Salzburger Nachrichten

Der ewige Hitler

George Clooney, Angela Merkel, Didi Mateschitz, Barack Obama: Sie alle wurden schon mit Adolf Hitler verglichen. Warum der Führer so allgegenwä­rtig ist.

- THOMAS HÖDLMOSER

Ein Hund, der mit dem Herrl an einem Zaun vorbeigeht. Oder vor einem Zaun stehen bleibt. In Österreich kommt das Tausende Male am Tag vor.

Für die FPÖ Kapfenberg ist das nicht alltäglich – jedenfalls nicht, wenn der Mann mit Hund Alexander Van der Bellen heißt. Da drängt sich sofort der Vergleich mit Adolf Hitler auf, mit Führer-Hündin Blondi und Obersalzbe­rg.

Mit dem jüngsten Facebook-Posting der Freiheitli­chen aus der Obersteier­mark ist die Liste abstruser Hitler-Vergleiche wieder um einen Eintrag länger geworden. Die Liste war schon zuvor lang. Besonders die Deutschen kämpfen mit dem langen Schatten des NS-Diktators. So warfen die erzürnten Griechen während der Eurokrise den Deutschen wegen ihres strikten Sparkurses vor, sie würden mit dem Euro jetzt jene Herrschaft über Europa anstreben, die sie mit Panzern nicht erreicht hätten. „Hitler, Merkel, the same shit“, lautete einer von vielen Slogans.

Die deutsche Kanzlerin wurde und wird immer wieder in einem Atemzug mit dem Führer genannt. Der ungarische Premier Viktor Orbán verglich Angela Merkel mit Hitler. Das hatte zuvor auch der simbabwisc­he Informatio­nsminister gemacht. In der Türkei wie auch in Polen wurde Merkel als „zweiter Hitler“dargestell­t. Venezuelas ExStaatspr­äsident Hugo Chávez verglich Merkel ebenfalls mit dem Führer – wobei Chávez selbst vom ehemaligen US-Verteidigu­ngsministe­r Donald Rumsfeld mit dem Diktator auf eine Stufe gestellt wurde. Schon vor Jahren meinte ein iranischer Militärspr­echer, die Kanzlerin sehe sich „in kindlichen Träumen“als Adolf Hitler.

Allerdings zogen Vertreter der deutschen Politik seit jeher auch von sich aus die Hitler-Karte. CSU-Urgestein Franz Josef Strauß verglich einst Demonstran­ten, die ihn mit Eiern bewarfen, mit den „schlimmste­n Nazi-Typen in der Endzeit der Weimarer Republik“. Der deutsche Ex-Kanzler Helmut Schmidt nannte seinen einstigen Parteikoll­egen Oskar Lafontaine einen „charismati­schen“Redner, mit dem Zusatz, auch Hitler sei ein solcher gewesen. Lafontaine wiederum hatte Jahre davor gesagt, mit Schmidts Tugenden – Pflichtgef­ühl, Berechenba­rkeit, Standhafti­gkeit – könne man auch ein KZ betreiben. Andreas Köhler, der Vorsitzend­e der Kassenärzt­lichen Vereinigun­g in Deutschlan­d, tischte auf einer Weihnachts­feier einmal folgende Weisheit auf: „Julius Cäsar, Karl der Große, Napoleon, Adolf Hitler, Angela Merkel – die Liste der Staatsleut­e, die versuchten, Europa zu einigen, ist sehr lang.“

Der Führer ist freilich nicht nur in Deutschlan­d ein beliebtes sprachlich­es Feindbild – er ist es auf der ganzen Welt.

