Wo Gesetz, Recht und Menschlichkeit verrotten
Zeitgeschichte hautnah: Wie sich ein Kommissar im Berlin des Jahres 1929 zwischen Gangsterbossen und den Fährnissen der braunen Willkür behauptet, ist Thema einer TV-Serie nach einem Roman von Volker Kutscher. Der Autor sprach mit den SN.
SN: Kürzlich wurden die Dreharbeiten der Serie „Babylon Berlin“nach Ihrer Romanreihe über den Berliner Kommissar Gereon Rath beendet. Wie kamen Sie auf diesen Protagonisten und die zeitlich brisante Einordnung? Volker Kutscher: Am Anfang der Gereon-Rath-Romane stand die Idee, zwei – auch literarische – Mythen miteinander zu verbinden: den Berlin-Mythos der Weimarer Zeit mit dem amerikanischen Gangstermythos derselben Epoche. Die Idee, über 1933 hinaus zu erzählen, war dann der entscheidende Schritt zur Rath-Serie, weil ich merkte, dass ich so schreibend einer Frage nachgehen kann, die mich immer beschäftigen wird: Wie konnte aus der in vielen Punkten doch vielversprechenden Weimarer Republik das Dritte Reich werden? SN: Hatten Sie ein festes Mitspracherecht bei den Dreharbeiten? Ich habe mir nicht den Regisseur ausgesucht, Tom Tykwer hat sich meinen Stoff ausgesucht, um ihn zusammen mit Hendrik Handloegten und Achim von Borries fürs Fernsehen zu adaptieren. Die drei Regisseure haben auch die Bücher für die Serie geschrieben. Wir standen in regelmäßigem Kontakt, ein vertraglich fixiertes Mitspracherecht habe ich allerdings nicht. SN: Wer die Rath-Romane liest, wird vom außerordentlich akribisch geschilderten Zeitkolorit überrascht sein, das nicht „nur“auf Recherche basieren kann. Haben Sie besondere Quellen? Wenn man unter Recherche das Aufsaugen von Informationen versteht (und das tue ich), dann basiert alles in meinen Romanen auf Recherche. Die wichtigsten Zeitzeugen sind literarische und heißen Erich Kästner, Alfred Döblin, Irmgard Keun, Hans Fallada, Gabriele Tergit etc. In deren Romanen der Neuen Sachlichkeit findet man sehr viel Zeitkolorit.
Dann hatte ich das große Glück, dass meine Großmutter, Jahrgang 1914, sehr alt geworden ist und mir noch viel über den Alltag einer jungen Familie im Köln der 30er-Jahre erzählen konnte. Leider ist sie vor vier Jahren gestorben. Und eine ganz wichtige Zeitmaschine waren und sind für mich immer die Tageszeitungen der damaligen Zeit, in denen ja nicht nur die große Politik wiedergegeben wird, sondern auch Lokalnachrichten stehen, Sportberichte, Witze, Rätsel, der Wetterbericht und Werbeanzeigen, die einem verraten, wie viel Geld man in den Dreißigern für ein Auto, ein Paar Schuhe oder einen Hut bezahlen musste. SN: In den Romanen wird hemmungslos geraucht . . . In den damaligen Zeiten – übrigens auch noch in den Siebzigern – wurde nun einmal hemmungslos geraucht. Es war ein Zeichen von Selbstbestimmtheit und Emanzipation, wenn auch Frauen zur Zigarette griffen. Rauchen war im Gegensatz zu heute absolut positiv konnotiert. SN: Apropos Emanzipation: Charlotte bzw. Charly, die weibliche Hauptfigur und spätere Frau Gereon Raths, wirkt überaus selbstbewusst. Ist diese Figur wirklich realistisch, denn das aufkommende braune „neue Deutschland“war ja eine streng männliche Domäne? Sich selbst befreiende Frauen wie Charly waren bestimmt nicht die Regel in der Weimarer Republik, sondern eher die Ausnahme. Doch es gab sie, gerade in den großen Städten, gerade in Berlin. Eine solche Bedeutung hat die Emanzipation der Frau in Deutschland, nachdem dieser unter den Nazis abrupt ein Ende bereitet wurde, wohl erst wieder Ende der 1960er-Jahre erreicht. Aber selbst im Dritten Reich konnten selbstbewusste Frauen ihren Weg gehen, wenn sie sich auf das Regime einließen – wie das Beispiel Leni Riefenstahl zeigt. SN: Sie leben in Köln, welchen persönlichen besonderen Bezug haben Sie zu Berlin? Berlin ist sozusagen meine zweite Heimat. Witzigerweise kenne ich mich, nicht zuletzt durch die RathRecherche, in Berlin mittlerweile besser aus als in Köln. SN: Gibt es schon Pläne für eine Fortsetzung? Soweit ich weiß, ist die Produktionsfirma X Filme mit den Sendern bereits in ersten Gesprächen, was eine mögliche Fortsetzung angeht. Ich würde mich natürlich freuen, weil die Rath-Reihe in meinen Augen nur Sinn ergibt, wenn man sie über das Jahr 1933 hinaus erzählt. SN: Es heißt, Sie würden noch mindestens zwei Fälle planen – bis in den Weltkrieg hinein? Ich plane nach dem aktuellen Roman „Lunapark“noch mindestens zwei, wahrscheinlich aber drei weitere Fälle. Die werden zeitlich aber höchstens bis ins Jahr 1938 reichen. SN: Freilich verbieten sich Vergleiche, aber es gibt Anknüpfungspunkte zum ebenfalls TV-verfilmten Roman „Berlin Alexanderplatz“von Alfred Döblin, der 1929 erschien, genau in dem Jahr, in dem Gereon Rath in Berlin zu ermitteln beginnt. Sprachlich bin ich wahrscheinlich eher von Kästner als von Döblin geprägt, aber natürlich gibt es da Anknüpfungspunkte. SN: In Ihrem jüngsten Roman „Lunapark“kriechen langsam damalige und auch spätere NS-Größen in den Handlungshorizont, was die Geschichte authentischer, aber auch ein Stück weit gruseliger macht. Ist das gewollter Spannungstreibstoff? Die Geschichte im Sinne von Historie wird nun einmal immer düsterer, und so werden es zwangsläufig auch meine Geschichten – im Sinne von Erzählungen. Die Nazis im Roman sind ausnahmslos solche, mit denen Rath als Polizist, also Vertreter der Exekutive, es zunehmend zu tun haben wird. 1936 wird SS-Chef Heinrich Himmler sogar Chef der deutschen Polizei.
„Tageszeitungen als wichtige Zeitmaschine.“ Volker Kutscher, Bestsellerautor