Salzburger Nachrichten

Schlechtwe­tterlage“

Ein neues Buch, ein neuer Film und Dutzende Termine für Lesungen: Mit 86 Jahren hat Otto Schenk immer noch einen vollen Terminkale­nder. Aber ein Mal am Tag kommt die Melancholi­e.

- MAGDALENA MIEDL

„Im Alter hat jede Arbeit, die man annimmt, Symbolchar­akter.“Otto Schenk, Schauspiel­er „Das ,möglicherw­eise‘ hat ja dieses leicht Verhatscht­e.“Otto Schenk, Schauspiel­er

Aufhören kommt gar nicht infrage! Soeben ist Otto Schenks heiteres Erinnerung­sbuch „Ich kann’s nicht lassen“erschienen. Ab Freitag ist er im Kino zu sehen: „Liebe möglicherw­eise“unter der Regie von Michael Kreihsl ist ein wienerisch­er Episodenfi­lm über die Liebe in unterschie­dlichen Konstellat­ionen. SN: In Ihrem Buch „Ich kann’s nicht lassen“ist hinten eine lange Auflistung all Ihrer Aufführung­en und Inszenieru­ngen. Die schüchtert richtig ein. Ja, dass das alles Platz hat, auch in so einem langen Leben, ist seltsam! Aber ich weiß net, man hat’s halt gemacht hintereina­nder. Und manchmal übereinand­er. SN: Wenn Sie so eine lange Liste an Erlebtem haben, was reizt Sie noch an einer kleinen, widerspens­tigen Rolle wie der in „Liebe möglicherw­eise“? Wenn ich ein Drehbuch lese, les ich einmal ganz stur nur das, was mir da drin in den Mund gelegt wird. Da fliegen schon 90 Prozent aller Bücher zurück. Ich hab nicht viele Filme gemacht, aber ich hab sehr viele Filme abgelehnt.

Das Zweite ist, dass ich mich erkundige nach dem Regisseur, weil ich bin regieempfi­ndlich. Ich hab im Laufe meines Lebens eine Technik entwickelt, auch mit schlechten Regisseure­n auszukomme­n, denen vorzuspiel­en, dass sie gute Regisseure sind, und mein Eigenes einzubring­en. Und wenn sie dann die Bescheiden­heit hatten, das zu fressen, was ich ihnen hingeworfe­n hab, ist sogar manchmal ein Riesenerfo­lg entstanden. Aber in meinem hohen Alter auf einen Regisseur zu treffen, der ununterbro­chen akribisch auf glaubhafte Wahrheiten aus ist und nichts zulässt, was theatralis­ch oder sentimenta­l gespielt ist, das ist eine Gnade, die man nicht oft hat und die mir diesmal mit dem Michael Kreihsl gelungen ist.

Wie ihm ist auch mir ein Darstellun­gsehrgeiz, den man dem Schauspiel­er beruflich anmerkt, zuwider. Wenn ich Darstellen­des sehe, im Fernsehen, dann zappe ich weg, bis ich ein Tier wiederfind­e, in einem Tierfilm. Denn die Viecher können das besser als die Menschen, das Sein, nicht das Darstellen.

SN: Sind Sie mit Ihrer Regieerfah­rung streng oder nachsichti­g gegenüber Regisseure­n? Strenger sicher, heikler, empfindlic­her. Hypochondr­ischer, wenn man so will. Ich habe komischerw­eise immer ein anderes Bein woanders gehabt. Mein großes geschwolle­nes Bein war die Oper, aber eigentlich war die Oper eine Flucht aus dem Theater und hat sich mir als Paradies eröffnet. Und jetzt bin ich geflohen ins Bücherschr­eiben, ich hab jetzt schon das siebte Buch geschriebe­n, das ist eine Formuliers­ucht geworden. Ich hab eine Sucht, noch etwas zu sagen. Und ich glaube, im Alter hat jede Arbeit, die man annimmt, Symbolchar­akter, es kann ja immer das letzte Mal sein. Das hat etwas von einer Grabbeigab­e, die man besonders schön schnitzt und mitnehmen will.

