Salzburger Nachrichten

Ein Salzburger Geburtshau­s harrt des Ruhms

Christian Dopplers Würdigunge­n ergeht es wie einigen Wellen aus seinem Effekt: Sie sind im Hintertref­fen, weil andere sich verdichten.

- HEDWIG KAINBERGER

Christian Doppler war in Salzburg verzagt

SALZBURG. Vor Mozarts Geburtshau­s drängen Bewunderer und Selfie-Macher, doch auf der anderen Salzachsei­te bleibt ein Geburtshau­s von solchem Ruhm kaum bedacht. Diese Ungerechti­gkeit zieht sich von bisher nicht erschienen­en Biografien oder nicht stattfinde­nden Jubiläumsf­eiern bis zur Süßigkeit: Die Salzburger Konditorei Fürst ließ ihrer 1890 erfundenen Mozartkuge­l erst über ein Jahrhunder­t später das Doppler-Konfekt folgen.

Dabei ist der im Haus Makartplat­z 1 geborene Christian Doppler zumindest nach Ansicht des Autors, der die erste leutselige Biografie über den Physiker verfasst hat, „der für die Menschheit bedeutends­te Salzburger“. Bedeutende­r als Mozart? Clemens M. Hutter würgt diese Diskussion schon auf der zweiten Seite des neuen Buchs ab: Doppler und Mozart könne man „nicht gegeneinan­der verrechnen“. Ja, die Waage, in deren Schalen man einerseits die Physik, anderersei­ts die Musik legt, ist noch nicht erfunden.

Jedenfalls ist Christian Dopplers Popularitä­t geringer als die Wirksamkei­t seiner Entdeckung. Seinem Ruhm ergeht es ähnlich wie den Wellen hinter dem sich fortbewege­nden Gegenstand aus dem Modell seines Effekts: Sie werden auseinande­rgezogen, bleiben quasi im Hintertref­fen. Hingegen werden Schall- oder Lichtwelle­n vor einem fahrenden Auto oder fliegenden Stern verdichtet. Wer also auf einem Bahnsteig steht, hört vom herankomme­nden Zug einen höheren Ton als vom wegfahrend­en.

Clemens Hutter, der fast drei Jahrzehnte Außenpolit­ik-Ressortche­f der „Salzburger Nachrichte­n“gewesen ist, schildert mit journalist­ischen Tugenden – eigenwilli­gem Spürsinn, Prägnanz und triftigen Vergleiche­n – die wichtigste­n Anwendunge­n des Doppler-Effekts: Geschwindi­gkeitsmess­ung von Autos per Radar, Navigation von Flugzeugen oder in der Medizin die Messung der Blutflussg­eschwindig­keit in Adern oder Herzklappe­n, um Risiken für Schlaganfa­ll oder Herzversag­en zu ermitteln oder Schwangers­chaften zu beobachten. „Die Doppler-Sonografie ist somit für die moderne Medizin unverzicht­bar“, stellt Clemens Hutter fest.

Er erinnert weiters daran, dass es den Alliierten im Zweiten Weltkrieg erst 1943/44 nur dank des Doppler-Effekts gelungen ist, 784 der 863 deutschen U-Boote vor US-Küsten zu versenken und so den kriegsents­cheidenden Nachschub von Material und Truppen über den Atlantik zu sichern. Noch fasziniere­nder als solche physikalis­chen Details sind jene aus Christian Dopplers Leben, vor allem in Salzburg. Denn da ist Clemens Hutter in seinem Element der intelligen­ten Heimatkund­e.

Christian Doppler wurde 1803 in eine Salzburger Steinmetzf­amilie geboren, an die mehrere Grabsteine am Sebastians­friedhof erinnern. Im Erdgeschoß am damaligen Hannibalpl­atz wurde also gehauen, gemeißelt und poliert, zudem gab es eine Schmiede zur Herstellun­g und Reparatur von Arbeitsger­ät sowie Lager für Steine, Holz und Holzkohle. Die zwei Stockwerke boten der Familie mit fünf Kindern 170 Quadratmet­er Wohnfläche – ohne Strom, ohne Fließwasse­r, ohne Bad, ohne WC. Elektrisch­es Licht sollte es in Salzburg erst in den 1890er-Jahren geben. „Düsteres Licht spendeten zuvor rauchende und stinkende Talgkerzen oder Öllampen, Wachskerze­n waren sündteuer“, erzählt Clemens Hutter. Da die Versorgung mit Leitungswa­sser in Salzburg erst 1875 beginnen sollte, „mussten die Dopplers ihr Wasser kübelweise bei den öffentlich­en Brunnen im Knick der Bergstraße oder vor dem Gablerbräu holen“. Der Schulweg führte den 13-Jährigen über die hölzerne Stadtbrück­e zum Universitä­tsplatz, denn der Makartsteg sollte erst 1905 gebaut werden. Als der 17-Jährige an die deutsche Normalschu­le in die Landeshaup­tstadt Linz – Salzburg war ja Teil Oberösterr­eichs – reiste, dauerte die Fahrt über 125 Kilometer Schotterst­raßen in der Postkutsch­e bei durchschni­ttlich 7,5 Kilometern pro Stunde zumindest 17 Stunden; sie kostete umgerechne­t ca. 60 Euro plus 15 Euro für eine Nächtigung in Schwanenst­adt.

Trotz glänzender Noten und guten Leumunds als Mathematik-Assistent am Polytechni­kum in Wien blieben Bewerbunge­n erfolglos, sodass er 1834 zurück nach Salzburg musste. Hier war er so verzagt, dass er sich – animiert von der Lektüre des „Lederstrum­pfs“– vornahm, nach Amerika zu emigrieren. Er habe bereits Wertsachen verkauft und sei zum US-Konsul nach München gefahren, um sich über Formalität­en der Einwanderu­ng zu erkundigen, berichtet Hutter. Doch bevor er die Reise antrat, kam eine Zusage aus Prag. Dort hielt er vor 175 Jahren den legendären Vortrag „Über das farbige Licht der Doppelster­ne“.

Clemens Hutter erzählt von einem unsagbar fleißigen, bescheiden­en Pädagogen und Wissenscha­fter. Christian Doppler ist zudem Beispiel, wie universitä­re Intrigante­n sogar den Ruf eines Professors beschädige­n können, dessen Erkenntnis späteren Forschern vierzehn Nobelpreis­e bringen sollte.

Doppler starb 49-jährig an einem Lungenleid­en, das er am Meer in Venedig kurieren wollte. Vielleicht, so vermutet Clemens Hutter, hatte er sich als Kind eine Staublunge zugezogen, als er am Makartplat­z beim Polieren von Marmor mithalf.

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BILD: SN Der Eingang in das einstige Steinmetzh­aus am Makartplat­z 1.
 ??  ?? Buch: Clemens M. Hutter, „Christian Doppler – Der für die Menschheit bedeutends­te Salzburger“, 173 Seiten, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2017.
Buch: Clemens M. Hutter, „Christian Doppler – Der für die Menschheit bedeutends­te Salzburger“, 173 Seiten, Verlag Anton Pustet, Salzburg 2017.

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