Die Notreparaturen an den Wahlordnungen reichen nicht
Dass es bei einer Wahl in Österreich zum GAU kommen musste, war abzusehen. Die Wahlordnungen wurden immer unverständlicher und unübersichtlicher. Kosmetik hilft nicht mehr.
Auch wenn die Wiederholung der Bundespräsidenten-Stichwahl hoffentlich ohne Probleme über die Bühne gehen wird: Die Regierung wird künftig mehr Augenmerk auf das Wahlrecht legen müssen als bisher. Für eine funktionierende Demokratie sind einfach vollziehbare und verfassungskonforme Wahlordnungen ebenso wichtig wie der Schutz der persönlichen Sicherheit.
Den routinierten und an der Misere unschuldigen Legisten im Innenministerium kam dabei in den vergangenen Jahren statt einer sinnvollen Reflexions- und Überarbeitungsphase der Wahlgesetze zwischen den Wahlen meist die undankbare Aufgabe zu, Ad-hoc-Einfälle der Politik so rasch wie möglich in die Form von Gesetzesentwürfen zu gießen und behördlich umzusetzen. Nicht immer beruhte eine Novelle auf einer ausgefeilten und hinreichend diskutierten Regierungsvorlage. Mitunter kamen nur knapp begründete Initiativanträge für kleinere Wahlrechtsnovellen ins Parlament, die selbst Fachleuten Rätsel aufgaben.
Aufmerksame Beobachter konstatierten daher schon des Längeren eine Verstimmung über das immer unverständlicher und unübersichtlicher werdende Wahlrecht. Der GAU war nicht absehbar, aber dass es über kurz oder lang zu Problemen bei der Umsetzung kommen musste, zeigten allein die elf Nichtigkeitsgründe für Briefwahlstimmen und die lückenlose Vorgabe von Details wie Laschen-Wahlkarte und beigefarbenes (vormals: chamoisfarbenes) Wahlkuvert.
Auch die Bundesverfassung ist in Österreich mit Details über das Wahlrecht überfrachtet, vor allem hinsichtlich der Nationalratswahlen. Im Vergleich dazu ordnet das Bonner Grundgesetz nach Aufzäh- lung der Wahlgrundsätze nur an, dass das „Nähere“ein Gesetz (das deutsche BWahlG) bestimmt. Der österreichische Wahlgesetzgeber sitzt hingegen im Spinnennetz detailverliebter Vorgaben. Die Vollziehung muss sich wegen der vom Verfassungsgerichtshof gepflogenen „strikten“Interpretation von Wahlordnungen vor jeder formalen Abweichung der Wahlbehörden fürchten, wobei diese politisch zusammengesetzten Kollegien gar nicht in einem direkten Weisungszusammenhang nach „oben“stehen.
Die Pannenserie bei der Bundespräsidentenwahl zwingt nun zu legistischen Maßnahmen, aber die Gefahr der „Husch-Pfusch-Gesetzgebung“bleibt dadurch aufrecht. Das Bundespräsidentenwahlgesetz (BPräsWG) weist zunächst den Mangel auf, nur ein Rumpfgesetz im Schatten der Nationalratswahlordnung zu sein. Um Platz zu sparen, bediente man sich einer kryptischen Verweisungstechnik und vergaß beispielsweise auf die Übernahme von Regeln über eine Wiederholungswahl.
Aber das Gesetz krankt auch an Systemfehlern. Offenbar hielt man es nach Beginn der Direktwahlen im Jahr 1951 nicht für notwendig, der wahltechnisch simpleren Bundespräsidentenwahl ein maßgeschneidertes Regulativ zu verpassen. Wie schon bei den Instrumenten direkter Demokratie ließ man die nach dem Proporz der Nationalratswahl zusammengesetzten Wahlbehörden (eine Idee Karl Renners aus dem Jahr 1918) bei Bundespräsidentenwahlen agieren, ohne zu erkennen, dass es hier substanziell um andere Interessenlagen geht als bei einer Wahl von Parteien. Die Bundespräsidentenwahl ist eine Persönlichkeitswahl, unabhängige Kandidaten sind in diesem gesetzlichen Rahmen benachteiligt.
Spätestens angesichts der Anfechtung der EU-Beitritts-Volksabstimmung hätten die Alarmglocken klingeln müssen, dass parteipolitisch nominierte Beisitzer keine geeigneten Kontrollorgane sind, wenn es um Sachfragen oder um eine Persönlichkeitswahl geht.
Das Argument der Anfechtungswerber 1994, dass sie in den Wahlbehörden nicht vertreten waren, verhallte ungehört. Verbunden mit der nur einwöchigen Anfechtungsfrist sind unabhängige Kandidatinnen chancenlos, den Rechtsstaat zu bemühen.
Jetzt ist Feuer am Dach und mehr als eine Reparatur hinsichtlich des Kreises der Wahlberechtigten (Erfüllung der Verfassungsvorgabe „Wählen mit 16“), einer Lockerung der technischen Vorgaben für Wahlkuverts und allenfalls einiger Details der Wiederholungswahl geht sich eine echte Reform nicht aus. Aber der Auftrag bleibt aufrecht, nach der Wahl eine Gesamtreform durchzuführen, bei der es keine Denkverbote geben sollte. Dann wäre auch Platz für die ÖVPForderung nach I- oder E-Voting (Wählen über Internet oder elektronische Stimmabgabe). Allerdings sollte diese Option erst schrittweise bei Petitionen, Bürgerinitiativen und allenfalls Volksbegehren oder -befragungen, aber erst nach einer Nagelprobe auch bei Wahlen und Volksabstimmungen eingesetzt werden. Denn verbindlich wirkende Instrumente der Demokratie müssen manipulationssicher sein.