Die politische Kraft des Theaters erwacht
Im Burgtheater wird vorgespielt, wie Spannungen der Integration beim Abendessen zu viert spürbar werden können.
„Was politisch relevant ist, sollte auch auf der Bühne stattfinden“, sagt Regisseurin Tina Lanik, die am Burgtheater in Wien die österreichische Erstaufführung des Theaterstückes „Geächtet“von Ayad Akthar inszeniert. Morgen, Samstag, ist Premiere. „Unsere Zeit verlangt vom Theater eine unmissverständliche Haltung, die Auseinandersetzung mit den gesellschaftspolitischen Themen, die uns alle umtreiben.“Es sei ein positives Signal, dass die sonst oft schwerfälligen Bühnen so vielfältig auf Flüchtlingsthematik und Migrationsprobleme reagierten. „Mir scheint, auch das Publikum sehnt sich danach, im Theater wieder den Ort für relevante Fragen und Diskurse zu finden.“Die Wahrhaftigkeit, die vom Theater ausgehen könne, werde umso bedeutsamer, je mehr sich in der Politik die Lügen durchsetzten – ohne Konsequenzen, wie das Beispiel Trump zeige.
Tina Lanik hat am Wiener Rabenhof 1999 mit der „Belgrader Trilogie“als Regisseurin debütiert und inszeniert seit 2002 am Münchner Residenztheater. Sie hatte in Wien Politikwissenschaften studiert, ehe sie zum Theater wechselte. Ihre aktuelle Regie am Burgtheater birgt Sprengstoff: Das mit dem Pulitzerpreis ausgezeichnete Drama „Geächtet“handelt vom bewussten Verschweigen von Geschehnissen. Es erzählt von Amir Kapoor, einem New Yorker Wirtschaftsanwalt pakistanisch-muslimischer Herkunft. Er arbeitet in einer jüdischen Großkanzlei und soll Partner werden. Er hat sich assimiliert, seinen Namen geändert, seinen Geburtsort nach Indien verlegt und seine muslimische Erziehung verleugnet.
In seinem Upperclass Loft in Manhattan, im Quartett mit seiner Ehefrau Emily, einem jüdisch-amerikanischen Kurator und dessen afroamerikanischer Ehefrau, zugleich Amirs Bürokollegin, eskaliert eine Diskussion um den Islam. Spannungen, die zunächst von politischer Korrektheit überlagert sind, bringen Amirs amerikanischen Traum zum Zerplatzen. Er verliert Job, Wohnung und Frau.
Tina Lanik will in ihrer Inszenierung Zusammenhänge von psychologischen Aspekten und politischen Handlungen herausarbeiten. „Amir und seine Frau Emily ringen zwar um einander, reden aber vom ersten Satz an aneinander vorbei“, sagt die 42-jährige Regisseurin. „Er hat das Problem seiner Überassimilation und seines Bestrebens, ja nicht anders zu sein, aber es funktioniert nicht.“Sie sei ein Paradebeispiel für politische Korrektheit und wolle sein Defizit aufheben, indem sie sich auf islamische Kunst spezialisiere, ohne sein Identitätsproblem wahrzunehmen. „Beim Dinner zu viert wird diese Haltung verstärkt, und alle betonen Amir gegenüber ihr Gutmenschentum.“
Das Stück handelt von gebildeten und weltgewandten Personen. Sie lesen viel, sind beruflich erfolgreich, weltoffen und tolerant. „Aber als die Situation emotional wird und zum Kern kommt, greifen sie auf billige Vorurteile zurück. Diese Mischung aus persönlicher Befindlichkeit und politischem Diskurs macht die Theatralik des Stückes aus“, sagt Lanik. „Geächtet“habe keine fertige Botschaft und liefere keine Lösung. Der Autor, selbst Moslem, Amerikaner mit pakistanischen Wurzeln, wolle vielmehr die Komplexität von Integration aufzeigen. „Dieser Theaterabend dient dazu, sich selbst Fragen zu stellen.“ Theater: