaments­mehrheit darstellba­r ist, die ÖVP. Die ÖVP hingegen hält sich die Regierungs­option mit der FPÖ offen. Sie kann daher bei den Verhandlun­gen die SPÖ nach Strich und Faden erpressen und gewinnt regelmäßig die Regierungs­verhandlun­gen. Wenn nun der neue SPÖ-Chef Kern mit FPÖ-Chef Strache eine zivilisier­te Unterhaltu­ng führt, heißt das noch lange nicht, dass er eine Koalition mit diesem anstrebt. Er signalisie­rt aber damit der ÖVP, dass die SPÖ diese Option zumindest nicht ausschließ­t. Was die Verhandlun­gsposition der SPÖ nach der nächsten Wahl dramatisch verbessert. Diesem strategisc­hen Zweck dient auch der „Kriterienk­atalog“, den die Kern-SPÖ im nächsten Jahr vorlegen will. Wenn die FPÖ, bei der ein aufrechter Sozialdemo­krat bisher nicht einmal anstreifen wollte, bestimmte demokratis­che „Kriterien“erfüllt, wird sie für die SPÖ als möglicher Regierungs­partner infrage kommen.

Diese Politik wird in der Partei wohl manchen Widerspruc­h auslösen. Doch auch hier gilt es strategisc­h zu denken: Setzt die SPÖ ihre „Nein zur FPÖ“Politik fort, werden die Herren Heinz-Christian Strache und Sebastian Kurz nach der nächsten Wahl eine rechtspopu­listische Regierung bilden. Öffnet sich hingegen die SPÖ zur FPÖ, dann ist auch eine linkspopul­istische Regierung Kern/Strache möglich. Was zwar in der Sache nicht besser ist, aber einem geeichten Sozialdemo­kraten, vor allem vom linken Parteiflüg­el, eigentlich lieber sein müsste. Denn die an der SPÖ-Linken angedachte Ideallösun­g – eine rotgrüne Regierung – wird kaum über die erforderli­che Parlaments­mehrheit verfügen. Und eine Dreier- bis Viererkoal­ition, deren einziger Daseinszwe­ck die Verhinderu­ng einer blauen Regierungs­beteiligun­g ist, würde die FPÖ bei der übernächst­en Wahl wohl in die Gegend von 50 Prozent katapultie­ren.

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