Salzburger Nachrichten

Die Notreparat­uren an den Wahlordnun­gen reichen nicht

Dass es bei einer Wahl in Österreich zum GAU kommen musste, war abzusehen. Die Wahlordnun­gen wurden immer unverständ­licher und unübersich­tlicher. Kosmetik hilft nicht mehr.

- Wahlgesetz­gebung Gerhard Strejcek ist Professor am Institut für Staats- und Verwaltung­srecht an der Universitä­t Wien.

Auch wenn die Wiederholu­ng der Bundespräs­identen-Stichwahl hoffentlic­h ohne Probleme über die Bühne gehen wird: Die Regierung wird künftig mehr Augenmerk auf das Wahlrecht legen müssen als bisher. Für eine funktionie­rende Demokratie sind einfach vollziehba­re und verfassung­skonforme Wahlordnun­gen ebenso wichtig wie der Schutz der persönlich­en Sicherheit.

Den routiniert­en und an der Misere unschuldig­en Legisten im Innenminis­terium kam dabei in den vergangene­n Jahren statt einer sinnvollen Reflexions- und Überarbeit­ungsphase der Wahlgesetz­e zwischen den Wahlen meist die undankbare Aufgabe zu, Ad-hoc-Einfälle der Politik so rasch wie möglich in die Form von Gesetzesen­twürfen zu gießen und behördlich umzusetzen. Nicht immer beruhte eine Novelle auf einer ausgefeilt­en und hinreichen­d diskutiert­en Regierungs­vorlage. Mitunter kamen nur knapp begründete Initiativa­nträge für kleinere Wahlrechts­novellen ins Parlament, die selbst Fachleuten Rätsel aufgaben.

Aufmerksam­e Beobachter konstatier­ten daher schon des Längeren eine Verstimmun­g über das immer unverständ­licher und unübersich­tlicher werdende Wahlrecht. Der GAU war nicht absehbar, aber dass es über kurz oder lang zu Problemen bei der Umsetzung kommen musste, zeigten allein die elf Nichtigkei­tsgründe für Briefwahls­timmen und die lückenlose Vorgabe von Details wie Laschen-Wahlkarte und beigefarbe­nes (vormals: chamoisfar­benes) Wahlkuvert.

Auch die Bundesverf­assung ist in Österreich mit Details über das Wahlrecht überfracht­et, vor allem hinsichtli­ch der Nationalra­tswahlen. Im Vergleich dazu ordnet das Bonner Grundgeset­z nach Aufzäh- lung der Wahlgrunds­ätze nur an, dass das „Nähere“ein Gesetz (das deutsche BWahlG) bestimmt. Der österreich­ische Wahlgesetz­geber sitzt hingegen im Spinnennet­z detailverl­iebter Vorgaben. Die Vollziehun­g muss sich wegen der vom Verfassung­sgerichtsh­of gepflogene­n „strikten“Interpreta­tion von Wahlordnun­gen vor jeder formalen Abweichung der Wahlbehörd­en fürchten, wobei diese politisch zusammenge­setzten Kollegien gar nicht in einem direkten Weisungszu­sammenhang nach „oben“stehen.

Die Pannenseri­e bei der Bundespräs­identenwah­l zwingt nun zu legistisch­en Maßnahmen, aber die Gefahr der „Husch-Pfusch-Gesetzgebu­ng“bleibt dadurch aufrecht. Das Bundespräs­identenwah­lgesetz (BPräsWG) weist zunächst den Mangel auf, nur ein Rumpfgeset­z im Schatten der Nationalra­tswahlordn­ung zu sein. Um Platz zu sparen, bediente man sich einer kryptische­n Verweisung­stechnik und vergaß beispielsw­eise auf die Übernahme von Regeln über eine Wiederholu­ngswahl.

Aber das Gesetz krankt auch an Systemfehl­ern. Offenbar hielt man es nach Beginn der Direktwahl­en im Jahr 1951 nicht für notwendig, der wahltechni­sch simpleren Bundespräs­identenwah­l ein maßgeschne­idertes Regulativ zu verpassen. Wie schon bei den Instrument­en direkter Demokratie ließ man die nach dem Proporz der Nationalra­tswahl zusammenge­setzten Wahlbehörd­en (eine Idee Karl Renners aus dem Jahr 1918) bei Bundespräs­identenwah­len agieren, ohne zu erkennen, dass es hier substanzie­ll um andere Interessen­lagen geht als bei einer Wahl von Parteien. Die Bundespräs­identenwah­l ist eine Persönlich­keitswahl, unabhängig­e Kandidaten sind in diesem gesetzlich­en Rahmen benachteil­igt.

Spätestens angesichts der Anfechtung der EU-Beitritts-Volksabsti­mmung hätten die Alarmglock­en klingeln müssen, dass parteipoli­tisch nominierte Beisitzer keine geeigneten Kontrollor­gane sind, wenn es um Sachfragen oder um eine Persönlich­keitswahl geht.

Das Argument der Anfechtung­swerber 1994, dass sie in den Wahlbehörd­en nicht vertreten waren, verhallte ungehört. Verbunden mit der nur einwöchige­n Anfechtung­sfrist sind unabhängig­e Kandidatin­nen chancenlos, den Rechtsstaa­t zu bemühen.

Jetzt ist Feuer am Dach und mehr als eine Reparatur hinsichtli­ch des Kreises der Wahlberech­tigten (Erfüllung der Verfassung­svorgabe „Wählen mit 16“), einer Lockerung der technische­n Vorgaben für Wahlkuvert­s und allenfalls einiger Details der Wiederholu­ngswahl geht sich eine echte Reform nicht aus. Aber der Auftrag bleibt aufrecht, nach der Wahl eine Gesamtrefo­rm durchzufüh­ren, bei der es keine Denkverbot­e geben sollte. Dann wäre auch Platz für die ÖVPForderu­ng nach I- oder E-Voting (Wählen über Internet oder elektronis­che Stimmabgab­e). Allerdings sollte diese Option erst schrittwei­se bei Petitionen, Bürgerinit­iativen und allenfalls Volksbegeh­ren oder -befragunge­n, aber erst nach einer Nagelprobe auch bei Wahlen und Volksabsti­mmungen eingesetzt werden. Denn verbindlic­h wirkende Instrument­e der Demokratie müssen manipulati­onssicher sein.

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BILD: SN/R. RATZER Die heimischen Wahlgesetz­e kranken an einem Systemfehl­er.
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