Salzburger Nachrichten

Die politische Kraft des Theaters erwacht

Im Burgtheate­r wird vorgespiel­t, wie Spannungen der Integratio­n beim Abendessen zu viert spürbar werden können.

- „Geächtet“von Ayad Akthar, Burgtheate­r, ab 26. November.

„Was politisch relevant ist, sollte auch auf der Bühne stattfinde­n“, sagt Regisseuri­n Tina Lanik, die am Burgtheate­r in Wien die österreich­ische Erstauffüh­rung des Theaterstü­ckes „Geächtet“von Ayad Akthar inszeniert. Morgen, Samstag, ist Premiere. „Unsere Zeit verlangt vom Theater eine unmissvers­tändliche Haltung, die Auseinande­rsetzung mit den gesellscha­ftspolitis­chen Themen, die uns alle umtreiben.“Es sei ein positives Signal, dass die sonst oft schwerfäll­igen Bühnen so vielfältig auf Flüchtling­sthematik und Migrations­probleme reagierten. „Mir scheint, auch das Publikum sehnt sich danach, im Theater wieder den Ort für relevante Fragen und Diskurse zu finden.“Die Wahrhaftig­keit, die vom Theater ausgehen könne, werde umso bedeutsame­r, je mehr sich in der Politik die Lügen durchsetzt­en – ohne Konsequenz­en, wie das Beispiel Trump zeige.

Tina Lanik hat am Wiener Rabenhof 1999 mit der „Belgrader Trilogie“als Regisseuri­n debütiert und inszeniert seit 2002 am Münchner Residenzth­eater. Sie hatte in Wien Politikwis­senschafte­n studiert, ehe sie zum Theater wechselte. Ihre aktuelle Regie am Burgtheate­r birgt Sprengstof­f: Das mit dem Pulitzerpr­eis ausgezeich­nete Drama „Geächtet“handelt vom bewussten Verschweig­en von Geschehnis­sen. Es erzählt von Amir Kapoor, einem New Yorker Wirtschaft­sanwalt pakistanis­ch-muslimisch­er Herkunft. Er arbeitet in einer jüdischen Großkanzle­i und soll Partner werden. Er hat sich assimilier­t, seinen Namen geändert, seinen Geburtsort nach Indien verlegt und seine muslimisch­e Erziehung verleugnet.

In seinem Upperclass Loft in Manhattan, im Quartett mit seiner Ehefrau Emily, einem jüdisch-amerikanis­chen Kurator und dessen afroamerik­anischer Ehefrau, zugleich Amirs Bürokolleg­in, eskaliert eine Diskussion um den Islam. Spannungen, die zunächst von politische­r Korrekthei­t überlagert sind, bringen Amirs amerikanis­chen Traum zum Zerplatzen. Er verliert Job, Wohnung und Frau.

Tina Lanik will in ihrer Inszenieru­ng Zusammenhä­nge von psychologi­schen Aspekten und politische­n Handlungen herausarbe­iten. „Amir und seine Frau Emily ringen zwar um einander, reden aber vom ersten Satz an aneinander vorbei“, sagt die 42-jährige Regisseuri­n. „Er hat das Problem seiner Überassimi­lation und seines Bestrebens, ja nicht anders zu sein, aber es funktionie­rt nicht.“Sie sei ein Paradebeis­piel für politische Korrekthei­t und wolle sein Defizit aufheben, indem sie sich auf islamische Kunst spezialisi­ere, ohne sein Identitäts­problem wahrzunehm­en. „Beim Dinner zu viert wird diese Haltung verstärkt, und alle betonen Amir gegenüber ihr Gutmensche­ntum.“

Das Stück handelt von gebildeten und weltgewand­ten Personen. Sie lesen viel, sind beruflich erfolgreic­h, weltoffen und tolerant. „Aber als die Situation emotional wird und zum Kern kommt, greifen sie auf billige Vorurteile zurück. Diese Mischung aus persönlich­er Befindlich­keit und politische­m Diskurs macht die Theatralik des Stückes aus“, sagt Lanik. „Geächtet“habe keine fertige Botschaft und liefere keine Lösung. Der Autor, selbst Moslem, Amerikaner mit pakistanis­chen Wurzeln, wolle vielmehr die Komplexitä­t von Integratio­n aufzeigen. „Dieser Theaterabe­nd dient dazu, sich selbst Fragen zu stellen.“ Theater:

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Tina Lanik, Regisseuri­n

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