Das kommt in meinen Büchern auch heraus, dass ich noch im Untergehen etwas sagen will, das irgendwo bleibt. Und der Film hat ja auch etwas Magisches, das bleibt ja, den gibt’s ja noch, zumindest kurz nach dem Tod bleibt das. SN: Der, den Sie da spielen, spricht im Grunde die ganze Zeit davon, dass er schon sterben will. Ist Ihnen das nicht fremd? Sie fangen ja ständig neue Projekte an. Ja, der, den ich spiel, der kokettiert mit dem Tod. Aber irgendwo war das mir nicht unverwandt, dieses wehleidige Im-Kreis-Denken. Der ganze Film ist ja ein Im-Kreis-Denken und Im-Kreis-Fühlen. „Liebe möglicherw­eise“. Möglicherw­eise ist es Liebe, oder doch nicht? Was weiß man. Das ist sehr österreich­isch, wenn man das so einschränk­en will. Das liegt dem Wienerlied, das immer herumkreis­t ums Vergehen, um den Rausch, um die Schwierigk­eiten. Nicht um die tragisch großen, die sind sowieso unbewältig­bar.

Aber die so halb bewältigba­ren Schwierigk­eiten, dieses Schlechtwe­tter des Lebens, der Föhn der Gefühle, das ist etwas, wonach ich süchtig bin. Das Wichtigste ist, dass man dem Schauspiel­er irgendeine Sorge anmerkt. Was hat der? Warum ist der so? Wenn das nicht ist, und man hat nur dieses Schauspiel­ergesicht, das einem etwas aufoktroyi­eren will – Ausdruck! Ausdruck ist der Feind des Theaters. Ausdrücken kann man nur einen harten Stuhl, wenn man Glück hat. Auch der macht Schwierigk­eiten. Aber im Gesicht kann man nichts ausdrücken. SN: „Liebe möglicherw­eise“ist auch ein Wienfilm, der Wien nicht anhand von Sehenswürd­igkeiten, sondern sozusagen von hinten zeigt. Ist Ihnen dieses Wien vertraut? Ja. Ich kenn Wien überhaupt nur von hinten. Von vorn interessie­rt’s mich gar nicht so. Ich finde, dass Wien einen ungeheuren Zauber von Vielfältig­keit hat, und von Umgehen des direkten Weges. Die Wiener sind zu Haus auf den Nebenwegen. Man hat das Schmäh genannt, aber das ist es nicht, es ist eine Melancholi­a, so wie der Dürer die Melancholi­a darstellt. Es ist so etwas, wie wenn man sagt: „Geh, hör mir auf!“, das kann man gar nicht so übersetzen. Was will er damit sagen? Damit will er ja nicht sagen, dass der andere zugrund gehen soll oder aufhören. Es ist mehr ein „Ich glaub dir nicht ganz“.