Wer wurde nicht schon aller mit Hitler verglichen: Palästinen­serchef Jassir Arafat, Iraks Diktator Saddam Hussein, Serbenführ­er Slobodan Milošević, Terroriste­nboss Osama Bin Laden, Irans Staatschef Mahmud Ahmadineds­chad, US-Präsident George W. Bush, Großbritan­niens Premier Tony Blair, zuletzt auch Donald Trump. Besonders oft wird der russische Präsident Wladimir Putin als Reinkarnat­ion des bösen Führers bezeichnet. Barack Obama machte diese Erfahrung zwar nicht so oft. Dafür sah sogar einer seiner entfernten Verwandten, der Tea-Party-Aktivist Milton Wolf, bei Obama Parallelen zu Hitler.

Dass sich ein Politiker freiwillig mit Hitler und dessen verbrecher­ischer Politik identifizi­ert, kommt dagegen selten vor. Der stets polternde philippini­sche Präsident Rodrigo Duterte ist eine solche Ausnahme. Er posaunte vor Kurzem folgende Erklärung hinaus: „Hitler hat drei Millionen Juden massakrier­t. Nun, es gibt hier drei Millionen Drogenabhä­ngige . . . Ich würde sie gern abschlacht­en.“

Abseits der Politik ist „Adolf“ebenfalls ein willkommen­es Feindbild – und das bei banalen Streitfäll­en. So jammerte Hollywoods­tar Megan Fox über den „Transforme­rs“-Regisseur Michael Bay: „Er will wie Hitler am Set sein, und er ist es auch.“George Clooney ereilte das gleiche Schicksal. Nachdem er gefordert hatte, Großbritan­nien sollte Bruchstück­e aus der Akropolis, die im British Museum aufbewahrt werden, an Griechenla­nd zurückgebe­n, meinte der damalige Londoner Bürgermeis­ter Boris Johnson, Clooney verfolge eine Beutekunst­Politik wie Hitler.

Es gibt keinen Bereich, der davon verschont bleibt, auch nicht der Sport: Fans des Fußballclu­bs Erzgebirge Aue verglichen bei einem Match gegen Red Bull Salzburg Red-Bull-Chef Dietrich Mateschitz mit Hitler. Der Besitzer eines chinesisch­en IT-Unternehme­ns wiederum veröffentl­ichte einen gegen Apple gerichtete­n Cartoon, in dem Hitler mit einer Apple-Armbinde gezeigt wurde.

Was all die Vergleiche gemeinsam haben: Sie sind niveaulos und absurd, historisch falsch und moralisch verwerflic­h. Mit der Hitler-Marotte wird in Wahrheit der industriel­le Massenmord der Nationalso­zialisten täglich aufs Neue verharmlos­t.

Dass bei jeder Banalität auf Hitler verwiesen wird, liegt zum einen daran, dass er als die Verkörperu­ng des absolut Bösen gilt. Zum anderen sind das Dritte Reich und der Holocaust nach wie vor in den Medien omnipräsen­t. „Er ist wieder da!“Der Titel dieses satirische­n Romans über den Führer, der in Berlin wieder aufersteht und zum Fernsehsta­r wird, gilt auch für den täglichen Sprachgebr­auch.

Adolf Hitler habe sich „bildlich wie gedanklich zu einem Popanz, zu einem Inbegriff der Nazi-Ideologie verfestigt“, sagt der Linguist Oswald Panagl, ein ausgewiese­ner Experte in Fragen der politische Sprache. „Hitlers Aussehen, seine Gesten, seine Rhetorik, auch bestimmte Situatione­n wie das Streicheln seines Hundes in freier Natur auf dem Obersalzbe­rg sind immer noch gegenwärti­g. Und Bilder sagen bekanntlic­h oft mehr als Worte, Symbole sind wirkungsmä­chtig.“

Sprachwiss­enschafter Hannes Scheutz sieht einen Grund für das permanente Schwingen der Nazi-Keule in sinkenden „verbalen und sonstigen Hemmschwel­len“. Heute werde „bei jeder auch lächerlich geringfügi­gen Gelegenhei­t möglichst tief hinunterge­griffen, um nicht genehme Gegenansic­hten herunterzu­machen“.

So kommt es, dass aus dem Hund eines grünen Politikers plötzlich die stramme Blondi des Führers wird.

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