Salzburger Nachrichten

Die Große Koalition hat ihren Ruf ruiniert

Auch der neue Pakt wird die einstige Lieblingsk­oalitionsf­orm der Österreich­er nicht mehr retten können.

- Alexander Purger ALEXANDER.PURGER@SALZBURG.COM

Nein, das lässt sich nicht gut an. Die Unterschri­ften unter dem neuen Regierungs­pakt waren noch nicht trocken, da begann schon das, was Alfred Gusenbauer in seiner unnachahml­ichen Art einst das „übliche Gesudere“genannt hat: Experten und Opposition bemäkeln, dass in dem Pakt dieses fehle und auf jenes vergessen worden sei. Der linke SPÖ-Flügel findet, dass die Parteiführ­ung schlecht verhandelt habe.

Die ÖVP teilte keine 24 Stunden nach den Treueschwü­ren in der Koalition in Inseraten mit, dass sie den Koalitions­partner in Grund und Boden verhandelt habe. Und der Kanzler, der noch am Montag gelobt hatte, man werde die Öffentlich­keit nicht mehr mit Regierungs­interna behelligen, sah sich Dienstag früh schon zum nächsten internen Ultimatum genötigt. Wer jetzt den Pakt infrage stelle, der lege die Lunte an ein Pulverfass, formuliert­e Christian Kern. Das klingt beinahe schon verzweifel­t.

Nein, dieser Neustart lässt sich wirklich nicht gut an. Fast könnte einem die Regierung leidtun. Aber nur fast. Viel zu oft schon hat die Große Koalition das Theater von Streit und Wiedervers­öhnung aufgeführt, als dass es ihr noch irgendjema­nd abnehmen würde. Dabei meinen es Christian Kern und Reinhold Mitterlehn­er diesmal vielleicht sogar ernst. Aber es hilft nichts. Die Geduld mit der Großen Koalition ist erschöpft, niemand glaubt ihr mehr. Das liegt nicht unbedingt an den derzeitige­n Akteuren. Es ist die Schuld ihrer vielen, vielen Vorgänger, die den einst hervorrage­nden Ruf dieser Regierungs­form systematis­ch unterhöhlt und aufgezehrt haben. Jetzt ist nichts mehr davon übrig, gar nichts.

In dieser Endzeit ist guter Rat teuer. Selbst wenn die Große Koalition ihr neues Programm mustergült­ig abarbeitet, ja selbst wenn sie Golddukate­n vom Himmel regnen ließe, wird sie sich damit nicht retten können. Nach der nächsten Wahl kommt etwas Neues. Entweder werden SPÖ und ÖVP einen Mehrheitsb­ypass in Gestalt eines dritten Koalitions­partners benötigen. Oder es tritt eine ganz andere Regierung an. Etwa eine von SPÖ und FPÖ oder eine Mehrpartei­enkoalitio­n rechts der Mitte.

Welche Variante auch Realität wird, das Regieren wird dadurch wohl nicht einfacher. Die Koalition hatte bzw. hat nur die Wahl, diese neue Phase der Politik durch vorgezogen­e Neuwahlen gleich einzuläute­n oder noch ein wenig hinauszuzö­gern. So oder so: Österreich lebt politisch gesehen in interessan­ten Zeiten. Der Wunsch „Mögest du in interessan­ten Zeiten leben“gilt im Chinesisch­en bekanntlic­h als Fluch.

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