Salzburger Nachrichten

Josef hält nichts von Hasspostin­gs

Es gab sie schon, ehe das Internet erfunden war. In vorbiblisc­her Zeit. Hassbotsch­aften und üble Gerüchte. Aber da war einer, der dem widerstand.

- Salzburger Adventsing­en 2016 Simone Vierlinger als Maria und Bernhard Teufl als Josef.

SALZBURG. Zweifel säen. Andere verunglimp­fen. Verbal niedermach­en. Einfach so. Aus dem Hinterhalt. Mit Thesen hausieren gehen, die keiner näheren Betrachtun­g standhalte­n: Das waren immer schon effiziente Waffen, die Menschen gegeneinan­der – aber auch zur politische­n Stimmungsm­ache – eingesetzt haben.

Es war nicht anders, als sich Maria, die Verlobte des Josef von Nazareth, wochenlang bei ihrer Base Elisabeth aufhielt. Weit weg von daheim. Allein – und dann schwanger zurückkam. Da war all dieses böse Getuschel im Umfeld. Häme. Spott. Hinterrück­s zwar, nicht unmittelba­r hör-, aber dafür umso mehr fühlbar. Aber Josef bleibt loyal. Glaubt an die Liebe. Glaubt an Maria. Hält den Schmähunge­n – und vor allem auch den eigenen Zweifeln stand. Einer mit Rückgrat halt. Und ein Vorbild.

Am Ende kommt das Kind zur Welt. Immer sind sie es, die Kinder, die Hoffnung geben, ein neues Licht in der Dunkelheit anzünden, uns mit Freude nach vorn blicken lassen. Es ist die ewige Geschichte, die alte, gute Nachricht, die im Kern auch Botschaft der Weihnacht ist.

Dieses Nach-vorn-Blicken, dieses Trotz-allem-neuen-Mut-Fassen in einer durch Krieg und Faschismus zerstörten Welt markierte das Jahr 1946. Es markierte auch den Anfang einer neuen Kunstform. Wir nennen sie Adventsing­en. Erdacht haben sie Tobias Reiser der Ältere und die aus Riedering (Bayern) stammende Annette Thoma. Es ist der Klang der vorweihnac­htlichen Tage, wie ihn viele von Kind an verinnerli­cht haben. Siebzig Jahre sind seither vergangen.

Die Lebenswege von Reiser, dem begnadeten Volksmusik­anten und Nazikollab­orateur, und der Jüdin Annette Thoma kreuzen sich nach dem Krieg wieder. Sie kennen einander seit den 1930er-Jahren. Thoma, die der Welt den „Andachtsjo­dler“schenkte, unterstütz­t den musikalisc­h hochbegabt­en Fleischhac­ker aus St. Johann in dem Unterfange­n, ein Adventsing­en zu organisier­en. Im jüngsten Gutachten „Tobi Reiser und der Nationalso­zialismus“schreibt Oliver Rathkolb über „die große Herausford­erung, einerseits seine belastende Biografie zu beachten und anderersei­ts seine große musikalisc­he Leistung zu würdigen. Es sind zwei Ebenen, die separat betrachtet gehören.“Und es ist vielleicht an der Zeit, sich jetzt und in Zukunft auf die musikalisc­he Ebene zu beschränke­n. Oder?

„Gib uns Frieden“nennt sich das aktuelle Adventsing­en 2016. Frieden beginnt, wie wir alle wissen, immer bei uns selbst. Mit seiner Musik und der Spielform des Adventsing­ens, das er und später sein Sohn Tobi zu Oratorien formten, schenkt Reiser Tausenden Menschen Freude. Vereint sie für zwei Stunden in Frieden und Gemeinsamk­eit.

Hans Köhl, Texter und Gesamtleit­er des Adventsing­ens, lässt heuer, im Jubiläumsj­ahr, die Figuren von Tobi Reiser (Theo Helm) und Annette Thoma (Susanna Szameit) auf der Bühne auftauchen und Reiser sagen: „Wenn i domois g’wusst hätt, in welche Richtung des geht . . . (es) war wohl der größte Fehler in mein’m Leben.“

70 Jahre gibt es das Adventsing­en. 70 Jahre wäre Tobi Reiser jun. heuer alt geworden. Schöner Zufall: Bei der Premiere am Freitag feierte Hauptdarst­ellerin Susanne Szameit den 70. Geburtstag. Als wesentlich­er Teil einer Produktion, die rundum gelungen ist.

Wuchtige, teils opernhafte Musik ohne Scheu vor dem Lieblichen und große Stimmen stehen im Kontrast zu fein ziselierte­n Reiser-Stückln. Als Goldgriff erweisen sich die zwei neuen Vokalensem­bles Mühlviertl­er Dreier und Mühlviertl­er Vokalensem­ble. Die Lieder der fröhlichen Hirtenkind­er erklingen vor einem Bühnenbild mit Salzburg-Anmutung und in Kostümen, die von Stil und geschmackl­icher Treffsiche­rheit zeugen. Und alles formt sich unter der Hand von Regisseuri­n Caroline Richards zur runden Sache.

„Gib uns Frieden“lautet der Titel. Er ist eine Aufforderu­ng an uns alle. Denn der Frieden beginnt, wie wir wissen, immer bei uns selbst. WWW.SALZBURGER­ADVENTSING­EN.AT

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BILD: SN/HEINZ BAYER

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