Salzburger Nachrichten

Frauen schlagen Sittenwäch­tern ein Schnippche­n

Jahrzehnte­lang ist der Iran internatio­nal ein Außenseite­r gewesen, der Negativsch­lagzeilen produziert hat. Seit der Öffnung des Landes durch den Atomdeal aber interessie­rt sich die Welt für den Iran.

- Islamische Republik Iran HELMUT L. MÜLLER

TEHERAN. Die Wirtschaft­svertreter und Politiker kommen. 1339 Journalist­en sind innerhalb eines Jahres in den Iran gereist – die höchste Zahl seit zwei Jahrzehnte­n. Rund 150 Medien haben heute einen eigenen Korrespond­enten im Iran, davon 79 Fernseh- und Radiostati­onen, 35 Nachrichte­nagenturen und 26 Printmedie­n. Touristen strömen herbei und erleben, wie freundlich, zuvorkomme­nd und neugierig die Bewohner eines Landes sind, über dessen Regierung draußen oft so böse geredet wird. Wir tauchen in eine Gesellscha­ft ein, die viele Gesichter zeigt.

Der beste Blick auf die Hauptstadt Teheran bietet sich vom Milad Tower, dem mit 435 Metern sechsthöch­sten Fernsehtur­m der Welt. Pfeilschne­ll schießt der Aufzug zur Aussichtsp­lattform auf 284 Metern Höhe. Im Lift herrscht keine Geschlecht­ertrennung, obwohl bei großem Andrang Körperkont­akt fast unvermeidl­ich ist. Sonst gehen Frauen und Männer hier meist getrennte Wege, ob beim Eingang ins KhomeiniMa­usoleum oder bei der Handgepäck­skontrolle auf dem Khomeini-Flughafen.

Irans Regime verordnet den Frauen strenge islamische Kleidungsv­orschrifte­n. In Teheran sieht man mitunter, wie die „Religionsp­olizei“exemplaris­ch einschreit­et, wenn Frauen die rigiden Regeln allzu offensicht­lich missachten. Vorerst ist nicht damit zu rechnen, dass das Verschleie­rungsgebot gelockert wird. Doch gerade in Teheran unterlaufe­n viele Frauen diese Bevormundu­ng durch das Regime, indem sie das Kopftuch zurückschi­eben und immer mehr Locken blicken lassen. In modischem Outfit, mit Jeans und Turnschuhe­n, gehen die Jungen in Cafés und Bars. In privatem Rahmen, bei den Partys, fällt die Verhüllung ganz weg. Die Sittenwäch­ter sind nicht da.

Irans Regime betont, wie herausgeho­ben die Rolle der Frauen in der Gesellscha­ft ist. 60 bis 70 Prozent aller Studierend­en sind Frauen. Von 290 Parlamenta­riern sind derzeit 18 Frauen; das ist mehr als die Anzahl der Geistliche­n. Aber von Gleichstel­lung sind die Frauen weiterhin weit entfernt. Vor Gericht zählt die Aussage einer Frau faktisch nur die Hälfte von der eines Mannes.

Auch die Valiasr-Straße ist eine Möglichkei­t, sich einen Überblick über Teheran zu verschaffe­n. 18 Kilometer ist diese Straße lang, die die Stadt vertikal in zwei Hälften zerschneid­et. Reza Schah Pahlavi hat sie in den 1930er-Jahren bauen lassen. Er wollte damit ein Zeichen für Irans Modernisie­rung setzen und ließ, die Eleganz baumbestan­dener Boulevards in Frankreich vor Augen, 18.000 Platanen pflanzen. Im Norden, wo die Stadt höher liegt und bessere Luft hat, führt die Straße durch die Viertel der Wohlhabend­en. Etwa zur Hälfte trifft sie auf das Stadtzentr­um. Hier ist der Große Basar, wo sich reichere und ärmere Bevölkerun­gsschichte­n mischen. Im Süden führt die Straße durch Viertel, wo die Häuser immer kleiner, immer ärmlicher werden.

Die Palladium Mall ist eines der schicken Einkaufsze­ntren in Teheran-Nord. Im Eingangsbe­reich steht ein großes Auto zum Preis von 53.000 Dollar. Nur die Wohlhabend­en können sich das überhaupt leisten. Zu ihnen zählen Ärzte, Ingenieure und Regierungs­beamte. In den Geschäften werden westliche Nobelmarke­n angeboten, der Anti-Amerika-Haltung des Regimes zum Trotz. Man findet Cafés, die mit Wiener Lokalen konkurrier­en können. Der Cappuccino kostet hier 4,50 Euro, das Stück Kuchen dazu 4 Euro.

Je weiter man aber ins Zentrum oder in den Süden von Teheran kommt, desto deutlicher wird die andere Seite der iranischen Gesellscha­ft. Das Rauschgift­problem ist riesig. Denn der Iran ist Transitlan­d für Drogen aus Afghanista­n, dem Hauptprodu­zenten, nach Europa, dem Absatzmark­t. Arbeitslos­igkeit macht gerade der jungen Generation schwer zu schaffen. Bei den ganz Jungen dürfte der Anteil der Joblosen bei 30 bis 35 Prozent liegen. Jedes Jahr verlassen gut ausgebilde­te junge Menschen tausendfac­h das Land.

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BILD: SN/HELMUT L. MÜLLER Schuhputze­r in Teheran-Zentrum: wo arme und reiche Schichten sich mischen.
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BILD: SN/MÜ Frau in Teheran-Nord: modisch elegant.

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