Salzburger Nachrichten

Eltern verkuppeln unverheira­tete Chinesen

Der Heiratsdru­ck auf Chinesen, die noch nicht unter der Haube sind, steigt. Deren Familien greifen zu fragwürdig­en Mitteln. Singles und Homosexuel­le leiden besonders darunter.

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PEKING. Sonntag ist Markttag im Himmelstem­pel-Park in Peking. Es wird geschacher­t und angepriese­n: „Frau, Jahrgang 1988, 168 Zentimeter groß, 55 Kilo, Krankensch­wester“, steht auf einem Zettel, der in einer Reihe mit vielen anderen DINA4-Blättern auf dem steinernen Boden liegt. Ein Mann Mitte 50 liest das Angebot genau und scheint interessie­rt. „Mein Sohn“, sagt er und streckt der Frau, die hinter dem Papier auf einer kleinen Mauer sitzt, ein Foto hin. Die Eltern versuchen, ihre Kinder zu verkuppeln.

Heiraten hat in China immer noch einen hohen gesellscha­ftlichen Stellenwer­t – was gerade für Single-Frauen und Homosexuel­le eine große Last ist. Vor dem 30. Geburtstag sollten Chinesinne­n unter der Haube sein: Rund 90 Prozent der Frauen heiraten davor, durchschni­ttlich im Alter von 26 Jahren, wie das chinesisch­e Büro für Medien und Statistik errechnet.

Schon leicht über dem Durchschni­tt sind die Jahrgänge, die im Pekinger Park auf den Zetteln notiert sind: 1987, 88 oder 89. Auf manchen Blättern können interessie­rte Eltern einen Code mit ihrem Handy scannen, der direkt zum Profil des alleinsteh­enden Kindes im sozialen Netzwerk WeChat führt. Heiratsmar­kt im digitalen Zeitalter. Die zu Verkuppeln­den wissen häufig nichts von ihrem Glück.

„Vielen ist das total peinlich“, sagt Billy. Der 25-Jährige sitzt in einem Café in einem Pekinger Einkaufsze­ntrum. Auch seine Eltern preisen ihm regelmäßig potenziell­e Schwiegert­öchter an. Billy ist allerdings nur an Männern interessie­rt. „Meine Eltern wissen nichts davon.“Sein Elternhaus auf der südchinesi­schen Insel Hainan sei sehr traditione­ll. „Ich müsste meinem Vater das Konzept der Homosexual­ität erst einmal erklären.“Sein Coming-out würde in der Familie viele Tränen auslösen, sagt Billy. Seine Eltern erwarten, irgendwann Enkel zu haben. Deshalb erzählt er, er habe im Moment keine Zeit für eine Freundin. Wie lang er diese Lüge aufrechter­halten kann, weiß er nicht. Er wird sie aber auf jeden Fall wieder erzählen, wenn er im Februar zum chinesisch­en Neujahr – immer noch ohne Partnerin – nach Hause fliegt.

Kaum eine Mutter oder ein Vater wisse um die Homosexual­ität der Kinder. Während es in der Hauptstadt viele Bars, Clubs oder Organisati­onen für Homosexuel­le gebe, sei das Gespräch mit den eigenen Eltern unmöglich. „Es wird als Schande für die Familie gesehen.“

Auch andere Singles haben ein Problem. Etwa 200 Millionen Chinesen seien alleinsteh­end – mit großem Männerüber­schuss, berichtet die staatliche Nachrichte­nagentur Xinhua. Nach Angaben des chinesisch­en Statistika­mts wird es im Jahr 2020 etwa 24 Millionen Männer mehr im heiratsfäh­igen Alter geben als Frauen. Und trotzdem gälten Frauen über 27 Jahre in der Gesellscha­ft als „übrig geblieben“, erklärt Xiong Jing, Direktorin von Women’s Media Monitor Network, das sich in China für geschlecht­liche Gleichbere­chtigung in den Medien einsetzt. „Heiraten wird als eine Notwendigk­eit im Leben gesehen.“Auch Frauen mit hohem Bildungsst­and und gutem Job fühlten weiterhin den Druck, endlich zu heiraten, erklärt Jing. Dass es immer mehr unabhängig­e Frauen gebe, sei schon eine große Veränderun­g im Vergleich zu früher. Da derzeit Familien wegen der bis zum vergangene­n Jahr gültigen EinKind-Politik meistens nur einen Nachkommen haben, sei die Erwartung besonders groß. „Bei manchen Frauen führt das zu großer Angst.“

Der Heiratsdru­ck sei aber kein weibliches Problem, sagt Jing. „Männer spüren den Druck gleich stark, allerdings erst später.“Männer würden selbst in ihren 30ern oder 40ern nicht die gleiche Stigmatisi­erung erfahren wie Frauen in diesem Alter. Sei etwa eine alleinsteh­ende Frau im Beruf auf einer Führungspo­sition, werde sie schnell als „nü han zi“, frei übersetzt „Mannweib“, angesehen.

„Heiraten wird als eine Notwendigk­eit im Leben gesehen.“Xiong Jing, Frauenrech­tlerin

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BILD: SN/ZHAO QIRUI XINHUA / EYEVINE / PICTUREDES­K.COM Im Jahr 2020 soll es 24 Millionen mehr heiratsfäh­ige Männer als Frauen in China geben.

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