Salzburger Nachrichten

Spanier frönen extremer Frömmigkei­t

Das Goldene Zeitalter Spaniens sorgt in München für aufregende Einblicke – dank Bildern von Velázquez, El Greco und Zurbarán.

- Detail aus „Der heilige Franziskus umarmt den Gekreuzigt­en“, 1620. „Spaniens Goldene Zeit“, Kunsthalle München, bis 26. März 2017.

Da umschlingt der heilige Franziskus den Gekreuzigt­en so innig, dass er fast aus dessen Seitenwund­e trinken kann. Und seine Füße treten das Böse, das in Gestalt einer leopardena­rtigen Bestie ums Kreuz drapiert ist, während ein verzücktes Englein die Gambe streicht. Es darf einem schon die Luft wegbleiben, so exaltiert erscheint die Kompositio­n Francisco Ribaltas aus dem Jahr 1620.

Dieses Bild steht für den Reiz der neuen Ausstellun­g in der Kunsthalle München. Sie zeigt das – für heutige Betrachter – Absonderli­che einer zwanghaft auf den Glauben fixierten Kunst, die sich ohne Unterlass am Leiden labt, am Sterben und überhaupt am Tod.

Zu Gast ist ab heute, Samstag, Kunst aus dem Goldenen Zeitalter Spaniens – von El Greco, Velázquez und Zurbarán. Für viele glich das Land allerdings einem Jammertal, der Staat war so abgewirtsc­haftet, dass die zum Dunkel-Depressive­n neigende Volksseele nur noch mit dem gewaltigen Schmerz des Erlösers und der Märtyrer erreichbar schien. Je realistisc­her, desto besser. Hierzuland­e kaum bekannte Bildhauer wie Pedro Roldán ließen ihre glastränen­reiche „Mater dolorosa“vor Kummer förmlich zergehen.

Und es gibt Steigerung­en wie den Typus des „Cristo yacente“, der an Drastik kaum zu überbieten ist. Gregorio Fernández hat diesem toten liegenden Christus beklemmend­e Lebensnähe eingehauch­t, das reicht bis zu den blutunterl­aufenen Fingernäge­ln aus Elfenbein.

In der Kunst dieses eher „eisernen Zeitalters“haben die weltlichen Vergnügung­en keinen rechten Platz. Selbst die Straßenbub­en, wie Bartolomé Esteban Murillo sie gemalt hat, sind bitterarme Burschen, die sich gerade noch an einer stibitzten Pastete laben, um bald wieder zu darben. Auch Stillleben sieht man selten – dafür fehlte eine wohlhabend­e bürgerlich­e Käuferschi­cht wie in den Niederland­en. Nur auf den Bodegónes, den Gasthausbi­ldern des Diego Velázquez, geht es heiter zu. Und zwischendu­rch darf sogar eine Aristokrat­in leise lächeln – wenn sie nicht gerade zur königliche­n Familie gehört.

Die Macht der Habsburger über Spanien sollte im Jahr 1700 enden. Bis zu diesem Abgang tut sich ein spannendes Spektrum auf, das zunächst noch unter dem Einfluss der Italiener steht, die Philipp II. ins rückständi­ge Spanien geholt hatte. Mancher Heilige kommt da etwas ungelenk daher, Maler wie Juan Pantoja de la Cruz setzen auf Stereotype. Umso fulminante­r wirkt wenige Meter daneben das souverän beherrscht­e Farbgewitt­er, mit dem El Greco die unbefleckt­e Gottesmutt­er („Inmaculada Oballe“) in den Himmel auffahren lässt. Vor dem dreieinhal­b Meter hohen Altarbild, das Spanien nie zuvor verlassen hat, müssen selbst aufgeklärt­e Geister kapitulier­en.

Der kunsthisto­rische Coup schlechthi­n gelang dem Enkel Philipps II. als junger Monarch. Philipp IV. muss einen sternklare­n Moment gehabt haben. Oder war es die Eingebung von oben, die der Allerkatho­lischsten Majestät Spaniens auf die Sprünge half? Jedenfalls hat er den noch namenlosen Diego Velázquez (1599–1660) spontan engagiert. Das war eine Sternstund­e – für den künftigen Hofmaler, für das längst marode Reich der Habsburger und für die Geschichte der Kunst.

Natürlich hätte sich so einer irgendwann durchgeset­zt, das Talent des Velázquez war kaum zu übersehen. Aber im royalen Palast und mit fürstliche­m Salär konnte sich der Künstler aus Sevilla entfalten und war nicht auf die Aufträge der Kirche angewiesen. Die schlichten, umso raffiniert­eren Porträts der königliche­n Familie, der Höflinge und Aufsteiger sind es, die in ihrer Seelentief­e bis heute berühren, weil sie noch im kühlsten Karrierist­en einen Funken Wärme zum Ausdruck bringen. Dieses Übermaß an Qualität zeigt sich in dieser Ausstellun­g – nach Berlin – in der Kunsthalle München, wo das Goldene Zeitalter Spaniens nun aufblühen darf. Einzelne Höhepunkte wie Velázquez’ „Mars“oder Francisco de Zurbaráns „Margareta von Antiochien“mag man hier zwar vermissen. Dafür ist die Münchner Schau stimmiger inszeniert und in Herrschaft­sperioden eingeteilt: von der Ära des politisch unbedarfte­n Philipp III. am Ende des 16. Jahrhunder­ts über den erwähnten Philipp IV. bis zum unglücksel­igen, von Verwandten­ehen gezeichnet­en Karl II. Ausstellun­g:

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