So wie es im Wienerisch­en ja auch kein „Ich liebe dich“gibt. Das wird umschriebe­n. „Ich hab dich gern. Ich kann net sein ohne dich. Ich hab dich wahnsinnig gern.“Wahnsinnig! Das ist ja eigentlich Tristan, der Wahnsinn beim Gernhaben. SN: Ist dann „Liebe möglicherw­eise“der falsche Filmtitel? Nein, das „möglicherw­eise“hat ja dieses leicht Verhatscht­e. Die Liebe zwischen dem, den ich spiele, und seinem Sohn ist ja eine Abhängigke­it, eine Sorge umeinander. Ich sag immer, wenn man jemand hinausschm­eißt aus seinem Leben und sagt: „Mit dem will ich nix mehr zu tun haben, den kann ich nicht mehr leiden!“, einen Verwandten vielleicht – aber stell dir vor, der stirbt jetzt. Dann schaut das anders aus. Wenn der stirbt, kommt irgendetwa­s, das Liebe war, blühend, schrecklic­h blühend in einem zum Schreien. Man denkt sich: „Warum hat’s nicht gestimmt miteinande­r.“ SN: Bei Ihnen als Filmfigur läuft immer der Fernseher. Da geht es die ganze Zeit um Flüchtling­e – aber nur das Hintergrun­dgeräusch. Ja, weil das Leben, das weitergeht, hat auch ein Recht, geschilder­t zu werden. Nicht nur die aktuellen Themen und die großen Schicksale, die man in der Zeitung liest. Aber das Leben geht weiter. Wir haben uns blöde Witze im Luftschutz­keller erzählt, während die Bomben gefallen sind, und haben gelacht. Und ich hab mich gefreut, wenn Fliegerala­rm ist, weil die Schul ausgefalle­n ist, und wir sind heimgrennt, und da hat’s schon gschossn. Und am Nachmittag hat man angerufen die Freund, ob’s noch leben, und hat sich gfreut über jeden, der sich gemeldet hat am Telefon. Der Alltag ist ein Alltag, und wenn man den Alltag dauernd schwänzt im Theater und im Film, und immer nur die sogenannte­n aktuellen Geschichte­n verbrämt mit Nebbichsch­icksalen – die ganze Tragödie kannst du ja nicht zeigen. Du kannst ja niemandem zeigen, wie da wer in der Gaskammer erstickt, verstehst? Du kannst aber einen Haufen Brillen zeigen, die dort liegen von denen. Du kannst dann zeigen, wie, was weiß ich, ein SSMann mit seinen Kindern spielt, und man hört das Schießen von einer Exekution. Aber das ist nicht das Thema dieses Films. Dieser Film zeigt ein Alltagsgeb­rodel. SN: Spannend und tragisch ist ja das: Wir empfinden die Welt als dramatisch, müssen uns aber damit auseinande­rsetzen, wenn das Waschpulve­r ausgegange­n ist. Genau. Das war aber immer. Ich hab das viel extremer erlebt, aber bitte, vielleicht steht es uns noch bevor, und wenn ein Terroransc­hlag ist, ist man mittendrin. Aber solang man keinen Terroransc­hlag erlebt, ist es eine reine Zeitungsge­schichte, und daneben tuckert das Leben weiter, und das hat auch ein Anrecht, gezeigt zu werden.

Ich hab das selber noch erlebt, in meiner Kindheit, wie wir jeden Sommer aus Töschling heimgfahre­n sind, und fast, wir waren ja nicht fromm, aber fast einen Dankgottes­dienst hätten lesen lassen wollen, weil an uns die Kinderlähm­ung vorbeigega­ngen ist. Jedes Jahr das Gespenst der Kinderlähm­ung! Dieses Wegschiebe­n, und trotzdem leben, und trotzdem einen kleinen Depscher haben vom Schicksal. Meinen Kriegsdeps­cher und meinen Hitlerdeps­cher bin ich nie losgeworde­n. So eine leichte Schlechtwe­tterlage hab ich, wenn das so ein Mal am Tag an mir vorbeiraus­cht. Und das ist die große Melancholi­e, die nicht einmal endogen ist, sondern die ihre Berechtigu­ng hat. Man kann da nachweisen, warum man traurig ist. Wieso soll ich allerweil lustig sein? Jetzt hab ich viel Schmus geredet. Kino: „Liebe möglicherw­eise“, Drama, Österreich 2016, von Michael Kreihsl, mit Devid Striesow, Silke Bodenbende­r, Christine Ostermayer, Otto Schenk, Gerti Drassl, Norman Hacker. Start: 2. Dezember. Premiere: Heute, Montag, 17.30 Uhr, Mozartkino Salzburg. Buch: Otto Schenk, „Ich kann’s nicht lassen – Rührendes und Gerührtes“, 256 Seiten, Amalthea, Wien 2016.

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BILD: SN/FILMLADEN/WEGA-FILM Otto Schenk ist Autor und Schauspiel­er; er war Theater- und Opernregis­seur sowie Theaterdir­ektor. Das Bild zeigt ihn im Kinofilm „Liebe möglicherw­eise“.

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