Josef hält nichts von Hasspostings
Es gab sie schon, ehe das Internet erfunden war. In vorbiblischer Zeit. Hassbotschaften und üble Gerüchte. Aber da war einer, der dem widerstand.
SALZBURG. Zweifel säen. Andere verunglimpfen. Verbal niedermachen. Einfach so. Aus dem Hinterhalt. Mit Thesen hausieren gehen, die keiner näheren Betrachtung standhalten: Das waren immer schon effiziente Waffen, die Menschen gegeneinander – aber auch zur politischen Stimmungsmache – eingesetzt haben.
Es war nicht anders, als sich Maria, die Verlobte des Josef von Nazareth, wochenlang bei ihrer Base Elisabeth aufhielt. Weit weg von daheim. Allein – und dann schwanger zurückkam. Da war all dieses böse Getuschel im Umfeld. Häme. Spott. Hinterrücks zwar, nicht unmittelbar hör-, aber dafür umso mehr fühlbar. Aber Josef bleibt loyal. Glaubt an die Liebe. Glaubt an Maria. Hält den Schmähungen – und vor allem auch den eigenen Zweifeln stand. Einer mit Rückgrat halt. Und ein Vorbild.
Am Ende kommt das Kind zur Welt. Immer sind sie es, die Kinder, die Hoffnung geben, ein neues Licht in der Dunkelheit anzünden, uns mit Freude nach vorn blicken lassen. Es ist die ewige Geschichte, die alte, gute Nachricht, die im Kern auch Botschaft der Weihnacht ist.
Dieses Nach-vorn-Blicken, dieses Trotz-allem-neuen-Mut-Fassen in einer durch Krieg und Faschismus zerstörten Welt markierte das Jahr 1946. Es markierte auch den Anfang einer neuen Kunstform. Wir nennen sie Adventsingen. Erdacht haben sie Tobias Reiser der Ältere und die aus Riedering (Bayern) stammende Annette Thoma. Es ist der Klang der vorweihnachtlichen Tage, wie ihn viele von Kind an verinnerlicht haben. Siebzig Jahre sind seither vergangen.
Die Lebenswege von Reiser, dem begnadeten Volksmusikanten und Nazikollaborateur, und der Jüdin Annette Thoma kreuzen sich nach dem Krieg wieder. Sie kennen einander seit den 1930er-Jahren. Thoma, die der Welt den „Andachtsjodler“schenkte, unterstützt den musikalisch hochbegabten Fleischhacker aus St. Johann in dem Unterfangen, ein Adventsingen zu organisieren. Im jüngsten Gutachten „Tobi Reiser und der Nationalsozialismus“schreibt Oliver Rathkolb über „die große Herausforderung, einerseits seine belastende Biografie zu beachten und andererseits seine große musikalische Leistung zu würdigen. Es sind zwei Ebenen, die separat betrachtet gehören.“Und es ist vielleicht an der Zeit, sich jetzt und in Zukunft auf die musikalische Ebene zu beschränken. Oder?
„Gib uns Frieden“nennt sich das aktuelle Adventsingen 2016. Frieden beginnt, wie wir alle wissen, immer bei uns selbst. Mit seiner Musik und der Spielform des Adventsingens, das er und später sein Sohn Tobi zu Oratorien formten, schenkt Reiser Tausenden Menschen Freude. Vereint sie für zwei Stunden in Frieden und Gemeinsamkeit.
Hans Köhl, Texter und Gesamtleiter des Adventsingens, lässt heuer, im Jubiläumsjahr, die Figuren von Tobi Reiser (Theo Helm) und Annette Thoma (Susanna Szameit) auf der Bühne auftauchen und Reiser sagen: „Wenn i domois g’wusst hätt, in welche Richtung des geht . . . (es) war wohl der größte Fehler in mein’m Leben.“
70 Jahre gibt es das Adventsingen. 70 Jahre wäre Tobi Reiser jun. heuer alt geworden. Schöner Zufall: Bei der Premiere am Freitag feierte Hauptdarstellerin Susanne Szameit den 70. Geburtstag. Als wesentlicher Teil einer Produktion, die rundum gelungen ist.
Wuchtige, teils opernhafte Musik ohne Scheu vor dem Lieblichen und große Stimmen stehen im Kontrast zu fein ziselierten Reiser-Stückln. Als Goldgriff erweisen sich die zwei neuen Vokalensembles Mühlviertler Dreier und Mühlviertler Vokalensemble. Die Lieder der fröhlichen Hirtenkinder erklingen vor einem Bühnenbild mit Salzburg-Anmutung und in Kostümen, die von Stil und geschmacklicher Treffsicherheit zeugen. Und alles formt sich unter der Hand von Regisseurin Caroline Richards zur runden Sache.
„Gib uns Frieden“lautet der Titel. Er ist eine Aufforderung an uns alle. Denn der Frieden beginnt, wie wir wissen, immer bei uns selbst. WWW.SALZBURGERADVENTSINGEN.AT