Die Geburtsstunde der Zeitung
Eine Wiener Forschungsreihe konnte belegen, dass es Zeitungen schon deutlich länger gibt, als bisher angenommen wurde. Auch Salzburg spielt in den ersten Zeitungen eine Rolle.
WIEN. Ein mysteriöser Mord. Die Hochzeit eines Königspaars. Oder die tragischen Entwicklungen in einem Kriegsgebiet. Es sind Schlagzeilen, die auch am 26. November 2017 in einer Tageszeitung stehen könnten. In Wirklichkeit sind die Schlagzeilen aber mehr als 400 Jahre alt. In monatelanger Kleinarbeit hat ein Team des Instituts für Geschichtsforschung an der Uni Wien rund 16.000 handgeschriebene Zeitungen zwischen 1568 und 1605 gesichtet, katalogisiert und analysiert.
Das Ergebnis macht die Sammlung, die Teil der kaiserlichen Bibliothek in Wien ist, nicht nur breiter digital zugänglich. Es könnte dazu führen, dass die Geschichtsbücher umgeschrieben werden müssen. Seit jeher wird das Jahr 1605 als die Geburtsstunde von Zeitungen ausgewiesen, als in Straßburg die erste gedruckte Wochenzeitung erschien. „Handgeschrieben gibt es Zeitungen jedoch schon rund 30 Jahre länger“, sagt Katrin Keller, die federführende Wissenschafterin des Projekts. Die Straßburger Wochenzeitung bleibe die erste gedruckte Zeitung, aber eine neue Medienform wurde laut Keller 1605 nicht geboren. „Die war schon da. Und geschriebene Zeitungen gab es auch danach noch jahrzehntelang.“
Doch wie konnte man überhaupt handgeschrieben eine Zeitung produzieren? Sogenannte Novellanten, im Grunde die ersten Verleger der Geschichte, haben Nachrichten für wohlhabende Abonnenten gesammelt. Anschließend wurden die handschriftlichen Zeitungen gebündelt per Post verschickt – freilich gegen Bezahlung. Wie hoch die Auflage gewesen sei, sei heute schwer nachzuvollziehen, ergänzt Keller. Sie bewege sich aber wohl zwischen 15 und 200 Stück, variierend von Ausgabe zu Ausgabe.
Jene Zeitungen, die Keller und ihr Team untersucht haben, waren ursprünglich im Besitz zweier Brüder aus dem Kaufmannsgeschlecht der Fugger. „Die Brüder haben sich über Jahre das volle Nachrichtenprogramm in Deutsch und Italienisch nach Augsburg schicken lassen. Und glücklicherweise haben sie die Zeitungen archiviert.“Später sei die Sammlung in der kaiserlichen Bibliothek in Wien gelandet. Mit ihrer Arbeit konnten die Historiker belegen, dass die Fugger-Zeitungen Teil einer europäischen Medienlandschaft waren, die schon im 16. Jahrhundert relativ ausgeprägt war: Auch in Dresden, Leipzig oder Weimar gab es „idente Zeitungen“. Das Informationsnetzwerk dahinter sei ebenso beachtlich gewesen, wie Keller beschreibt. Als Nachrichtenzentren konnten die Forscher etwa Köln, Augsburg, Antwerpen, Rom, Prag und Wien ausmachen. Zudem gab es bereits Nachrichten, die aus Indien, Nordafrika oder dem Nahen Osten übermittelt wurden.
Die rund 10.000 Personen und 5500 Orte, die vom Team des Instituts für Geschichtsforschung erfasst wurden, sind parallel eine Quelle für zeitgeschichtliche Forschung. Selbst das damals beschauliche Salzburg spielt in den Aufzeichnungen eine Rolle. Die Mozartstadt hatte um 1550 nur rund 8000 Einwohner – und sie war noch nicht einmal eine Mozartstadt: Wolfgang Amadeus Mozart wurde erst 200 Jahre später geboren. In den Fugger-Zeitungen wurde etwa der Brand des Salzburger Doms 1598 dokumentiert. Auch über einen „Waffentest mit Kollateralschaden“oder einen „Mord an einem Tiroler Pfarrer in Salzburg“wurde berichtet. „Zwei Drittel der Nachrichten drehen sich um das Zeitgeschehen, vor allem um Politik und Krieg“, meint Keller. Wirtschaftsnachrichten spielten eine untergeordnete Rolle, dafür war der Fokus auf die Königshäuser gerichtet. „Das war damals aber keine Society-Berichterstattung, sondern Politik.“