Der ewige Hitler
George Clooney, Angela Merkel, Didi Mateschitz, Barack Obama: Sie alle wurden schon mit Adolf Hitler verglichen. Warum der Führer so allgegenwärtig ist.
Ein Hund, der mit dem Herrl an einem Zaun vorbeigeht. Oder vor einem Zaun stehen bleibt. In Österreich kommt das Tausende Male am Tag vor.
Für die FPÖ Kapfenberg ist das nicht alltäglich – jedenfalls nicht, wenn der Mann mit Hund Alexander Van der Bellen heißt. Da drängt sich sofort der Vergleich mit Adolf Hitler auf, mit Führer-Hündin Blondi und Obersalzberg.
Mit dem jüngsten Facebook-Posting der Freiheitlichen aus der Obersteiermark ist die Liste abstruser Hitler-Vergleiche wieder um einen Eintrag länger geworden. Die Liste war schon zuvor lang. Besonders die Deutschen kämpfen mit dem langen Schatten des NS-Diktators. So warfen die erzürnten Griechen während der Eurokrise den Deutschen wegen ihres strikten Sparkurses vor, sie würden mit dem Euro jetzt jene Herrschaft über Europa anstreben, die sie mit Panzern nicht erreicht hätten. „Hitler, Merkel, the same shit“, lautete einer von vielen Slogans.
Die deutsche Kanzlerin wurde und wird immer wieder in einem Atemzug mit dem Führer genannt. Der ungarische Premier Viktor Orbán verglich Angela Merkel mit Hitler. Das hatte zuvor auch der simbabwische Informationsminister gemacht. In der Türkei wie auch in Polen wurde Merkel als „zweiter Hitler“dargestellt. Venezuelas ExStaatspräsident Hugo Chávez verglich Merkel ebenfalls mit dem Führer – wobei Chávez selbst vom ehemaligen US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld mit dem Diktator auf eine Stufe gestellt wurde. Schon vor Jahren meinte ein iranischer Militärsprecher, die Kanzlerin sehe sich „in kindlichen Träumen“als Adolf Hitler.
Allerdings zogen Vertreter der deutschen Politik seit jeher auch von sich aus die Hitler-Karte. CSU-Urgestein Franz Josef Strauß verglich einst Demonstranten, die ihn mit Eiern bewarfen, mit den „schlimmsten Nazi-Typen in der Endzeit der Weimarer Republik“. Der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt nannte seinen einstigen Parteikollegen Oskar Lafontaine einen „charismatischen“Redner, mit dem Zusatz, auch Hitler sei ein solcher gewesen. Lafontaine wiederum hatte Jahre davor gesagt, mit Schmidts Tugenden – Pflichtgefühl, Berechenbarkeit, Standhaftigkeit – könne man auch ein KZ betreiben. Andreas Köhler, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Vereinigung in Deutschland, tischte auf einer Weihnachtsfeier einmal folgende Weisheit auf: „Julius Cäsar, Karl der Große, Napoleon, Adolf Hitler, Angela Merkel – die Liste der Staatsleute, die versuchten, Europa zu einigen, ist sehr lang.“
Der Führer ist freilich nicht nur in Deutschland ein beliebtes sprachliches Feindbild – er ist es auf der ganzen Welt.
Wer wurde nicht schon aller mit Hitler verglichen: Palästinenserchef Jassir Arafat, Iraks Diktator Saddam Hussein, Serbenführer Slobodan Milošević, Terroristenboss Osama Bin Laden, Irans Staatschef Mahmud Ahmadinedschad, US-Präsident George W. Bush, Großbritanniens Premier Tony Blair, zuletzt auch Donald Trump. Besonders oft wird der russische Präsident Wladimir Putin als Reinkarnation des bösen Führers bezeichnet. Barack Obama machte diese Erfahrung zwar nicht so oft. Dafür sah sogar einer seiner entfernten Verwandten, der Tea-Party-Aktivist Milton Wolf, bei Obama Parallelen zu Hitler.
Dass sich ein Politiker freiwillig mit Hitler und dessen verbrecherischer Politik identifiziert, kommt dagegen selten vor. Der stets polternde philippinische Präsident Rodrigo Duterte ist eine solche Ausnahme. Er posaunte vor Kurzem folgende Erklärung hinaus: „Hitler hat drei Millionen Juden massakriert. Nun, es gibt hier drei Millionen Drogenabhängige . . . Ich würde sie gern abschlachten.“
Abseits der Politik ist „Adolf“ebenfalls ein willkommenes Feindbild – und das bei banalen Streitfällen. So jammerte Hollywoodstar Megan Fox über den „Transformers“-Regisseur Michael Bay: „Er will wie Hitler am Set sein, und er ist es auch.“George Clooney ereilte das gleiche Schicksal. Nachdem er gefordert hatte, Großbritannien sollte Bruchstücke aus der Akropolis, die im British Museum aufbewahrt werden, an Griechenland zurückgeben, meinte der damalige Londoner Bürgermeister Boris Johnson, Clooney verfolge eine BeutekunstPolitik wie Hitler.
Es gibt keinen Bereich, der davon verschont bleibt, auch nicht der Sport: Fans des Fußballclubs Erzgebirge Aue verglichen bei einem Match gegen Red Bull Salzburg Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz mit Hitler. Der Besitzer eines chinesischen IT-Unternehmens wiederum veröffentlichte einen gegen Apple gerichteten Cartoon, in dem Hitler mit einer Apple-Armbinde gezeigt wurde.
Was all die Vergleiche gemeinsam haben: Sie sind niveaulos und absurd, historisch falsch und moralisch verwerflich. Mit der Hitler-Marotte wird in Wahrheit der industrielle Massenmord der Nationalsozialisten täglich aufs Neue verharmlost.
Dass bei jeder Banalität auf Hitler verwiesen wird, liegt zum einen daran, dass er als die Verkörperung des absolut Bösen gilt. Zum anderen sind das Dritte Reich und der Holocaust nach wie vor in den Medien omnipräsent. „Er ist wieder da!“Der Titel dieses satirischen Romans über den Führer, der in Berlin wieder aufersteht und zum Fernsehstar wird, gilt auch für den täglichen Sprachgebrauch.
Adolf Hitler habe sich „bildlich wie gedanklich zu einem Popanz, zu einem Inbegriff der Nazi-Ideologie verfestigt“, sagt der Linguist Oswald Panagl, ein ausgewiesener Experte in Fragen der politische Sprache. „Hitlers Aussehen, seine Gesten, seine Rhetorik, auch bestimmte Situationen wie das Streicheln seines Hundes in freier Natur auf dem Obersalzberg sind immer noch gegenwärtig. Und Bilder sagen bekanntlich oft mehr als Worte, Symbole sind wirkungsmächtig.“
Sprachwissenschafter Hannes Scheutz sieht einen Grund für das permanente Schwingen der Nazi-Keule in sinkenden „verbalen und sonstigen Hemmschwellen“. Heute werde „bei jeder auch lächerlich geringfügigen Gelegenheit möglichst tief hinuntergegriffen, um nicht genehme Gegenansichten herunterzumachen“.
So kommt es, dass aus dem Hund eines grünen Politikers plötzlich die stramme Blondi des Führers wird.