Spanier frönen extremer Frömmigkeit
Das Goldene Zeitalter Spaniens sorgt in München für aufregende Einblicke – dank Bildern von Velázquez, El Greco und Zurbarán.
Da umschlingt der heilige Franziskus den Gekreuzigten so innig, dass er fast aus dessen Seitenwunde trinken kann. Und seine Füße treten das Böse, das in Gestalt einer leopardenartigen Bestie ums Kreuz drapiert ist, während ein verzücktes Englein die Gambe streicht. Es darf einem schon die Luft wegbleiben, so exaltiert erscheint die Komposition Francisco Ribaltas aus dem Jahr 1620.
Dieses Bild steht für den Reiz der neuen Ausstellung in der Kunsthalle München. Sie zeigt das – für heutige Betrachter – Absonderliche einer zwanghaft auf den Glauben fixierten Kunst, die sich ohne Unterlass am Leiden labt, am Sterben und überhaupt am Tod.
Zu Gast ist ab heute, Samstag, Kunst aus dem Goldenen Zeitalter Spaniens – von El Greco, Velázquez und Zurbarán. Für viele glich das Land allerdings einem Jammertal, der Staat war so abgewirtschaftet, dass die zum Dunkel-Depressiven neigende Volksseele nur noch mit dem gewaltigen Schmerz des Erlösers und der Märtyrer erreichbar schien. Je realistischer, desto besser. Hierzulande kaum bekannte Bildhauer wie Pedro Roldán ließen ihre glastränenreiche „Mater dolorosa“vor Kummer förmlich zergehen.
Und es gibt Steigerungen wie den Typus des „Cristo yacente“, der an Drastik kaum zu überbieten ist. Gregorio Fernández hat diesem toten liegenden Christus beklemmende Lebensnähe eingehaucht, das reicht bis zu den blutunterlaufenen Fingernägeln aus Elfenbein.
In der Kunst dieses eher „eisernen Zeitalters“haben die weltlichen Vergnügungen keinen rechten Platz. Selbst die Straßenbuben, wie Bartolomé Esteban Murillo sie gemalt hat, sind bitterarme Burschen, die sich gerade noch an einer stibitzten Pastete laben, um bald wieder zu darben. Auch Stillleben sieht man selten – dafür fehlte eine wohlhabende bürgerliche Käuferschicht wie in den Niederlanden. Nur auf den Bodegónes, den Gasthausbildern des Diego Velázquez, geht es heiter zu. Und zwischendurch darf sogar eine Aristokratin leise lächeln – wenn sie nicht gerade zur königlichen Familie gehört.
Die Macht der Habsburger über Spanien sollte im Jahr 1700 enden. Bis zu diesem Abgang tut sich ein spannendes Spektrum auf, das zunächst noch unter dem Einfluss der Italiener steht, die Philipp II. ins rückständige Spanien geholt hatte. Mancher Heilige kommt da etwas ungelenk daher, Maler wie Juan Pantoja de la Cruz setzen auf Stereotype. Umso fulminanter wirkt wenige Meter daneben das souverän beherrschte Farbgewitter, mit dem El Greco die unbefleckte Gottesmutter („Inmaculada Oballe“) in den Himmel auffahren lässt. Vor dem dreieinhalb Meter hohen Altarbild, das Spanien nie zuvor verlassen hat, müssen selbst aufgeklärte Geister kapitulieren.
Der kunsthistorische Coup schlechthin gelang dem Enkel Philipps II. als junger Monarch. Philipp IV. muss einen sternklaren Moment gehabt haben. Oder war es die Eingebung von oben, die der Allerkatholischsten Majestät Spaniens auf die Sprünge half? Jedenfalls hat er den noch namenlosen Diego Velázquez (1599–1660) spontan engagiert. Das war eine Sternstunde – für den künftigen Hofmaler, für das längst marode Reich der Habsburger und für die Geschichte der Kunst.
Natürlich hätte sich so einer irgendwann durchgesetzt, das Talent des Velázquez war kaum zu übersehen. Aber im royalen Palast und mit fürstlichem Salär konnte sich der Künstler aus Sevilla entfalten und war nicht auf die Aufträge der Kirche angewiesen. Die schlichten, umso raffinierteren Porträts der königlichen Familie, der Höflinge und Aufsteiger sind es, die in ihrer Seelentiefe bis heute berühren, weil sie noch im kühlsten Karrieristen einen Funken Wärme zum Ausdruck bringen. Dieses Übermaß an Qualität zeigt sich in dieser Ausstellung – nach Berlin – in der Kunsthalle München, wo das Goldene Zeitalter Spaniens nun aufblühen darf. Einzelne Höhepunkte wie Velázquez’ „Mars“oder Francisco de Zurbaráns „Margareta von Antiochien“mag man hier zwar vermissen. Dafür ist die Münchner Schau stimmiger inszeniert und in Herrschaftsperioden eingeteilt: von der Ära des politisch unbedarften Philipp III. am Ende des 16. Jahrhunderts über den erwähnten Philipp IV. bis zum unglückseligen, von Verwandtenehen gezeichneten Karl II. Ausstellung: