Die ewige Renaissance des Ziegels
Dank laufender Innovationen ist es dem jahrtausendealten Baustoff gelungen, immer wieder neu aktuell zu werden. Doch der steigende Zuzug in die großen Städte stellt Hersteller wie Wienerberger vor neue Herausforderungen.
WIEN. Die Baubranche ist zwar eines der ältesten Gewerbe der Welt, trotzdem gibt es auch nach Jahrtausenden immer noch Bedarf an Innovationen. Dafür sorgen nicht zuletzt längerfristige Entwicklungen wie der globale Megatrend zu immer größeren städtischen Zusammenballungen, also der Urbanisierung, oder die Tendenz zu energiesparendem Bauen.
Auch die immer häufigeren Wetterkapriolen als Folge des Klimawandels haben den Bedarf nach neuen baulichen Lösungen erhöht, sagt Franz Kolnerberger, Vorstand der Tondach Gleinstätten AG. Dachmaterialien seien daher heute deutlich anspruchsvoller als noch vor 20 Jahren. So nehme etwa die Sicherung vor Stürmen und Unwettern einen höheren Stellenwert ein.
Im Bereich der Ziegelwände hat man die Wärmedämmung in Form mineralwolleverfüllter Ziegel gleich in den Baustoff integriert. Damit werde es möglich, auch in einschaliger Bauweise bis hin zum Passivhausstandard zu bauen.
Weil solche innovativen Wandziegel gleichzeitig immer stärker und druckfester werden, kann man sie zunehmend auch im mehrgeschoßigen Wohnbau einsetzen. Das macht man sich bei der größten Baustelle des Landes zunutze, der Seestadt Aspern. Hier entsteht in einem der größten Stadterweiterungsprojekte Europas gerade ein neuer Wiener Stadtteil für mehr als 20.000 Einwohner, das entspricht der Größe von Hallein oder Mödling.
Kolnerberger bildet zusammen mit Christian Weinhapl die Geschäftsführung der Wienerberger Ziegelindustrie GmbH, wo der Konzern seit Anfang 2017 seine Aktivitäten im Bereich Wand und Dachziegel bündelt. Wienerberger – weltweiter Marktführer im Ziegelbereich – ist schon länger an Tondach beteiligt, der Weg für die Integration wurde mit der Mehrheitsübernahme vor zwei Jahren frei.
Abgesehen von Wetter und besseren Dämmeigenschaften bringt die kombinierte Ziegel- und Dachorganisation auch leichter verarbeitbare Produkte auf den Markt. Da geht es etwa darum, dass Dachziegel leichter an die richtige Stelle geschoben werden können. Die schnellere und leichtere Verarbeitbarkeit bringe Zusatznutzen, „die rasche Verarbeitung kann die Mehrkosten deutlich überkompensieren“, sagt Weinhapl.
Der Trend zum Selberbauen hat in den vergangenen Jahren sukzessive abgenommen. Das hängt auch mit den höheren Ansprüchen und technischen Anforderungen zusammen. Auch beim Dach, wo man früher oft selbst Hand anlegte, vertrauen die Leute inzwischen mehr dem Dachdecker, sagt Franz Kolnerberger.
Zugleich beobachtet man bei Wienerberger auch eine gewisse Marktsättigung im Bereich der Fertigteilhäuser – ein Trend, der in den 70er-Jahren begann und in den 90er-Jahren den Höhepunkt erreichte. Wienerberger habe mit seinem Massivwerthaus eine Antwort darauf gefunden, inzwischen finde im Fertigteilhaus-Segment eine Marktbereinigung statt. Insgesamt sehen die beiden Manager gute Wachstumsaussichten für ihre Geschäftsfelder, vor allem im Bereich Wandziegel.
Schwieriger ist es beim klassischen Steildach, das bei Neubauten in den letzten Jahren Marktanteile gegenüber dem Flachdach verliert. Nun habe der Run auf das Flachdach aber abgenommen, meint Kolnerberger. Wachstum sieht der Manager vor allem bei der Dachsanierung. Bei Einfamilienhäusern ist schon seit Jahren eine Renaissance des Ziegels zu beobachten. Dieser Baustoff vereine unbestreitbare Vorteile, von der Isolierung von Feuchtigkeit und Wärme bis hin zur Speicherfähigkeit, mit dem Effekt, dass Ziegelwände im Winter Wärme und im Sommer kühle Luft speichern und so für milderes Raumklima sorgen, sagt Weinhapl. Nicht umsonst gelte der Ziegel als „Zehnkämpfer unter den Baustoffen“.
Dafür, dass die Bauprojekte auch in Zukunft nicht ausgehen werden, sorgt der anhaltende Zuzug von Menschen in die Städte, der durch die jüngsten Migrationswellen noch verstärkt wird. „Der aktuelle Trend zur Urbanisierung beschäftigt uns auf Jahre“, sagt Kolnerberger.
Für diese Sparte habe man eigene Städtebauziegel entwickelt. Freilich sind der Verwendung im Stadtbereich Grenzen durch die Gebäudehöhe gesetzt: Da hat der Einsatz von Ziegel ein natürliches Limit von sechs oder sieben Geschoßen. Das ist der Grund dafür, dass der Ziegelanteil bei Einfamilienhäusern über 75 Prozent liegt, jener im gesamten Objektbau zwischen 40 und 45 Prozent, mit steigender Tendenz.
Überhaupt dürfte das steigende Bevölkerungswachstum ein Umdenken erfordern. Denn der notwendige rasche Bedarf nach neuem und leistbarem Wohnraum verträgt sich kaum mit steigenden Anforderungen im Bereich Qualität und Energiefreundlichkeit – an die etwa Landesförderungen gebunden sind.
So habe Vorarlberg kürzlich den Anspruch aufgegeben, wonach neue Gebäude im Passivhausstandard errichtet werden müssten. Jetzt reicht bereits Niedrighausstandard. „Man hat gesehen, dass ein gesenkter Standard leistbares Wohnen für mehr Menschen möglich macht“, sagt Weinhapl.
Man müsse mehr in Richtung sozialer Wohnbau kommen. Soziale Durchmischung, auch nach Altersgruppen, sei wichtig, damit es nicht zu sozialen Ghettos komme wie in Teilen Frankreichs, ist Weinhapl überzeugt. Dass es in Österreich auch leistbare attraktive Wohnungen in guten Lagen gebe, sei eine unbestreitbare Leistung der heimischen Wohnbauförderung.
„Der Trend zur Urbanisierung beschäftigt uns noch auf Jahre.“Franz Kolnerberger, Tondach AG